1897 - Das Schulhaus an der Bahnhofstrasse

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100 Jahre Schulhaus Bahnhofstrasse - Mellinger Städtli-Chronik 1997,Rainer Stöckli

Bild: Das Schulhaus um die Jahrhundertwende mit damals noch herrschaftlich geprägter Fassade. Die im April 1899 von Gärtner Seiler aus Niederwil gepflanzten amerikanischen Silberlinden sind noch relativ klein.


Für alle Mellinger und auswärtigen Bezirksschüler, welche bis in die sechziger Jähre in Mellingen die Schule besuchten, ist und bleibt das altehrwürdige Schulhaus an der Bahnhofstrasse das weitaus wichtigste öffentliche Gebäude der Gemeinde, haben sie doch darin mehrere tausend Stunden verbracht. Auch ich drückte hier acht Jahre lang die Schulbank und erhielt in den Geschichtsstunden von Bezirkslehrer Otto Hunziker das Interesse und die Liebe zur faszinierenden Geschichte unserer Gemeinde eingepflanzt. So war es für mich eine echte Verpflichtung und Freude, der Entstehungsgeschichte dieses genau vor hundert Jahren (1897) erbauten Gebäudes nachzuspüren.

Prekäre Verhältnisse im Schulhaus am Kirchplatz

Bis 1856 wurden die Mellinger Schüler im alten städtischen Schulhaus an der südwestlichen Seite des Kirchplatzes (heute 1997 Haus Kl. Kirchgasse Nr. 26) und teilweise auch im «vorderen Schulhaus» beim Zeitturm unterrichtet. 1855 kaufte die Gemeinde auf der gegenüberliegenden Seite des Kirchplatzes den ehemaligen Gasthof «Krone» und richtete darin Schulhaus, Pfarrhaus und Gemeindeverwaltung ein (heute 1997 Rathaus und Pfarrhaus). Nicht zuletzt bedingt durch die Gründung der Bezirksschule im Jahre 1862 wurden die räumlichen Verhältnisse auch in diesem Gebäude recht bald zu eng. Bereits 1883 erörterte man deshalb die Frage eines Neubaus. Schulpflegepräsident und Arzt Dr. Peter Hümbelin brachte es deshalb 1890 auf den Punkt:
«Es seien sämtliche Schulzimmer den Anforderungen der Gegenwart nicht mehr zweckentsprechend, hauptsächlich ist die Temperatur und Luft in den Zimmern des beschränkten Platzes wegen für die Kinder, sowie Lehrpersonal in sanitarischer Richtung höchst schädlich, ja gefährlich». Es musste also dringend etwas unternommen werden. Doch Mellingen war damals mausarm. Die Nationalbahnkatastrophe hatte die Gemeinde in ein finanzielles Desaster geworfen. Und so strebte man denn bezügIich der Schulhausfrage eine möglichst kostengünstige Lösung an.

Umbau oder Neubau?

Seit 1890 pochten der Bezirksschulrat und der kant. Erziehungsrat immer wieder darauf, die Sanierung der bestehenden Anlage oder einen Schulhausneubau zu realisieren, ansonst der Gemeinde die kantonalen Subventionen gestrichen würden. Doch erst am 15. Februar 1896 bequemte sich die Gemeindeversammlung zum Grundsatzentscheid. einen Neubau an der Bahnhofstrasse zu erstellen. Bevor man sich aber dazu durchringen konnte. wurden verschiedene andere Varianten geprüft, so der Einbau von zusätzlichen Schulräumen in der «Farb», (heute 1997 Haus Gr. Kirchgasse Nr. 8, ehemaliges Badhaus) oder im alten Salzmagazin an der Reuss (der heutigen Spittelscheune 1997). An der Gemeindeversammlung vom 30. Oktober 1893 legte Schulpflegepräsident Hümbelin folgende Varianten vor:

1) Den Umbau des alten Schulhauses,
2) Neubau eines Gemeindeschulhauses auf dem Platz der städtischen Metzgerei, die gerade hinter dem Kirchplatzbrunnen lag: die Bezirksschule soll im alten Gebäude verbleiben,
3) Neubau eines Schulhauses für Bezirks- und Gemeindeschule. Vom geplanten Neubau einer Gemeindeschule an der Stelle der Metzg existiert noch ein genauer Baubeschrieb. Bemerkenswert daran ist, dass man neben den vier Schulzimmern im Erdgeschoss bereits eine Turnhalle einplante! Nach langer, erregter Diskussion rang man sich schliesslich zu einem Neubau für alle Schulen durch. Aber auch 1894 geisterten noch Pläne herum, die Fabrikliegenschaft Meier (heute 1997 Coop-Center am Zentralplatz) in ein Schulhaus umzubauen.

Die Standortfrage

Recht umstritten war, ob das neue Schulhaus auf der Städtli-Seite oder rechts der Reuss in Mellingen-Dorf zu bauen sei. So besass Marin Frey einen geeigneten Platz am Wohlenschwilerweg. Gemeinderat Oswald Biland hatte bereits vorsorglicherweise die Parzelle,
auf der das Schulhaus heute steht, aufgekauft. An der Gemeindeversammlung vom 26. März 1896 stellte Fabrikant Halter den Antrag, bei der Bevölkerung für den Schulhausbau Geld zu sammeln: auf jener Reuss-Seite, wo mehr Geld gespendet werde, solle auch das Schulhaus zu stehen kommen!
Schliesslich wurde aber mit 76 Ja zu 34 Nein beschlossen, das Grundstück an der Bahnhofstrasse im Halte von ca. 30 Aren zu kaufen, den Quadratmeter zu 70 Rappen.

Die Finanzierung

Noch entscheidender als die Standortfrage war das Finanzierungsproblem. Nach Berechnungen des aus Rohrdorf gebürtigen Architekten Ernst Vogler von Zürich-Oberstrass sollte der ganze
Bau auf 80 000 Fr. zu stehen kommen. Das mag auf den ersten Blick als bescheidene Summe erscheinen. Wenn man aber bedenkt, dass Bezirkslehrer Stoll 1891 nach sechsjähriger
Lehrtätigkeit in Mellingen ein Jahressalär von 2120 Fr. bezog und ein heutiger (1997) Bezirkslehrer mit gleichvielen Dienstjahren jährlich 88 554 Fr., also das 42fache als vor hundert Jahren verdient, so ergäbe dies in Relation zu diesem Salär eine Bausumme von immerhin 3,36 Mio Fr. Da Mellingen praktisch über gar keine Geldreserven verfügte, mussten die ganzen 80 000 Fr. auf
dem Darlehensweg aufgenommen werden. Man fasste daher, da Mellingen bei der Nationalbahnkatastrophe arg hergenommen wurde, den Entschluss, durch eine Eingabe an den Bundesrat und an die Bundesversammlung zu einem günstigen Kredit zu gelangen.
Doch sowohl beim Bund als auch beim Kanton, den man auch angehen wollte, verliefen die entsprechenden Bemühungen im Sand. Schliesslich musste Mellingen froh sein, vom Kanton eine
Subvention von 2500 Fr. zu erhalten. So blieben nur noch die Banken als Finanzgeber im Rennen. Die günstigste Offerte unterbreitete die Hypothekar- und Leihkasse Lenzburg, die heutige
Hypothekarbank Lenzburg, zu einem Zinsfuss von 3 ¾ %, weshalb man die 80 000 Fr. bei dieser aufnahm. Da aber der Bau schliesslich, nicht zuletzt wegen des Einbaus einer Zentralheizung, auf rund 90 000 Fr. zu stehen kam, musste noch anderweitig Geld zusammengekratzt werden. Der Verkauf des Metzg- und Spritzenhauses am Kirchplatz und die Veräusserung des
Trotteninventars brachten schliesslich einige Tausender ein. Erwähnenswert sind auch noch die 1000 Fr. Spendengelder sowie die Fr. 98.20, welche Säger Frey für die Stämme der auf dem Schulareal gefällten Obstbäume bezahlte. Trotzdem mussten wegen des Schulhausbaus die Steuern etwas angehoben werden.


Der Schulhausbau

Am 5. August 1896 beschloss die Gemeindeversammlung, das Schulhaus nach den Plänen von Architekt Ernst Vogler, Zürich-Oberstrass zu errichten und die Bauarbeiten zur Submission aus-
zuschreiben. lnteressanterweise fand sich aber unter den offerierenden Baumeistern kein einziger aus Mellingen, sondern nur solche aus Fislisbach, Zürich, Bremgarten und Birmenstorf. Den
Zuschlag erhielt selbstverständlich jener, der am günstigsten offerierte, nämlich der Birmenstorfer Baumeister Gottfried Zimmermann, der sich anerbot, die eigentlichen Bauarbeiten für
69 000 Fr. auszuführen. Zimmermann trat als Generalunternehmer auf und rechnete pauschal ab. Deshalb wissen wir nicht, ob auch Mellinger Handwerker massgeblich zum Zuge kamen.
Eines steht allerdings fest: in den führenden Positionen - Architektur und Bauleitung - fanden sich keine Mellinger. Da sich im Stadtarchiv auch kein Baubeschrieb und ausser einem Grundriss,
der Offerte von Baumeister Zimmermann und einer Schlussabrechnung, keine nennenswerten Baudokumente finden, kann über den Werdegang dieses Schulhausprojektes praktisch nichts
ausgesagt werden. In den Protokollen wird einzig ein paar Mal darauf hingewiesen, der Bau solle etwa so aussehen wie das neue Schulhaus in Wettingen. Nicht einmal den genauen Baubeginn
kennen wir. Er muss um den 1. September 1896 erfolgt sein; ein gutes Jahr später war das Gebäude bereits fertiggestellt. Der Offerte von Baumeister Zimmermann entnehmen wir, dass das
Bauwerk grösstenteils aus Bruchsteinen bestehen und der Kellerboden aus Beton gegossen werde.


Die Ausstattung des Baus

Es ist erstaunlich, wie sorglos die Gemeinde teilweise an dieses Bauvorhaben heranging. Erst zu Baubeginn befasste man sich mit der Frage, ob das neue Schulhaus mit einer Zentralheizung
oder mit Kachelöfen zu versehen sei. Und erst am 24. Mai 1897 wurde der definitive Auftrag dem «Centralheizungsgeschäft» D. Ruckstuhl in Basel übergeben.

Um diese Zeit befassten sich viele Gemeinden mit dem Bau von Wasserversorgungen. Mellingen war hier etwas im Hintertreffen, weihte es doch seine Wasserversorgung erst 1901 ein. Trotzdem
stellte man sich während des Schulhausbaus die Frage, ob es nicht dienlich wäre, für die Spülung der WCs Wasserleitungen ins Gebäude zu führen. Als Architekt Vogler im August 1891 entnervt die Behörden anfragte, wie sie es mit der «Wassergeschichte» hielten, antwortete darauf Schulpflegepräsident Hümbelin salomonisch: «Es seien die Abtritte einstweilen für Bespühlung einzurichten, das Wasser werde sich dann schon finden». Und so wurde es denn auch gehandhabt. Doch sollte es dann bis Mitte 1901 dauern, bis das Schulhaus nach einigem
Widerstand endlich ans öffentliche Wasserleitungsnetz angeschlossen wurde.

Die Fensterstoren bezog man bei der heute (1997) noch bestehenden Storenfabrik Schenker in Schönenwerd und die dreiteiligen Wandtafeln bei der Schreinerei Schwarz in Kreuzlingen.

Grossen Aufwand betrieb man bei der Beschaffung von Schulbänken. Erziehungsrat Hürbin, seines Zeichens Direktor der Strafanstalt Lenzburg, wo ebenfalls Schulmobiliar hergestellt
wurde, teilte unter dem 12. Dezember 1896 mit, «dass bei der Anschaffung neuer Bestuhlung nur das St. Galler Schulbanksystem zulässig sei». Schliesslich bestellte man bei Schreinermeister
K. Stilli in Turgi 88 Bänke dieses Systems für 25 Fr. das Stück. Die Strafanstalt Lenzburg konnte
14 Zeichnungstische liefern. Neckische Details sind schliesslich, dass für jedes Schulzimmer und die Korridore gusseiserne Spucknäpfe und für jedes Schulzimmer zudem ein Trinkbecher anzuschaffen seien.

Die Einweihung des Schulhauses

Am 24. Oktober 1897 weihte man das Schulhaus feierlich ein.
Da dieser Festakt in der «Geschichte der Gemeindeschule Mellingen» von Gottfried Schibli schon einlässlich beschrieben ist, können wir uns hier kurz halten. Am Mittag des Einweihunqstages bewegte sich der Festzug vom Lindenplatz zur Kirche und zum alten Schulhaus. Nach den
Ansprachen von Pfarrer Sachs und Rektor Stoll zog die Festgemeinde vom alten Schulhaus zum
neuen an der Bahnhofstrasse. Da sich damals die Stadtmusik Mellingen in einer Krise befand, begleitete die Musikgesellschaft Niederrohrdorf den Festzug. Beim Neubau hielten
Schulpflegepräsident Hümbelin und in Vertretung der Aargauer Regierung Erziehungsrat Hürbin weitere Ansprachen. Nach einem Rundgang der Honoratioren durchs Gebäude ging's weiter zum Bankett in die «Krone». Für die Gäste und Behörden wurden eine Erbssuppe, Rindfleisch mit Erbsen und gebackenen Kartoffeln, Hasenpfeffer mit Kartoffelstock, Geflügel mit Salat und ein Dessert sowie Wein aufgetischt. Für die Schuljugend war ein «kalter Tisch, sog. Verschnittenes
(= Aufschnitt)» vorgesehen, ferner «2 Glas Wein (für die Unterschüler alkoholfreier Wein) à 80 Rp. je Kind. Zum zweiten Glas Wein soll noch ein Stück Brot gegeben werden», wie im Ratsprotokoll vom 15. Oktober 1897 vermerkt wird.

Mehr

Umbauten und Restaurationen

Nachstehend seien hier noch kurz die wichtigsten Umbauten und Renovationen, die am Schulhaus in den letzten 100 Jahren vorgenommen wurden, erwähnt. So erstellte Baumeister Zimmermann wohl kurz nach der Einweihung für Fr. 45.80 einen Karzer im Schulhauskeller, also eine Arrestzelle für unfolgsame Schüler.
1914 waren erst das Kellergeschoss, der Heizungskeller und das Zimmer der Bürgerschule elektrisch, die anderen Räume bloss mit Petrollampen beleuchtet, obwohl bereits 1899 in Mellingen die ersten elektrischen Lampen installiert worden waren. Anfang 1914 sollten dann auch all jene Zimmer des Schulhauses, die am Abend insbesondere durch Vereine benutzt wurden, elektrisches Licht erhalten.
1955 wurde das Schulhaus für 125 000 Fr. unter der Projektleitung von Architekt Jean Frey, Mellingen, das erste Mal einer gründlichen lnnen- und Aussenrenovation unterzogen. Leider baute man damals an der Eingangsfront einen unschönen Windfang. Zudem verschwanden damals an den Aussenfassaden die quaderförmige Gestaltung des Erdgeschosses, die Backsteinbogen über den Fenstern des Mittelgeschosses, die Balkenattrappen an der Dachunterseite und weitere Gestaltungselemente. Diese Eingriffe raubten dem Gebäude einen nicht unwesentlichen Teil des palastartigen Gepräges.

1910 unterzog man das Schulhaus unter der Leitung von Architekt Franz Meier, Mellingen, für eine Viertelmillion einer weiteren Innenrenovation.
1980 gab man 41 000 Fr. für verschiedene wärmetechnische Massnahmen aus.

Am 29. November 1989 bewilligte die Gemeindeversammlung einen Kredit von 1,43 Mio Fr. für eine Gesamtsanierung des Schulhauses. Die Bauarbeiten, die erneut unter der Leitung von Architekt Meier standen, konnten aber erst 1994 ausgeführt werden, weil zuerst die Fertigstellung der erweiterten Schulanlage in der Kleinen Kreuzzelg abgewartet werden musste, um die «Asylanten» von der Bahnhofstrasse für die Zeit des Umbaus aufzunehmen. Ohne sich hier in Details zu verlieren, wollen wir einen Ausgabenposten herauspflücken: Allein der Einbau eines Lifts ins alte Schulhaus verschlang 153 000 Fr., also gut das Anderthalbfache dessen, was das ganze Schulhaus 1897 gekostet hatte. Allerdings ist - wie wir wissen - diese Gegenüberstellung mit Vorsicht zu geniessen. Wie wir weiter oben beim Vergleich der Lehrerlöhne gesehen haben, müssten diese 153 000 Fr. etwa durch 40 geteilt werden, um herauszufinden, was dieser Lift 1891 gekostet hätte.

Fürwahr: wir haben in den letzten 100 Jahren zu unserem Schulhaus Sorge getragen. Bis 1967 reichte dieses Schulhaus zusammen mit einigen Provisorien, alle Schüler Mellingens zu beherbergen. In den letzten 30 Jahren sind nun noch drei weitere Schulhäuser hinzugekommen. Trotz dieser hektischen Entwicklung des Schulwesens - die Schülerzahl ist innert 100 Jahren von 137 auf 807 angewachsen! - ist und bleibt das hundertjährige Gebäude an der Bahnhofstrasse, für viele das Schulhaus von Mellingen, ein Stück Heimat, auf das wir nicht verzichten möchten.

Quellen:
Gemeindearchiv Mellingen: Protokolle der Schulpflege, des Gemeinderates und der Gemeindeversammlungen; Bauakten Schulhaus; Schulchronik 1884-1945;
Korrespondenz 1893-97











Bild-Nr.: Sch0012
Bild: Fotoarchiv-Mellingen
Text: Rainer Stöckli/Mellinger Städtlichronik 1997
Copyright: Rainer Stöckli/Mellinger Städtlichronik 1997

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