1642 - Das Schützenwesen Mellingens, Rainer Stöckli

Geschichte > Aus Mellinger Städtlichroniken ab 1991

1642 Das Schützenwesen Mellingens

Bild: Das Schützenhaus 1642.
Unten links die Bruggmühle mit zwei Mühlsteinen davor, rechts davon das etwas mehr reussseits gelegene Schützenhaus.
Ausschnitt aus dem Werk von Matthäus Merian.

Das Schiessen mit Armbrust und Gewehr ist die einzige Sportart, die sich in Mellingen in früheren Jahrhunderten nachweisen lässt. Bis etwa Mitte des 15. Jahrhunderts verwendete man zu sportlichen Zwecken hauptsächIich die Armbrust, die dann gegen 1500 immer mehr durch Handfeuerwaffen abgelöst wurde. Vorliegender Text versucht eine Übersicht über das Schützenwesen Mellingens vom ausgehenden Mittelalter bis 1800 zu bieten, wobei zu bemerken ist, dass viele Angaben aus dem 18. Jahrhundert stammen, finden sich doch im Stadtarchiv Mellingen erst aus diesem Zeitabschnitt ausführliche Akten. Es ist anzunehmen, dass seit der Gründung der Stadt dem Schiesssport gefrönt wurde. Einen ersten urkundlichen Hinweis über ein organisiertes Schützenwesen findet man aber erst in einem Brief von 1479, in welchem die Schützengesellen von Sursee die Bürger von Mellingen zu einem Schützenfest an Pfingstmontag und
-dienstag einluden.

Grundpfeiler des Schützenwesens: Wehrwesen - Sport - Geselligkeit
Einer der Hauptgründe für den Bau vieler Städte im 12. und 13. Jahrhundert vor allem im Schweizer Mittelland war, für die Landesherren zahlreiche Stützpunkte mit wehrhafter Mannschaft zu schaffen. ln den Stadtsatzungen von 1624 wird denn auch bei der Bürgeraufnahme verlangt, der Kandidat müsse im Besitz eines Harnischs oder eines Gewehrs sein. Diese Bestimmung war denn auch bitter nötig, zeigte sich doch rund 50 Jahre früher, wie kläglich die Mellinger Bürger damals bewaffnet gewesen waren. An einer Waffenschau von 1569 zählte man in Mellingen eine wehrfähige Mannschaft von 86 Mann. Davon hatten 56 Mann einen Harnisch, 15 waren Schützen, der Rest besass weder Harnisch noch Gewehr. Vermutlich war aber die Bestimmung von 1624 schon früher in Kraft. Denn 1628 beauftragte der Rat den einheimischen Schlosser Rudolf Meyer, 65 Musketen und andere Gewehre zu revidieren.

Nach der Kapitulation Mellingens im Zweiten Villmergerkrieg mussten die Einwohner alle Waffen abgeben: 30 Zielrohre (sogenannte Standstutzen), 65 Gewehre, 5 Pistolen und einige andere Handfeuerwaffen. Selbst der Pfarrer musste sein «Vogelröhrli», abgeben.
Neben diesem militärischen Aspekt war das Schiessen auch eine prestigeträchtige, sportliche Angelegenheit: Wer gute Resultate erzielte, dem winkten wertvolle Preise, der war ein geachteter Mann. Regelmässig trafen sich die Schützen zu Speis und Trank in einer der 3 Tavernenwirtschaften. Gesellschaftliche Ereignisse waren auch der Besuch von auswärtigen Schützenfesten. Hin und wieder fanden solche auch in Mellingen statt, an denen Schützen von nah und fern teilnahmen.

Die Schützengesellschaft
Die Schützengesellschaft bestand immer aus mehreren Dutzend Mitgliedern. Eine besondere Rolle spielten die «Dreissig Jüngsten». Bei diesen dürfte es sich um jene 30 Bürger handeln, die zuletzt in die Schützengesellschaft aufgenommen worden waren. Vermutlich waren dies auch jene Schützen, die bei einem kriegerischen Ernstfall zuerst auszurücken hatten. Von diesen wurde unter Androhung einer Busse verlangt, dass sie an den offiziellen Schiesstagen ihr «Obligatorium» absolvierten. Wann genau diese Gruppierung der «Dreissig Jüngsten», eingeführt worden war, konnte noch nicht eruiert werden. Viele Bürger blieben aber der Schützengesellschaft auch treu, als sie nicht mehr zu den «Dreissig Jüngsten» gehörten.
So erwähnt das Mitgliederverzeichnis 1768 nicht weniger als 92 Namen, d.h. dass der Grossteil der männlichen Bevölkerung ab circa 20 Jahren Vereinsmitglied war.
Jeder Schütze hatte jährlich einen gewissen Geldbetrag in die «Büchse», die Vereinskasse, zu entrichten. Daraus wurden zum Teil die Auslagen für Wein am sogenannten Schützenbott (siehe den Abschnitt über den Schiessbetrieb) bezahlt. lm 18. Jahrhundert durften nur jene der Gesellschaft beitreten, die ihre Berufslehre abgeschlossen hatten. Praktisch alle Mitglieder waren Bürger. Hie und da fanden auch Hintersassen, also Einwohner, die nicht Bürger von Mellingen waren, aber im Städtchen lebten, Aufnahme, beispielsweise die Schulmeister. Auch auswärts wohnende Bürger konnten Mitglieder werden, nicht zuletzt Geistliche, beispielsweise der Pfarrer von Lunkhofen, Michael Widerkehr (1736-1810) und P. Maternus Gretener (1731 -1796), Kapuziner im Kloster Bremgarten.
Mellinger Soldaten in fremden Diensten durften während ihres Heimaturlaubs ebenfalls am Schiessbetrieb teilnehmen. Die Schützengesellschaft existierte - ausgenommen in der Zeit der Helvetik von 1798 bis 1802 - bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts und wurde 1865 von der FeldschützengeselIschaft abgelöst.

Der Schiessbetrieb
Dieser fand normalerweise nur im Sommerhalbjahr statt, nachdem man den Schützenbott abgehalten hatte. lm 17. Jahrhundert fand diese Zusammenkunft an den Pfingsttagen, im 18. Jahrhundert am Jakobstag (25. Juli) statt. An dieser Versammlung wählte man die verschiedenen Amtsinhaber der Schützengesellschaft und behandelte auch Sachgeschäfte.
Meistens wurde pro Jahr an 7 oder 8 Sonntagen geschossen, hie und da auch an einem Werktag.
An jedem Schiesstag versammelte man sich im Städtchen und marschierte in militärischer Ordnung zum Schützenhaus jenseits der Reussbrücke. Den Schützen voran schritt der Schützenfähnrich mit einer Fahne, ab Mitte des 18. Jahrhunderts zusätzlich begleitet von 2 Tambouren. ln gleicher Ordnung kehrte man nach Beendigung des Schiessbetriebs zum Haus des Schützenfähnrichs zurück, der die Schützenfahne in seiner Wohnung aufbewahrte. Später wurde die Fahne in einer der 3 Schützenwirtschaften deponiert. Alternierend waren dies die Gasthöfe Löwen, Hirschen und Krone, wo auch die geselligen Anlässe der SchützengeselIschaft stattfanden.
Den ersten Schiesstag nannte man «Anschiesset», den letzten «Endschiesset».
Nach dem letzten offiziellen Schiesstag fand häufig noch ein «Nachtag» statt, wo besonders wertvolle Preise gewonnen werden konnten, beispielsweise ein Schafbock. An jedem Schiesstag nahmen durchschnittlich etwa 30 Schützen teil.
Eindeutige Angaben über Schussdistanz und Schiessprogramm fehlen leider. Lokalhistoriker Albert Nüssli nennt Schussdistanzen zwischen 60 und 200 Schritt (ca. 45 und 150 m).
Die Schützen bewahrten ihre Waffen samt Munition zu Hause auf und waren verpflichtet, die Gewehre gut zu unterhalten. Regelmässig führte die Obrigkeit Inspektionen durch. Obwohl das Schiesswesen zu einem nicht unwesentlichen Teil von öffentlich-rechtlicher Bedeutung war, wurde von Neubürgern verlangt, dass sie im Besitz eines Harnischs oder Gewehrs seien. Deshalb muss angenommen werden, dass die Gewehre im Normalfall von den Schützen selbst angeschafft werden mussten. Erst 1796 vernimmt man, die Schützengesellschaft habe 30 neue Gewehre angeschafft.




Bild-Nr.: 39065.3
Bild: Fotoarchiv-Mellingen
Text: Rainer Stöckli/Mellinger Städtlichronik 2015
Copyright: Rainer Stöckli/Mellinger Städtlichronik 2015/Fotoarchiv Mellingen

1642

Das Schützenhaus

Bild: Das Schützenhaus um 1750. Unten links die Bruggmühle, rechts davon das Schützenhaus mit Treppenaufgang. Am linken Rand die Schiessscheiben. Ausschnitt aus einem Gemälde von ca. 1750 im Ortsmuseum Mellingen.

Die Ämter
Vorsteher der SchützengeselIschaft war der Schützenhauptmann, dessen Wahl nachträglich noch vom Stadtrat bestätigt werden musste. Die beiden Schützenmeister waren für die Ausbildung der Schützen zuständig. Der Zeiger hielt sich bei den Schiessscheiben auf und ermittelte, wie viele Punkte jeweils geschossen wurden. Zudem war er gehalten, den Schützen Pulver und Kugeln zu verkaufen. Die beiden Absender traten vor allem beim sogenannten Absenden in Aktion, wenn es am Schluss der Schiesssaison galt, die Rangliste zu verlesen und die Preise zu verteilen. Dieses Absenden war stets ein feucht-fröhliches Fest. Der Pritschenmeister hatte für Ruhe und Ordnung beim Schiessbetrieb und den geselligen Treffen zu sorgen. Ob dieser, wie dies andernorts der Fall war, auch in Mellingen bei Festivitäten zudem als Spassmacher amtete, muss offenbleiben. Vom Schützenfähnrich und von den Tambouren war schon im vorhergehenden Abschnitt die Rede.

Schützengaben
Den Behörden war es ein grosses Anliegen, dass die Schützen gute Resultate erzielten. So bewilligte man jährlich eine erkleckliche Summe für Schützengaben. Die klassischen Schützengaben waren ein paar Hosen für den besten Schützen, der zweit- und drittbeste erhielten einen Wams. Darum hiess der jeweilige Schützenkönig «Hosema». Man achtete darauf, dass an jedem Schiesstag 2 bis 3 Schützengaben bereitlagen. Weitere Schützengaben waren auch Strümpfe, Salz und Getreide.
Auch die in Mellingen regierenden Orte hatten alles lnteresse daran, dass das Schützenwesen im Städtchen gepflegt wurde. Seit 1554 wurden immer wieder erhebliche Geldbeträge an die Mellinger Schützen bewilligt. Von 1591 bis 1618 waren es regelmässig 8 Pfund. Während des Dreissigjährigen Kriegs (161S-1648) wurden die Zuwendungen auf jährlich 48 Pfund angehoben, war doch damals die Sicherheitslage in Zentraleuropa recht fragil. Aber auch Privatpersonen zeigten sich teilweise sehr spendabel. Beispielsweise machten sich Bürgerrechtsanwärter durch Spenden an die Schützengesellschaft beliebt. 1768 anerbot sich Kapuzinerpater Maternus Gretener, für gute Schiessresultate 3 heilige Messen zu lesen. Als 1789 die Mellinger Bürgerin Maria Bernarda Hümbelin zur Priorin des Klosters Gnadenthal gewählt wurde, bedachte sie die Schützen ihrer Heimatstadt ebenfalls mit einer Gabe. Da aber die Unsitte einriss, dass solche, die eine Schützengabe gewonnen hatten, nachher an den folgenden Schiesstagen nicht mehr ihrer Pflicht nachkamen, verfügte der Rat bereits 1641, die Preise erst dann auszugeben, wenn der Gewinner an 7 Sonntagen geschossen hätte.

Die Schützenbruderschaft
Bis ins 19. Jahrhundert waren weltliches und kirchliches Leben noch stark miteinander verknüpft. So waren in MelIingen Vertreter verschiedener Berufsgruppen Mitglieder von Bruderschaften, halbwegs beruflichen, halbwegs religiösen Organisationen. So verwundert es nicht, dass die Schützengesellschaft als wichtigste gesellschaftliche Vereinigung im Städtchen ebenfalls religiös organisiert war, und zwar in der Fabian- und Sebastiansbruderschaft. Diese Vereinigung ist 1515 erstmals urkundlich erwähnt.
Eine der Hauptaufgaben war, jedes Jahr eine Jahrzeit, einen Gedenkgottesdienst für die verstorbenen Gesellschaftsmitglieder, zu halten. 1747 wurde festgehalten, die 10 jüngsten Bruderschaftsmitglieder hätten die verstorbenen Schützengesellen zur letzten Ruhe zu tragen. Zudem wurden Kerzen im Angedenken an die einstigen Schützenkameraden in der Kirche angezündet. Deshalb hatte jedes Bruderschaftsmitglied jährlich 1 Pfund Wachs zu spenden.
Die Bruderschaft, der seit dem 18. Jahrhundert auch Frauen beitreten durften, verfügte auch über ein erhebliches Vermögen, das vom sogenannten Kerzenmeister verwaltet wurde. Als 1774 das Schützenhaus neu gebaut wurde, konnten an die Bausumme 400 Gulden beigetragen werden.



Bild-Nr.: 39090.2
Bild: Fotoarchiv Mellingen
Text: Rainer Stöckli/Mellinger Städtlichronik 2015
Copyright: Rainer Stöckli/Mellinger Städtlichronik 2015/Fotoarchiv-Mellingen

1642

Der Türsturz am Schützenhaus

Schützenhaus
Das Schützenhaus stand neben der Bruggmühle in der Nähe der Reuss und wurde 1580 errichtet. Über einen Vorgängerbau ist nichts bekannt. Da das Schützenhaus auf dem Areal der Mühle stand, gab es mit den Müllern immer wieder Scherereien. Besonders musste eingeschärft werden, nicht durch die Matten, sondern auf dem Fussweg gegen die Risi hin zu den Scheiben zu gelangen. Die Scheiben liess die Gemeinde bei einheimischen Schreinern herstellen. 1661 brannte das Schützenhaus infolge Unachtsamkeit durch Selbstentzündung eines Feuerschwamms nieder und musste neu aufgebaut werden.1774 entstand am nämlichen Ort ein stattliches Gebäude. Dieses diente nicht nur den Schützen, sondern auch als Waschhaus. Das Schützenhaus an der Reuss blieb bis 1865, als die Feldschützengesellschaft gegründet und der Schiessbetrieb auf die Fislisbachermatte neben der Bahnhofstrasse verlegt wurde, in Gebrauch. über den beiden Eingängen prangte das Mellinger Wappen mit Schützenemblemen und der Jahreszahl 1774.
1966 musste das Schützenhaus dem MehrfamiIienhaus Zentralplatz 2 weichen. Die Wetterfahne, welche den First des Gebäudes zierte, wird heute im Ortsmuseum aufbewahrt.


Bild-Nr.: 01007.2
Bild: Mellinger Städtlichronik 2015
Text: Rainer Stöckli/Mellinger Städtlichronik 2015
Copyright: Rainer Stöckli/Mellinger Städtlichronik 2015

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Das Schützenhaus

Schützenfeste
Schon im 15. Jahrhundert wurden die Mellinger Bürger an Schützenfeste eingeladen, 1478 nach Sursee und 1485 nach München. lm Einladungsschreiben aus der lsarstadt werden genaue Angaben über den Schiessbetrieb, die Schützengaben und die weiteren Lustbarkeiten an diesem Grossanlass gemacht. Ob die Mellinger dieser Einladung Folge leisteten, ist nicht bekannt.
Über den Besuch von Schützenfesten vom 16. bis 18. Jahrhundertwird in der einschlägigen Literatur nur fragmentarisch berichtet. 1504 nahmen 89 Bürger an den Glücksspielen am Freischiessen in Zürich teil. lm heute noch erhaltenen Rodel finden sich aber leider keine Angaben, wie viele Mellinger die Schiesswettkämpfe bestritten. lm gleichen Jahr besuchten die Schützen das Kirchweihfest in Baden. Am Gesellen-Schiessen im Mai 1596 in Aarau nahmen auch Bürger von
Baden, Mellingen, Bremgarten und Klingnau teil. 1605 lud die Schützengesellschaft Lenzburg die Kollegen von Mellingen, Baden, Aarau und Brugg ans Kirchweihschiessen ein. 1659 versuchten 12 Mellinger Schützen ihr Glück am «Anschiesset» in Brugg. Aber auch Mellingen lud immer wieder zu Schützenfesten ein. An jenem von 1544 nahmen Schützen von Aarau teil. Am Schützenfest des darauffolgenden Jahres sind Gäste aus Bern und Freiburg bezeugt, 1549 solche von Solothurn und Freiburg. Ganze 5 Tage dauerte das Schützenfest 1724.
1756 lagen für die besten Schützen wertvolle Gaben bereit: neben Geldbeträgen auch Naturalgaben wie Getreide, Salz und Holz.
130 Jahre früher fand 1623 mitten im Dreissigjährigen Krieg ebenfalls ein Schützenfest statt. Da die damalige unsichere Lage den Stadthaushalt ohnehin schon stark belastete, zögerten die Behörden zuerst, dem Wunsch der Schützen stattzugeben. Schliesslich drangen die Schiessgesellen doch durch mit dem Hinweis, sie würden auch immer wieder von den Nachbarstädten eingeladen und man wolle doch diese alte gepflanzete nachparschafft nit vergehen lassen,,.

Rainer Stöckli



Wichtigste Literatur:
- Leuthold Rolf. Die Schützengesellschaft Mellingen im 18. Jahrhundert. Mellingen 1935.
- Nüssli Albert. Das Schiesswesen Alt-Mellingens. ln: «Der Reussbote» 14. März 1969.
- Stöckli Rainer. Geschichte der Stadt Mellingen von 1500 bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts.
Fribourg 1979, S. 159-161, 2Bg.
- Zumstein Heinrich. Mellingen 1200-1900. Mellingen 1988, S. 257-262.




Bild-Nr.: 01007
Bild: Mellinger Städtlichronik 2015
Text: Rainer Stöckli/Mellinger Städtlichronik 2015
Copyright: Rainer Stöckli/Mellinger Städtlichronik 2015

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