1300 - 1900 Essen und Trinken im alten Mellingen Rainer Stöckli

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1300 - 1900 Essen und Trinken im alten Mellingen

Blick auf die Städtligärten. Foto von circa 1940, wo auch noch die Gärten zwischen dem Büblikerweg und der nördlich des Zeitturms liegenden Häuserzeile sichtbar sind. Anstelle des Büblikerwegs wurde 1958 die Birrfeldstrasse angelegt.

Essen und Trinken gehören zu den elementarsten Lebensbereichen der Menschheit. Wollen wir aber erforschen, wie der Speisezettel der Bewohner einer bestimmten Gemeinde in früherer Zeit ausgesehen hat, stösst man bald an Grenzen. Die Angaben in den schriftlichen Quellen sind eher mager. Oft handelt es sich um zufällige Hinweise. Trotzdem sei hier versucht, über die Beschaffung von Speis und Trank im alten Mellingen bis ins 19. Jahrhundert nachzugehen.

Städtligärten
Wenn in der Stadt auch regelmässig Markt abgehalten und Lebensmittel von auswärts gekauft werden konnten, gewinnt man den Eindruck, dass die Nahrung der Bürger Mellingens stark auf Eigenversorgung basierte. Schon bei der Stadtgründung gehörte zu jedem Wohnhaus ein Garten. Diese Grundstücke lagen hauptsächlich südwestlich der Altstadt ausserhalb des Stadtgrabens. Diese Gärten existieren teilweise noch heute im Bereich des Kleinen und Grossen Gartengässli. Für diesen Garten musste der Hausbesitzer im 13./14. Jahrhundert dem Landesherrn - zuerst den Kyburgern, dann den Habsburgern - einen Zins bezahlen. lnteressanterweise musste damals dieser Zins nicht in bar, sondern in Form von Pfeffer entrichtet werden, schätzungsweise jährlich etwa 50 Gramm pro Garten. lm Mittelalter war also dieses orientalische Gewürz derart kostbar, dass es auch als Zahlungsmittel verwendet wurde. Später musste dieser Zins an die Stadt abgeliefert werden. Weitere Gärten befanden sich in der Au nordwestlich des Städtchens an der Reuss und auf dem Lindenplatz. ln den verschiedenen Gärten pflanzten die Bürger Gemüse, Kräuter und Beeren für den Hausgebrauch an.
Ohne konkrete Belege für Mellingen zu haben, dürften u.a. Karotten, Nüsslisalat, Lattich, Kohl, Lauch, Krautstiele, Pastinaken, Rettich, Sellerie, Spinat und Zwiebeln angebaut worden sein.
Kartoffeln wurden im Mittelland erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts heimisch. Von den über das ganze Gemeindegebiet verteilten Obstbäumen konnten Apfel, Birnen und Zwetschgen geerntet werden. Um die Früchte länger haltbar zu machen, wurden diese oft gedörrt.

Getreide
Die Flurnamen Kleine Kreuzzelg und Grosse Kreuzzelg weisen auf die 3-Felderwirtschaft hin, d.h. dass auf der einen Zelg Wintergetreide, auf der andern Sommergetreide angepflanzt wurden und die 3. Zelg, die sogenannte Brache, bloss vom Vieh beweidet werden konnte. Als Wintergetreide wurde insbesondere Dinkel und als Sommergetreide wurden Hafer, Weizen und teilweise Roggen angesät. Bis Mitte des 15. Jahrhunderts war die Anbaufläche recht gering, gehörte doch nur das heutige Gebiet links der Reuss zum Gemeindebann. Für die Versorgungslage der Stadtbewohner war es von grosser Bedeutung, dass die Gebäude in Mellingen-Dorf, dem Gemeindegebiet rechts der Reuss, im Alten Zürichkrieg (1436-1450) grossmehrheitlich gebrandschatzt wurden. Die meisten Häuser wurden nicht mehr aufgebaut und das politische Leben in Mellingen-Dorf erstarb. Die Stadt und die Bürger konnten deshalb einen Grossteil der Weiden, Äcker, Rebberge und Wälder erwerben. So wurde die nutzbare Fläche verdreifacht. Getreide war ursprünglich das Hauptnahrungsmittel (Brot, Brei) und wurde erst im 18. Jahrhundert durch die Kartoffel etwas verdrängt.


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Viehhaltung
Wie oben erwähnt, waren die Einwohner meist Selbstversorger. Da rund um Mellingen im Umkreis von 10 Kilometern 4 weitere Städte (Bremgarten, Lenzburg, Brugg und Baden) lagen, war das Einkommen aus der städtischen Wirtschaft (Handwerk, Handel, Gastgewerbe) sehr eingeschränkt, sodass ein Grossteil der Bürger gezwungen war, als zweites Standbein etwas Landwirtschaft zu betreiben. Somit war ein wichtiger Faktor der Lebensgrundlage, derjenige der Ernährung, durch landwirtschaftliche Tätigkeit abgedeckt. Nicht umsonst bestand ein Viertel der Gebäude in der Altstadt Mitte des 17. Jahrhunderts aus Ställen und Scheunen. Hauptberufliche Bauern gab es in Mellingen vor 1800 kaum. Wohl alle waren Kleinbauern. So wurde 1525 geregelt, dass kein Bürger mehr als 3 Kühe und 4 Schweine halten dürfe. Zeitweise wurden auch Ziegen gehalten. Doch weil diese gern über den Hag, frassen, mussten Besitzer von Ziegen sogenannte Ziegenbürgen stellen, die für allfällige Schäden, welche diese Tiere anrichteten, haften mussten. Das Vieh trieben die städtischen Hirten hauptsächlich auf die AIlmend, das Weideland, das allen Bürgern gemeinsam gehörte. Auf der linken Gemeindeseite lag die Allmend südöstlich der heutigen Siedlung Gheid. Auf der rechten Reussseite ist der Flurnamen Allmendli noch heute geläufig. Die Tiere - zu erwähnen sind auch noch die Hühner - waren für den Speiseplan wichtig (Fleisch, Fett, Butter, Eier). Doch ist anzunehmen, dass längst nicht alle Tage Fleisch gegessen wurde. Aus einer Verordnung von 1846 vernimmt man beispielsweise, dass die Bewohner des Altersheims nur an Sonn- und Feiertagen Anrecht auf Fleisch hätten. Meist wirkten im Städtchen 2 Metzger. Diese schlachteten die Tiere in der städtischen «Metzg» am Kirchplatz, welche um 1900 abgerissen wurde und an deren Stelle heute das Haus Grosse Kirchgasse 12 steht.

Der Butterbrief
Butter war in der Küche zum Anbraten und Backen und zur Verfeinerung vieler Speisen bedeutsam. Diese war neben Milch und Käse ein wichtiges Lebensmittel, das einen erheblichen Teil des Eiweiss- und Fettbedarfs abdeckte. Da im Mittelalter in der Fastenzeit und an anderen Fasttagen nicht nur der Verzehr von Fleisch, sondern auch aller Molkenprodukte verboten war, wurde der Speisezettel in unseren Gegenden, wo man neben Ackerbau viel Milchwirtschaft betrieb, sehr karg. Deshalb erhielt die Stadt Mellingen 1479 vom päpstlichen Nuntius einen sogenannten «Butterbrief». Darin heisst es, er erteile den Bürgern die Erlaubnis, da die Beschaffung von Olivenöl in dieser Gegend schwierig sei, auch an Fasttagen Butter und Milchspeisen essen zu dürfen.
Solche «Butterbriefe» erteilte der Nuntius zahlreichen Schweizer Gemeinden. Die in lateinischer Sprache geschriebene, für Mellingen bestimmte Originalurkunde wird noch heute im Stadtarchiv aufbewahrt.

Fische
Fische waren nicht nur in der Fastenzeit ein wichtiger Bestandteil der Ernährung. Es gab früher noch Bürger, die hauptberuflich Fischer waren. Ein reicher Fischgrund war die Reuss. lnhaber der Fischenz war die Stadt; noch heute (2013) gehört diese der Bürgergemeinde von Mellingen. Das Einzugsgebiet reichte in früheren Jahrhunderten teilweise von der Kirche bei Göslikon bis zur Lindmühle bei Birmenstorf. Nicht selten wurde die Fischenz auch an auswärtige Fischer verliehen. Diese waren aber verpflichtet, die Fische in erster Linie auf die Fischbank (Verkaufsstelle für Fische) in Mellingen oder an Bürger direkt zu verkaufen. Als 1632 die untere Reussfischenz - diese reichte von der Brücke in Mellingen bis zur Lindmühle - neu verliehen wurde, bestimmten die Behörden, dass jährlich die ersten 2 gefangenen Lachse der Obrigkeit zu schenken seien. Gefischt wurde auch im mit Wasser gefüllten Stadtgraben. Um möglichst schwergewichtige Fische herausziehen zu können, war der Baumeister (lnhaber des Bauwesens) gehalten, die Fische regelmässig mit Getreide zu füttern. Ein weiterer Fischgrund war auch die Wag, der vor dem Einfluss in die Reuss zu einem Teich ausgeweitete Schwarzgraben an der Grenze zu Büblikon.


Bild-Nr.: 14060
Bild: Fotoarchiv-Mellingen
Text: Rainer Stöckli/Mellinger Städtlichronik 2013
Copyright: Rainer Stöckli/Mellinger Städtlichronik 2013/Fotoarchiv-Mellingen

1300

Wein und Bier

Der «Löwen» ist der einzige Gasthof, in dem an der gleichen Stelle seit dem Mittelalter bis auf den heutigen Tag Gäste bewirtet werden. Der «Löwen» ist 1454 erstmals urkundlich erwähnt. Auf dem Foto aus der Zeit um 1900 ist der Gasthof noch als «Hotel de Lion» angeschrieben, darunter das Tavernenschild aus Metall, das 1923 durch die Löwenplastik Hans Trudels aus Würenloser Sandstein ersetzt wurde.

Wein war bis ins 19. Jahrhundert das Getränk. Selbst älteren Kindern wurde in beschränktem Mass Wein abgegeben, wie verschiedenen Berichten von Jugendfesten im 19. Jahrhundert entnommen werden kann. Der Weinbau in Mellingen ist urkundlich genau vor 700 Jahren - also 1313 - erstmals in der Stiftungsurkunde des hiesigen Spitals erwähnt. Die Rebberge erstreckten sich vom heutigen Meli-Areal bis jenseits der derzeitigen Rohrdorferstrasse. Anfang des 20. Jahrhunderts setzten die Reblaus und der falsche Mehltau den Weinstöcken derart zu, dass die jahrhundertealte Rebbautradition in wenigen Jahrzehnten völlig aufgegeben wurde. Die Trauben wurden in der gemeindeeigenen Trotte gepresst und gekeltert. Diese stand bis 1930 anstelle des Hauses Rebweg 2. Der Wein wurde hauptsächlich in den Privathäusern und den zahlreichen Gasthäusern der Stadt getrunken. Die Wirte mussten von jedem in ihrem Lokal ausgeschenkten Mass Wein eine Steuer, das sogenannte Ungelt, dem Seckelmeister abliefern. Aufgrund der Ungeltrödel kann beispielsweise errechnet werden, dass von Mitte 1638 bis Mitte 1639 in den Gasthäusern rund 88`000 Liter Wein ausgeschenkt wurden. Bei einer ungefähren Einwohnerzahl von damals 400 Einwohnern ergibt dies 220 Liter pro Person und Jahr, Klein- und Schulkinder mit eingerechnet.
Doch liegt man mit dieser Berechnung recht schief, tranken doch viele der in Mellingen Durchreisenden in den Wirtshäusern auch ein Schöppchen Wein. Neben dem Eigengewächs wurden vor allem Breisgauer und Elsässer Weine kredenzt.
Kleine Bierbrauereien sind in Mellingen erst im 18. und besonders im 19. Jahrhundert nachgewiesen. 1777 errichtete Küfer Peter Lee eine Bierbrauerei im Bereich zwischen Reusstörli und Reuss.

Gasthäuser
ln Mellingen lassen sich vor 1800 bis zu 30 Gasthäuser nachweisen, dies deshalb, weil sich in Mellingen als Marktort und als Raststätte für sehr viele Durchreisende an der wichtigsten Strasse zwischen Zürich und Bern zahlreiche Auswärtige aufhielten, die in die Wirtschaften im Städtchen einkehrten. Allerdings gab es nur 3 sogenannte ehehafte Tavernenwirtschaften, also öffentlich-rechtlich anerkannte Betriebe, in denen kalte und warme Speisen aufgetischt und Beherbergung angeboten werden durften.
Es waren dies die schon im Mittelalter erwähnten Gasthöfe «Löwen», «Hirschen», und «Krone», Anfang des 16. Jahrhunderts zusätzlich der «Rote Kopf». Die übrigen Gaststätten hiessen Zapfenwirtschaften, in denen bloss Wein und Most sowie kalte Speisen wie Käse und Brot abgegeben werden durften.

Lebensmittelkontrolle
Die feingliedrigen Rechtsstrukturen einer Stadt offenbaren sich nicht zuletzt auch darin, dass verschiedene Beamte über Preis und Qualität der Lebensmittel wachten. Die Ungelter, welche im Namen der Stadt die Getränkesteuer einzogen, mussten den lnhalt der Weinfässer, bevor sie in die Wirtshauskeller gestellt wurden, prüfen. Die Kernenschauer kontrolIierten den Getreidehandel. Die Fleischschauer achteten darauf, dass nur bankwürdiges Fleisch verkauft und dieses zu gleichen Preisen wie in den umliegenden Städten angeboten wurde. Den Fischhandel beaufsichtigte der Eglischauer. Die Brotschauer prüften regelmässig, ob die Brote das vorgeschriebene Gewicht aufwiesen.

Festgelage
Wie erwähnt finden sich in den Akten des Stadtarchivs kaum Hinweise, was genau die Bürger an einem gewöhnlichen Werktag assen. Relativ häufig sind aber Angaben über Behördenessen. Bis in die Neuzeit wurden die meisten städtischen Amtsträger und Beamten zum Teil mit Naturalien wie Holz, Getreide und teils frugalen Essen entlöhnt. Beispielsweise kaufte man 1494 für das Essen der Rechner (Rechnungskommission) 4 Hühner, Zwiebeln, Kalb- und Rindfleisch ein.
lm gleichen Jahr, als sich die Richter beim Fischessen vergnügten, gab die Gemeinde 15 Schillinge für Wein und 17 Schillinge für Fische aus. Regelmässig liessen die Ratsherren die Fische im Stadtgraben fangen. Darauf folgte auf dem Rathaus ein üppiges Mahl.
Der nachfolgende Eintrag in der Seckelmeisterrechnung von 1567 dürfte in diesem Zusammenhang zu sehen sein: «Wie man gefischet hat uff der [Rats]stuben verzert 13 Pfund und 17 Schilling."
Hoch zu und her ging es auch, wenn Würdenträger - beispielsweise der Bischof - in Mellingen Station machten. Dieser erschien nur alle paar Jahre in der Gegend, um die Jugendlichen einer ganzen Region zu firmen. So spendete der Konstanzer Weihbischof Wilhelm Leopold Willibald von Baden 1797 während 3 Tagen in der Mellinger Stadtkirche nicht weniger als1236 Personen das Sakrament. Als Residenz wurde diesem der «Löwen» zugewiesen, der damals von Schultheiss Augustin Müller geführt wurde. Am ersten Firmtag luden die Ratsherren zu einem Ehrentrunk. Dabei wagten es die Behörden nicht, den sauren Mellinger Wein auszuschenken. Nein, es musste Burgunder und Champagner her ...

Rainer Stöckli

Quellen und Literatur:
- Rohr Heinrich. Die Stadt Mellingen im Mittelalter. lAarau 1947], 5. 97.
- Rohr Heinrich. Urkunden und Briefe des Stadtarchivs Mellingen bis zum Jahre 1550. Aarau
1960, Nr. 147.
- Stadtarchiv Mellingen, Altes Archiv Nr. 122 (1567),14O (1494).
- Stöckli Rainer. Geschichte der Stadt Mellingen von 1500 bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts.
Fribourg 1979 (s. Register)
- Stöckli Rainer. 950 Jahre Kirche Mellingen. Mellingen 1995, S.4Bf.
- Zumstein Heinrich. Mellingen 1700-1900, Mellingen 1988, S. 313, 315, 323, 354.



Bild-Nr.: 04004.1
Bild: Fotoarchiv Mellingen
Text: Rainer Stöckli/Mellinger Städtlichronik 2013
Copyright: Rainer Stöckli/Mellinger Städtlichronik 2013/Fotoarchiv-Mellingen

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