Bruggerstrasse und Scheunengasse
Die beiden Gassen waren früher stark von der Landwirtschaft und Gewerbebetrieben geprägt, nicht umsonst die Bezeichnung Scheunengasse. Die vielen landwirtschaftlichen Gebäude im früheren Mellingen erklärt sich u.a. dadurch, dass dieses im Umkreis von 10 Kilometern von den Städten Baden, Brugg, Lenzburg und Bremgarten umgeben war. Deren Gewerbetreibende beschnitten das Einkommen der Mellinger Handwerker und Händler. Deshalb betrieben viele Mellinger Bürger als zweites Standbein noch etwas Landwirtschaft. Besonders viele Scheunen und Ställe lagen – der Name sagte es – an der Scheunengasse. Aber auch verschiedenste Gewerbetreibende waren hier angesiedelt: Wagner, Schneider, Seifensieder, Holz- und Kohlehändler, Schreiner und Wurstwarenfabrikant. Doch an keinem andern Strassenzug der Altstadt wurden in den letzten 60 Jahren so zahlreiche Häuser niedergerissen oder umfassend umgebaut wie hier, um neuen Wohnraum zu schaffen.
Die reussseitige Häuserzeile der Bruggerstrasse weist dagegen noch heute Bausubstanz auf, die teils bis ins 16. Jahrhundert und bei den Grundmauern bis ins Mittelalter zurückreichen. In den letzten Jahrzehnten schlossen auch hier verschiedene Gewerbebetriebe, drei Lebensmittelläden, eine Weinhandlung und die einzige Gastwirtschaft ihre Türe. Dank des Baus der Birrfeldstrasse 1958 wurde die Bruggerstrasse vom Durchgangsverkehr befreit und bietet gerade gegen die Reuss hin attraktiven Wohnraum. Mittelalterliches Flair verströmt der pittoreske Hexenturm. Ein gleicher Rundturm stand bis ca. 1712 an der Reuss. Die beiden Wehrtürme verband das 1836 abgebrochene Bruggertor, neben dem kleinen ebenfalls entfernten Tor beim Iberg die einzige grössere Lücke im sonst intakten Altstadtbild.
2017 Rainer Stöckli
Otto Müller machte sich zu der Brugger- und der Scheunengasse folgende Gedanken:
„Es mutet fast unwahrscheinlich an, dass man in den aargauischen Kleinstädten bis in die Neuzeit nebst
den Werkstätten der Handwerker auch Miststöcken begegnete. Es sind nur wenige Jahrzehnte her,
als man in der Bruggerstrasse noch das Muhen von Kühen, das Grunzen von Schweinen und das
Gackern von Hühnern vernahm. Ein Miststock in der Bruggerstrasse, hart an der gepflästerten Strasse
gelegen, war unverkennbar Zeuge des landwirtschaftlichen Umfeldes. Abends und morgens trotteten
und sprengten Kühe und Pferde zum Johannesbrunnen an die Tränke.
Zur Zeit der Heu- und Getreideernte sperrten hochbeladene Brückenwagen die Gasse, bis der Erntesegen unter Dach und Fach war.
Dem Nachwuchs der kinderreichen Familien diente die Gasse als Spielplatz. Zum bunten Altstadtbild gehörten kleine Lebensmittelgeschäfte, eine Bäckerei und eine Weinhandlung. Ein Barbier führte seinen einfachen „Salon“, im Schneidersitz nähte ein Schneider auf der Fensterbank an einer Hose. Ein Hufschmied, ein Maurer und ein Hafner waren in ihren kleinen Werkstätten fleissig am Werk. Auf einem Vorplatz lagerten Fässer aller Art, hölzerne Standen und Eimer, ‚Büttene‘ und ‚Gelten‘, Zeugen der Arbeit von Küfermeister Fritz Spichiger.“