1798 - Gewerbe in früheren Jahrhunderten, Rainer Stöckli

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1798 - Gewerbe in früheren Jahrhunderten, Mellingen -ein wirtschaftlicher Mikrokosmos,Rainer Stöckli

Städte waren bis zum Untergang der Alten Eidgenossenschaft 1798 Zentren von Handel und Gewerbe. ln den Dörfern ausserhalb der Mauern wurde hauptsächlich Landwirtschaft betrieben. Für die Gewerbetreibenden war es daher wichtig, dass sich rund um die Stadt ein genügend grosses Iandwirtschaftliches Umfeld ausbreitete. Denn die Handwerker in den Städten waren darauf angewiesen, dass auch die Bevölkerung auf dem Land ihre Produkte kaufte.

Landwirtschaft als zweites Standbein
Laut der Theorie des Städtehistorikers Hektor Ammann durfte rund um eine Stadt in einem Umkreis von 10 Kilometern keine andere Stadt stehen, ansonsten die Absatzgebiete eingeschränkt waren. ln Mellingen störten aber die Städte Baden, Brugg, Lenzburg und Bremgarten die «wirtschaftlichen Kreise» des Städtchens. Nicht umsonst betrieb daher eine grössere Anzahl Gewerbetreibender als zweites Standbein etwas Landwirtschaft, wobei praktisch alle landwirtschaftlichen Gebäude innerhalb der Mauern lagen. Aufgrund einer Studie von 1663 wurden rund 25 Prozent aller Gebäude in der Altstadt als Ställe und Scheunen genutzt.

Lebensmittelgewerbe
Bemerkenswert ist, dass hauptsächlich im Lebensmittelgewerbe viele städtische Beamte über die Produkte der Gewerbetreibenden wachten. So überprüften die beiden Brotschauer die Qualität und das Gewicht des Brotes. Meist lassen sich im Städtchen 2 Bäcker feststellen. Diese hielten ihre Ware auf der sogenannten Brotlaube, die vermutlich an der Hauptgasse stand, feil. Argwöhnisch achtete man darauf, dass auswärtige Bäcker nicht allzu oft ihre Produkte im Städtchen verkaufen durften.
Normalerweise versahen 2 Metzger die Bürgerschaft mit Fleisch. lhre Tiere schlachteten sie im städtischen Schlachthaus, der sogenannten Metzg. Dieses Gebäude am Kirchplatz wurde um 1900 abgerissen; an dessen Stelle baute man die Häuser Grosse Kirchgasse 10 und 12. Die Metzger wurden von den 3 Fleischschauern streng kontrolliert. Sie achteten genau darauf, ob die Metzger ihr Fleisch zum gleichen Preis wie in den umliegenden Städten verkauften. lhre Waagen wurden regelmässig überprüft. Zudem verordneten die Behörden, wie viele Tiere an jedem Schlachttag verarbeitet werden durften.
lm heutigen Gemeindegebiet rechts der Reuss, in Mellingen-Dorf, das bis 1798 bloss eine Gerichtsherrschaft der Stadt war, standen 4 Mühlen. Die um 1260 erstmals erwähnte Buggenmühle, eine Doppelanlage, wurde vom Mühlebach angetrieben. An der Stelle der oberen Mühle entstand anfangs des 20. Jahrhunderts die Mosterei Busslinger (Meli-Areal), anstelle der unteren Anlage die Seidenweberei Ryf (heute Werkhof). Die Überbleibsel der 1344 erstmals urkundlich bezeugten Widenmühle sind noch heute am untersten Ende des Mühlebachs auf dem Frigemo-Areal erhalten. Schon 1253 wird die Bruggmühle, welche im Besitz des Klosters Wettingen war, erwähnt. Dieses Gebäude wurde in der Neuzeit zur Kartonagefabrik Rohr (heute 2017 Gewerbeliegenschaft Zentralplatz 2 a) umfunktioniert. Zuerst erhielt diese Mühle direkt von der Reuss und ab dem 15. Jahrhundert von einem parallel zum Fluss von den Risiquellen gespiesenen Bach ihre Energie.





Bild-Nr.: 41128
Bild: Fotoarchiv Mellingen
Text: Rainer Stöckli
Copyright: Rainer Stöckli/Fotoarchiv Mellingen

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Mellingen - ein wirtschaftlicher Mikrokosmos

Zu erwähnen sind auch die Fischer.
Der Verzehr von Fischen hatte im Städtchen grosse Bedeutung. Teilweise wurden Beamte mit Fischessen honoriert. Der grösste Teil der Fische wurde in der Reuss gefangen. Die Reussfischenz gehört bis heute der Stadt Mellingen. Früher reichte diese von der Lindmühle bei Birmenstorf bis zum Schadwart, einem Stein bei Göslikon. Die obere Fischenz reichte vom Schadwart bis zur Reussbrücke, die untere von hier bis zur Lindmühle. Diese Fischenzen wurden von der Stadt an Berufsfischer verpachtet. Auch für diesen Berufsbereich gab es eine spezielle Aufsichtsbehörde, die Eglischauer. Diese wachten darüber, dass nur frische Fische verkauft und bloss Tiere von einer bestimmten Grösse geangelt werden durften.

Das Gastgewerbe
Eminent wichtig war in Mellingen das Gastgewerbe. Dieses war nicht nur für die Stadtbewohner und die umliegenden Dörfer von Bedeutung. Mellingen lag früher an der wichtigsten Strassenverbindung in der Eidgenossenschaft von Ost nach West. Es war die stark durch Fuhrwerke, Kutschen, Reiter und Fussgänger frequentierte Route von Süddeutschland, nach Zürich über Mellingen nach Bern und weiter in die Westschweiz und das Rhonetal hinunter. In den Mellinger Gasthäusern kehrte darum recht viele nationale und auch internationale Kundschaft ein.
Deshalb existierten neben den 3 Tavernenwirtschaften bis zu 25 weitere Gasthäuser, sogenannte Zapfenwirtschaften, in denen aber nur kalte Speisen wie Käse und Brot sowie Most und Wein aufgetischt werden durften. Tavernenwirtschaften waren öffentlich-rechtlich anerkannte Gasthäuser, wo man warme und kalte Speisen konsumieren sowie übernachten konnte. Es waren dies der «Hirschen» (Ersterwähnung 1494 ), die «Krone» (1444) und der «Löwen» (1454). Allen 3 Tavernenwirtschaften waren Pferdeställe angegliedert. Darin standen Wechselpferde für die Kutschen und Vorspannpferde, damit Lastkarren besser die Steigungen gegen die Sommerhalde und gegen Mägenwil hinaufgezogen werden konnten. Bekanntlich führte bis ins 19. Jahrhundert
die Strasse nach Baden noch nordwestlich an Fislisbach vorbei.

Bekleidungsgewerbe, Lederverarbeitung
Meist übten 2 Gerber ihr Handwerk im Städtchen aus, hie und da auch 3.
Da für die Lederherstellung viel Wasser benötigt wurde, Iagen alle Gerbereien an der städtischen Wasserleitung zwischen lberg und Kirchplatz sowie an der Bruggerstrasse.
Einige Bürger wirkten auch als Sattler. Meistens fertigten 2 Schuhmacher ihre Produkte an.
Gut vertreten waren auch die Weber. Um 1500 stellten nicht weniger als 4 Einwohner in ihren Webstuben verschiedene Textilien her. Der Badstube war zeitweise auch eine Färberei angegliedert. Mindestens 2 Schneider waren bemüht, den Bewohnern passende Kleider anzufertigen. Da bis letztes Jahrhundert Männer und Frauen auf der Strasse meistens Hüte trugen, lassen sich zudem in Mellingen zeitweise Hutmacher feststellen. Früher war auch Stricken ein Männerberuf.


Bild-Nr.: 41128.1
Bild: Fotoarchiv Mellingen
Text: Rainer Stöckli/Mellinger Städtlichronik-Chronik 2017
Copyright: Rainer Stöckli, Fotoarchiv Mellingen

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Mellingen - ein wirtschaftlicher Mikrokosmos

Baugewerbe
lmmer waren inner- und ausserhalb der Stadt Neu- oder Umbauten vorzunehmen. Beispielsweise baute Maurer Hans Ulrich Schuler 1624 an der Verzweigung von Bremgarten- und Lenzburgerstrasse ein neues Siechenhaus, ein Abgesondertenhaus hauptsächIich für Aussätzige. Verschiedene Werke der Steinmetzen Jakob und Peter Beye sind im grösseren Umkreis von
Mellingen noch heute erhalten. Schreiner waren neben dem Herstellen von Möbeln auch beim Ausbau von Häuser tätig. So ist heute die kunstvoll geschnitzte MelIinger Ratsstube, welche 1467 Hans Widerkehr schuf, als einer der schönsten spätgotischen Innenräume im Landesmuseum in Zürich zu bewundern.

Zimmerleute standen ständig für den Haus- und Brückenbau zur Verfügung.
Einheimische Hafner treffen wir erst seit 1586 an. Einer der bedeutendsten war Johann Lee. Ein hübscher Kachelofen aus der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts ist im Ortsmuseum zu bewundern. Seit dem Grossbrand von 1505 bestand in Mellingen auch eine stadteigene Ziegelhütte, die vom Ziegler betrieben wurde. Diese Hütte erbaute man unterhalb des Städtchens an der Landstrasse gegen Brugg. Später verlegte man die Produktionsstätte in die Nähe des Ulrichsbrunnens neben der
heutigen Trottenstrasse.

Metallgewerbe
Stark diversifiziert war das metallverarbeitende Gewerbe. Neben den gewöhnlichen Schmieden übten Kupfer-, Hammer-, Hufeisen- und Kesselschmiede sowie Kannengiesser und Schlosser ihr Handwerk aus. Ein bedeutendes Spezialgewerbe MelIingens war die Herstellung von Hämmern. In der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts übten bis zu 6 Hammermacher ihren Beruf aus. Auf ihre Erzeugnisse mussten die metallverarbeitenden Handwerker das Stadtzeichen - vermutlich das Gemeindewappen - schlagen. Liess die Qualität zu wünschen übrig, wurde den Meistern untersagt, weiterhin das Stadtzeichen zu verwenden. Um 1650 betätigte sich Schultheiss Hans Ulrich Beye als Eisenhändler.

Kunstgewerbe
Trotz geringer Einwohnerzahl wirkten in Mellingen immer einzelne Kunsthandwerker. Von überregionaler Bedeutung war zwischen 1670 und 1770 die Künstlerdynastie der Widerkehr: ln 4 Generationen brachte sie 7 Künstler (Bildhauer, Kunsttischler, Maler, Architekten) in 4 Generationen hervor. 1638 liess sich der Kunstmaler Johann Georg Horer von Rottenburg am Neckar einbürgern. Werke sind von diesem u.a. in Mellingen, Lenzburg und im Kloster St. Urban bekannt.
Von 1590 bis 1609 lebte Goldschmied Konrad Moll im Städtchen. Von ihm ist kein einziges Werk nachweisbar. Doch wurde Moll von der Stadt beauftragt, die Gewichtssteine zu prüfen und Falschgeld aus dem Verkehr zu ziehen. Von Goldschmied Hans Kaspar Frey ist einzig ein silbervergoldeter Kelch bekannt, den er 1611 schuf. Dieser wird noch heute im Mellinger Kirchenschatz verwahrt.


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Die übrigen Gewerbe
HauptsächIich für das Transportgewerbe und die Landwirtschaft war der Beruf des Wagners bedeutsam. Da Mellingen in früheren Jahrhunderten eine bedeutende Weinbaustadt war und Luzern in ihrem Salzhaus am Kirchplatz - dieses stand an der Stelle des heutigen Pfarrhauses - einen schwungvollen Salzhandel betrieb, hatten Küfer immer viel zu tun. Salz transportierte man damals in Fässern. Auch die Produkte von Seilern waren in Haushalt, Landwirtschaft und Gewerbe begehrt. Harzer gewannen mit Genehmigung der Obrigkeit von Waldbäumen Harz. Dieser wurde vor allem für Kerzen und Pech verwendet.

Händler und Krämer
Eine ganze Anzahl Tuchhändler betrieb Handel mit einheimischen und auswärtigen Textilien. Die Krämer, die wie die Handwerker nach ihrer Lehre auf 3-jährige Wanderschaft gehen mussten, verkauften ausser Fleisch, Brot und Fisch alle übrigen Produkte des täglichen Lebens.

Märkte
Normalerweise wurde jeden Dienstag Wochenmarkt abgehalten, wo unter anderem auch die Bauern der umliegenden Dörfer ihre Produkte feilhielten. An den Jahrmärkten – je nach Epoche 4 bis 6 an der Zahl - boten neben auswärtigen Händlern und Gewerbetreibenden auch viele Einheimische ihre Ware an. ln der Sust an der Bruggerstrasse, wo man Waren vom Schiff aufs Land und umgekehrt
verfrachtete, wurde zusätzlich in grossem Umfang Getreidehandel betrieben. Deshalb nannte man die Sust auch Kaufhaus.

Mellingen - ein Mikrokosmos
Obwohl man in Mellingen vor rund 350 Jahren bloss 300 bis 400 Einwohner zählte, erstaunt es immer wieder, wie dieses Gemeinwesen trotz seiner Kleinheit ein erstaunIich strukturiertes Gebilde in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht war: Die Stadt Mellingen hatte gegen 100 öffentliche Ämter zu vergeben. Erstaunlich ist auch das vielfältige Angebot im Gewerbe- und Dienstleistungsbereich: Bürger boten in rund 40 Berufsgattungen ihre Dienste an.

Rainer Stöckli

Literatur:
Rainer Stöckli. Geschichte der Stadt Mellingen von 1500 bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts. Fribourg 1979, S. 183-234.


Bild-Nr.: 41128.2
Bild: Fotoarchiv Mellingen
Text: Rainer Stöckli/Mellinger Städtlichronik 2017
Copyright: Rainer Stöckli, Fotoarchiv Mellingen

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