Pius Wietlisbach

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Kutschentag 2009

Stolz führt Pius Wietlisbach seine Gäste mit der Kutsche durchs Städtchen.


Bild-Nr.: PW003
Bild: © Viktor Zimmermann
Text: Fotoarchiv-Team
Copyright: Viktor Zimmermann

17.05.2009

Pius Wietlisbach - 8.3.1935 bis 5. Mai 2023

"Das Glück der Erde spiegelt sich in den Augen der Pferde"

Pius Wietlisbach wurde am 8. März 1935 als älteres von 2 Kindern geboren und ist in Wohlenschwil in einfachen Verhältnissen aufgewachsen. Sein Vater war Gottlieb Wietlisbach, seine Mutter Martha Wietlisbach-Attiger.
Pius war der ganze Stolz seines Grossvaters mütterlicherseits, welcher damals einen Fuhrhalter-Betrieb besass. Hatte er eine Fahrt mit Ross und Wagen fuhr er am Elternhaus von Pius vorbei und knallte mit der Peitsche. Dies war das Zeichen, dass klein Pius mitfahren durfte.
In der entbehrungsreichen Zeit des Krieges verbrachte Pius Ferien bei Verwandten in Interlaken. Mit anderen Kindern wartete er dort täglich vor der Villa des Generalstabs, bis der General und sein Gefolge hoch zu Ross erschienen – das Ereignis des Tages, wie er später oft erzählte.
Als Kind erkrankte Pius an Kinderlähmung, deren Folgen ihn sein ganzes Leben lang begleiteten. Er hat immer erzählt, dass es für die damalige Zeit an ein Wunder grenzte, dass er überhaupt noch gehen konnte. Sogar eine Amputation des erkrankten Beines sei im Raum gestanden. Durch seine liebe Gotte, die im Luzerner Spital als Krankenschwester arbeitete, wurde er kompetenten Orthopäden vorgestellt, die sein betroffenes Bein wieder «funktionsfähig» zurecht operierten.

Sein ganzes Leben lang blieb Pius gehbehindert, was für ihn als Kind nicht einfach war und weshalb er auch immer wieder gehänselt wurde.
Die Primarschule besuchte er in Wohlenschwil, jeden Mittwoch Nachmittag half er Mutter und Schwester beim Putzen des Schulhauses. Diese Gelegenheit nutze er auch, um die im Schrank gelagerten Haselstauden eines gefürchteten Lehrers mit einem Messer einzuritzen. Wenn der Lehrer die Schüler strafen wollte, brachen die Stauden auseinander.
Die Sekundarschule absolvierte er in einem Kloster-Internat im Freiburger Hinterland. Es war eine streng katholisch geprägte Schulzeit, wie es damals üblich war. Begegneten sich auf dem von Nonnen geführten Sonntagsspaziergang Mädchen- und Knabenklassen, mussten die Knaben anhalten und den Blick von der Strasse abwenden, bis die Mädchengruppe vorbei gegangen war.
Weil Pius schlecht gehen konnte, wurde er jeweils zum Blochen des Kirchenbodens engagiert, anstatt mit den anderen Jugendlichen auf den wöchentlichen Spaziergang zu gehen. Dabei hatte er die wichtige Aufgabe, Liebesbriefe, die in den persönlichen Kirchenliederbüchern der Schülerinnen und Schüler versteckt wurden, in den Liederbüchern der angebeteten Jungen und Mädchen zu deponieren.
Als junger Mann wäre Pius gerne zum Zirkus gegangen. Diese Welt des Herumreisens und der Abenteuer entsprang einer tiefen Sehnsucht nach Freiheit. Stattdessen entschied er sich – ganz vernünftig – für eine KV-Lehre bei der Julius Meier AG in Wohlen.
Auch Motoren und Räder interessierten Pius schon früh, und so lernte er bereits in jungen Jahren selber Auto fahren. Ohne Fahrbewilligung fuhr er regelmässig mit dem Auto seiner Tante, die als Hebamme eines der wenigen Fahrzeuge besass, über Feldstrassen, Staubwolken hinter sich lassend. Und dann kam der Tag, an dem er sich sein erstes eigenes Auto anschaffen konnte, einen hellblauen VW Käfer, einer der ersten mit der grossen Heckscheibe.

Kurz nach Abschluss der Lehre begann Pius in Hägglingen bei der RIWISA zu arbeiten, erst in der Buchhaltung, ab Anfang der siebziger Jahre im neu errichteten, damals hochmodernen, mit Lochkarten gesteuerten Lagerhaus. Als die Firma wuchs und eigene Lastwagen anschaffte, packte Pius die Chance und erwarb den Fahrausweis für schwere Motorfahrzeuge. Als Chauffeur war er in der ganzen Schweiz unterwegs, was seinem Bedürfnis nach Unabhängigkeit und Freiheit entsprach. Er wählte nicht die schnellste, sondern die schönste Route, und nach der Mittagspause war ein «Nickerchen» in der Schlafkabine seines Scania Pflicht. Er blieb der Firma über 40 Jahre bis zur Pensionierung treu.
Hier lernte er auch seine Ehefrau Anna Rüttimann kennen, die er 1963 heiratete. Die beiden wurden Eltern von drei Kindern, Daniel, Cornelia und Urs.
Das Heranwachsen seiner insgesamt 7 Enkelkinder Manuel, Liam, Jamin, Sophie, Simon, Henrik und Mia beobachtete Pius mit Stolz.

Früh erwachte im kleinen Pius die Liebe zu Pferden. Als Jugendlicher und junger Mann unterstützte er die Landwirte in der Umgebung mit Hilfe von Pferdestärken bei Holzarbeiten im Wald und bei den Arbeiten auf den Feldern. So erlernte er grösstenteils autodidaktisch den Umgang mit Pferden. Daneben fing er an zu reiten. Vielleicht, weil er auf einem Pferd reitend seine Defizite beim Gehen wett machen konnte? Vielleicht auch, weil er beim Reiten ein Stück der ersehnten Freiheit erlebte? Er selbst konnte diese Fragen nie beantworten.
Pius entwickelte sich zu einem guten Reiter. In jungen Jahren war er gar tollkühn und abenteuerlustig unterwegs, wie er in vielen Geschichten zu erzählen wusste. Als er älter wurde, verlagerte er seine Leidenschaft voll und ganz auf das Fahren. Für verschiedene Ställe organisierte er unzählige Hochzeiten und Ausfahrten aller Art, war über Jahrzehnte am Zürcher Sechseläuten, an der Basler Fastnacht und an vielen weiteren Anlässen mit diversen Gespannen vertreten.
Ausserdem engagierte er sich als Fahrlehrer und verhalf vielen pferdebegeisterten Menschen zum Fahrbrevet.
Die Krönung dieses Hobbys aber war das Fahren mit der historischen Gotthardpost von Andermatt nach Airolo. Er opferte jeweils seine Sommerferien in der RIWISA, um das Team vor Ort für diese Nostalgiefahrten zu unterstützen.
Nach der Pensionierung war Pius als Chauffeur Ferienablöser beim Obst- und Gemüsehändler Jehle in Mellingen.
Zudem verbrachte er, solange er fahren konnte, sehr viel Zeit auf dem Hof seines langjährigen Freundes Guido Isler in Wohlen, beide verband die Liebe zu Pferden und Kutschenfahrten.
Sein grosses Engagement für das Hobby liess nicht viel Zeit für das Familienleben. Ferien gab es selten und wenn, dann nur im Winter ausserhalb der Fahrsaison. Erst in späteren Jahren, mit Familienhund, gab es Ferien auf einer Innerschweizer Alp oder Wanderausflüge mit Nachbarn.
Nach beinahe 40 Jahren Ehe kam es nach der Pensionierung zur Trennung und später Scheidung.
Mit zunehmendem Alter und dem Einsetzen von Altersgebrechen musste Pius sich nach und nach vom Pferdesport zurückziehen.
Dafür traf er sich in verschiedenen Jassrunden zum Kartenspiel. Als Jasspartner war auf ihn Verlass, er beherrschte dieses Spiel mit Bravour und war für die andere Partei ein harter Gegner. Hier war für Pius nicht nur das Spielen alleine wichtig, sondern auch das gesellige Beisammensein mit Freunden und Freundinnen.
Für Pius war es stets wichtig, mit Menschen zusammen zu sein und sich mit ihnen auszutauschen. Er kannte gefühlt Jeden und Jede in der Region, inklusive Eltern, Kinder und Kindeskinder. Daher war es auch sein inniger letzter Wunsch, dass sein vertrauter und geschätzter Freundesreis am feierlichen Leidmahl nach der Urnenbeisetzung zahlreich teilhaben kann.

Verfasst von den drei Nachkommen Daniel, Cornelia und Urs Wietlisbach




Bild-Nr.: PW001
Bild: © Viktor Zimmermann
Text: Daniel, Cornelia und Urs Wietlisbach
Copyright: Viktor Zimmermann

2023

Pius Wietlisbachs letzte Kutschenfahrt

Am Dienstag 16. Mai 2023 fand in der Pfarrkirche von Mellingen der Trauergottesdienst für Pius Wietlisbach statt.

Nach dem Gottesdienst wurde die Urne des Pferdeliebhabers mit einer Kutsche von Guido Isler, Wohlen, zum Friedhof geführt.
Sein letzter Weg führte würdevoll auf dem Kutschenbock begleitet von der Fahne des Kavallerievereins Bümztal von der Kirche zum Friedhof, wo die Urne beigesetzt wurde. Wietlisbach war ein «Rösseler» mit Leib und Seele.


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Bild: © Viktor Zimmermann
Text: Ausschnitt aus dem Nachruf im Reussbote von Benedikt Nüssli
Copyright: Viktor Zimmermann / Benedikt Nüssli

2023