Bahn
1871 darf als Beginn des Eisenbahnzeitalters in Mellingen bezeichnet werden. Damals wollte man die Reusstalbahn, welche Luzern mit Brugg verbinden sollte, als direkte Zufahrtslinie zum geplanten Gotthardtunnel projektieren. In unserer Region wären Bahnhöfe in Bremgarten, Niederwil, Mellingen/Wohlenschwil, Birrfeld und Brugg vorgesehen gewesen. Mellingen beschloss damals für 200‘000 Franken Aktien zu kaufen. Doch erwuchs der Reusstalbahn durch die sogenannte „Südbahn“ (Aarau – Lenzburg – Wohlen – Muri – Rotkreuz – Arth-Goldau) Konkurrenz, sodass man davon absah, die Reusstal-Strecke zu realisieren. Da Mellingen aber unbedingt zu einem Bahnanschluss kommen wollte, kam das Projekt der Nationalbahn sehr gelegen. Neben einem Ostast (Winterthur u.a. gegen Kreuzlingen/Konstanz) baute man einen Westast von Winterthur über Zürich-Seebach – Würenlos – Wettingen – Baden-Oberstadt – Dättwil – Mellingen – Mägenwil - Lenzburg - Suhr - Zofingen mit einem Seitenast von Suhr nach Aarau. In Mellingen mussten grosse Kunstbauten, wie die 50 Meter hohe Brücke über die Reuss (s. Bild-Nr. 13001) erstellt und eine mächtiger Bahndamm gegen den Bahnhof hin aufgeschüttet werden. Im Oktober 1877 konnte der Westast seinen Betrieb aufnehmen. Doch da mit der Strecke der Nordostbahn Winterthur – Zürich – Baden – Brugg – Aarau fast parallel eine zweite Bahnlinie bestand, welche zudem die grossen Zentren bediente, hatte die Nationalbahn einen schweren Stand und ging vier Monate nach Eröffnung in Konkurs. Mellingen stand vor einem riesigen Schuldenberg von rund 550‘000 Franken, welche das Städtchen in dieses Bahnprojekt investiert hatte. Nach heutigem Geldwert wären dies etwa 25 bis 30 Millionen Franken. Um selbst nicht in Konkurs zu geraten, verkaufte Mellingen sämtlichen Wald an den Kanton Aargau und das der Bürgergemeinde gehörende Kulturland der Aargauer Bank, der heutigen Kantonalbank. Noch heute gehört deshalb sämtlicher Wald in Mellingen dem Staat.
Die Nationalbahn selbst wurde 1880 für einen Pappenstiel von der Nordostbahn übernommen. 1902 wurde sie eine Strecke der neugründeten SBB. Bis 2004 verkehrten Bahnkompositionen auf der Strecke Aarau – Suhr – Lenzburg – Mellingen – Wettingen.
1975 wurde die Heitersberglinie eröffnet. Dieser Teil der schweizerischen Ost-West-Transversale verkürzte die Fahrzeitzwischen Zürich und Bern um einiges. Sie zweigt in Rupperswil von der ehemaligen Stammlinie über Brugg – Baden ab und benützt das Teilstück der Südbahn nach Lenzburg. Auf dem Trassee der Nationalbahn, welche auf zwei Spuren ausgebaut wurde, führt die Heitersberglinie über Othmarsingen – Mägenwil nach Mellingen, um hier gegen den neu erbauten 4929 m langen Tunnel abzuzweigen und am andern Ende des Tunnels wieder in die Linie Baden – Zürich einzuschwenken. Im Raum Mellingen musste die Reussbrücke massiv verstärkt und über die Strasse Mellingen – Fislisbach ein Viadukt erstellt werden. Schon bei der Inbetriebnahme der Heitersberglinie wurde in der Region Mellingen der Wunsch laut, eine eigene Haltestelle in der Nähe des Tunneleingangs und damit eine direkte Verbindung nach Zürich zu erhalten. Doch sollte es noch fast 30 Jahre dauern, bis am 12. Dezember 2004 die neue Haltestelle Mellingen Heitersberg mit Busterminal und Parkhaus eröffnet werden konnte. Finanziert wurde dieses verkehrspolitische bedeutsame Projekt durch 14 Gemeinden der Region. Heute frequentieren an Werktagen weit über 3000 Passagiere die Haltestelle, die in die Züge und in die Fahrzeuge der acht Postautolinien ein- und aussteigen. Auf der Bahnlinie Wettingen – Baden-Oberstadt – Dättwil – Mellingen wurde 2004 der Personenverkehr eingestellt, doch kann die Region Baden alle 20 Minuten mit dem Postauto erreicht werden. Die Bahnstrecke Wettingen – Mellingen dient nur mehr dem Güterverkehr, vor allem für das Heranführen der Kesselwagen, in welchen Benzin und Heizöl für das 1972 eröffnete Tanklager Mellingen angeliefert werden.
Rainer Stöckli 2017