Totenkult und Beerdigungswesen im alten Mellingen
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Wie immer am ersten Sonntag im Monat lud auch am 1. November der «Verein Forum Stadtscheune»
zum traditionellen Museumsapero ins Bürgerstübli im Ortsmuseum ein. Weil an diesem Tag gerade das Fest Allerheiligen gefeiert wurde, an dem man in Mellingen in einem Gottesdienst und beim Gräberbesuch der Toten gedenkt, nahm Rainer Stöckli die Gelegenheit wahr, um in einem Kurzreferat über den Totenkult und das Beerdigungswesen im alten Mellingen zu berichten. In einer kleinen Sonderausstellung präsentierte der Referent auch verschiedene Dokumente und Gegenstände aus dem Pfarr- und Stadtarchiv sowie aus den Beständen des Ortsmuseums.
In Mellingen hielt man das Gedenken an die Toten immer hoch in Ehren. Ein prächtiges Beispiel dieser Haltung ıst das wohlgeformte barocke Kreuz von 1669, das seit der Friedhoferweiterung von 1971das Zentrum des Gottesackers ziert. Dieses Kreuz liess der nachmalige Schultheiss Arbogast Müller (1642 bis 1690) im Angedenken an seine im Alter von erst 25 Jahren vermutlich an der Geburt ihres vierten Kindes verstorbenen Gattin Elisabeth Honegger errichten.
Ein weiteres sehr hübsches Zeugnis über den Totenkult in Mellingen hütet auch das Ortsmuseum in seiner permanenten Ausstellung. Es ist die Totenfahne des Mellinger Kirchenmalers Johann Georg Widerkehr (1647 bis 1724) von ca. 1690, welche bis 1972, als die Stadtkirche restauriert wurde, unbeachtet auf dem Kirchenestrich dahinmoderte. Als man dann den Estrich entrümpelte, landete das wertvolle Kunstobjekt in der Schuttmulde. Allein der Aufmerksamkeit des Mellinger Lokalhistorikers Albert Nüssli sel. ist es zu verdanken, dass dieses Sakralwerk nicht unterging und nun — wohl restauriert - von der Erbengemeinschaft Nüssli dem Ortsmuseum zur Verfügung gestellt wurde.
Diese Totenfahne ist insofern von besonderer Bedeutung, da es sich bei diesem Kunstwerk um das einzige Gemälde des äusserst fleissigen Kunstmalers Johann Georg Widerkehr handelt, das sich noch in unserer Gemeinde befindet. Auf der Fahne ist, wie sie zur Zeit im Museum präsentiert wird, die Vision der Auferstehung der Gebeine aus dem alttestamentlichen Buch Ezechiel dargestellt. Auf der nicht sichtbaren Rückseite thront über den Armen Seelen Maria mit Kind, an ihrer Seite die heilige Barbara, die Patronin der Sterbenden.
Die Friedhöfe
Bis 1736 bestattete man alle Verstorbenen unseres Städtchens rund um die Stadtkirche. Als in diesem Jahr die Antoniuskapelle neu gebaut wurde, errichtete man rund um dieses Gotteshaus auch einen Friedhof. Doch beerdigte man noch bis 1810 verdiente Mitbürger weiterhin bei der Kirche in der Altstadt. Erst damals wurde dieser Gottesacker endgültig aufgehoben und nur noch der Friedhof um die Antoniuskapelle benutzt.
Nach verschiedenen Erweiterungen erhielt der Friedhof 1971 seine bisherige Gestalt mit dem diskret ander Peripherie errichteten Friedhofgebäude. Auch rund um die 1835 abgebrochene Ulrichskapelle, welche in der Gabelung zwischen Hohler Gasse und Sonnenweg lag, bestand bis ins 18. Jahrhundert ein Friedhof.
Grabsteine
Aus der Zeit, als die Mellinger Bürger noch rund um die Kirche bestattet wurden, sind einige wertvolle Grabplatten erhalten, die nun am Kirchturm und an der Stadtmauer zwischen Kirchturm und Iberg bewundert werden können. Die älteste stammt von 1601 und ist ganz rechts gegen den Iberg hin angebracht. Diese relativ kleine Grabplatte erinnert an den Mellinger Stadtpfarrer Heinrich Trub, der von 1580 bis 1589 hier als Seelsorger wirkte, dann aber wegen Verschuldung und, weil er mit seiner Konkubine acht Kinder gezeugt hatte, von den Stadtbehörden abgesetzt wurde.
Das wohl wertvollste Epitaph fand in der Friedhofhalle seine Bleibe. Es handelt sich um den Grabstein des 1711 verstorbenen Kirchenplastikers Hans Adam Widerkehr, von dem sich in der Stadtkirche die beiden Johannisstatuen auf dem Hauptaltar und das prächtige Hauptportal erhalten haben.
Das Beinhaus
Die Beinhauskapelle stand unmittelbar neben der Stadtkirche. Dieses gotische Gebäude wurde 1850 abgebrochen. Im Beinhaus wurden jene Gebeine und Schädel, die bei der Neubelegung der Grabplätze noch zum Vorschein kamen, aufbewahrt.
Jahrzeitstiftungen
In der katholischen Kirche hat sich bis heute der schöne Brauch erhalten, dass für die Verstorbenen alljährlich ein Gottesdienst, die sogenannten Jahrzeiten, gefeiert werden. Damit diese Gedächtnisfeiern immer abgehalten wurden, mussten Stiftungen in Form einer Geldsumme oder von Naturalgaben entrichtet werden. Diese Stiftungen wurden in die Jahrzeitenbücher eingetragen. Da in diesem oft die Namen mehrerer Generationen einer Familie aufgeführt sind, bilden diese Folianten wertvolle Grundlage für die Familienforschung.
Das älteste Jahrzeitbuchfragment von Mellingen aus dem 14. Jahrhundert lagert im Stadtarchiv und hat Einträge, die bis 1250, also in die Zeit der Stadtgründung, zurückreichen. Das kunstgeschichtlich wertvollste Jahrzeitenbuch im Pfarrarchiv schenkte 1614 der aus Mellingen gebürtige Murianer Abt Johann Jodok Singisen. Geschrieben und verziert wurde dieses vom sehr begabten Murianer Kalligraphen und Buchmaler, dem Mönch Johann Kaspar Winterlin.
Totenbücher
Ab 1619 wurden ın Mellingen von den Pfarrern Tauf-, Ehe- und Totenbücher angelegt, für die Familien- und Sozialgeschichte immens wichtige Quellen. Wir möchten hier nur ein Beispiel herausgreifen. 1629 wütete in der ganzen Deutschschweiz die Pest. In Mellingen starben in diesem Jahr 186 Menschen, also fast die Hälfte der Bevölkerung; allein im August waren 82 Tote zu beklagen. Doch das Leben in der Stadt ging trotz dieser riesigen Katastrophe weiter.
Noch-1629 machte man sich an die Restaurierung der Pfarrkirche, wenige Jahre später wurde die Reussbrücke erneuert, und man nahm in den 1630er Jahren Dutzende von Flüchtlingen, die im Gefolge des Dreissigjährigen Krieges in die Eidgenossenschaft geflohen waren, auf. Wahrlich, unsere Vorfahren vor rund 350 Jahren hatten noch mehr Gott- und Selbstvertrauen als wir Menschen des ausklingenden 2. Jahrtausends...
Rainer Stöckli
Bild-Nr.: 39830
Bild: Fotoarchiv-Mellingen
Text: Rainer Stöckli
Copyright: Rainer Stöckli, Fotoarchiv-Mellingen