Jean Frey-Kiener

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Jean Frey-Kiener

Jean Frey-Kiener starb in der Nacht vom 23. März 1981 im Alter von 66 Jahren. Ein Herzversagen hat ihn unvermutet aus dem Kreise seiner Angehörigen und seiner Arbeit herausgerissen.
Er war am 24. April 1915 in der Sägerei in Mellingen geboren. Dort verbrachte er zusammen mit seinen Brüdern und Schwestern eine einfache, aber glückliche Jugend. In Spiel und Arbeit im väterlichen Gewerbebetrieb und zugehörigen Bauernhof lernte er die Tugenden eines naturverbundenen Handwerks kennen. Hier dürfte er seinen Sinn für das Massvolle und Beständige geweckt und geschärft haben. Dieses Gespür für das Wesen der Natur und das menschliche Dasein sollte wegleitend werden für sein späteres architektonisches Schaffen. Hier hat Jean Frey aber auch die zähe Arbeit erfahren und dabei seine starke körperliche Konstitution und seinen charakteristischen Leistungswillen entwickelt.
Wie es in traditionellen Familien früher üblich war, ist jedem Sohn schon in Jugendjahren seine spätere Rolle zu bedacht worden. Doch allen Einschränkungen den damaligen Krisenjahren zum Trotz, wollte er sich nach Abschluss der Bezirksschule nicht zufrieden geben mit einer Aufgabe im väterlichen Betrieb. Er wollte sich seinen eigenen Weg ebnen und stellte seine überraschten Eltern vor die Tatsache, dass er in Baden eine Lehrstelle als Maurer gefunden habe und antreten wolle. Getreu seinen bisherigen Erfahrungen wollte er sich das Rüstzeug für den angestrebten Architekten-Beruf von Grund auf aneignen.
Zu seiner ersten Anstellung als Bauführer fuhr er täglich mit dem Velo nach Unterkulm. In der Winterzeit absolvierte er die Baufachschule in Aarau, und in der kärglichen Freizeit liess er sich auf erste Architektur-Wettbewerbe ein. Die fehlenden technischen Hilfsmittel zur Erstellung der Pläne liessen ihn nie verzagen. Mit einfachsten Mitteln und viel Fantasie fand er immer wieder neue Wege, um seine Vorstellungen auszudrücken. Das in ihm schlummernde künstlerische Talent kam allmählich zum Vorschein und stärkte ihn in seinem Selbstbewusstsein. Hätte es die Zeit damals zugelassen, wäre er wohl aus der engen Heimat aufgebrochen.
Doch der Weltkrieg stand vor der Türe und zwang ihn, aus dem Gegebenen etwas zu machen. Mitten im Städtchen Mellingen eröffnete er sein eigenes Architekturbüro und schuf sich in zäher Arbeit die Referenz für kommunale Aufträge. Verschiedene Gebäude wie das Rathaus, das Pfarrhaus, der Hexenturm, das zweite Tor oder die Post tragen seine Handschrift. Eine Handschrift, die sich der städtebaulichen Bedeutung eines Gebäudes unterordnete und nicht der eigenwilligen Selbstdarstellung diente. Im gleichen Geiste hat er auch für die Einführung des damals noch wenig bekannten Zonenplans gekämpft. Ihm lag daran, Ordnung in die sich abzeichnende Bautätigkeit zu bringen und das Gesamt des historischen Städtchens Mellingen zu schützen. In seiner Vorliebe für das Gewachsene übernahm er auch zahlreiche Aufträge für landwirtschaftliche Siedlungsbauten. Dabei kamen ihm seine fundierten Kenntnisse über Vieh- und Landwirtschaft zu statten.
Es war typisch für seine Arbeitsweise, dass er die Bauherrschaft zuerst kennen lernen wollte, bevor er in zügiger und gekonnter Art seine Projekte entwarf. Dabei verliess er sich auf seine Beobachtungsgabe und das erstaunliche Gedächtnis für scheinbar Belangloses aber eben Kennzeichnendes. Aus dergestalt gewonnenen Details schuf er sich ein klares Bild.
In gleicher Weise förderte er seine musischen Talente, die seiner Persönlichkeit die einnehmende Dichte und Abrundung verliehen. In Freizeitkursen an der Kunstgewerbeschule in Zürich lernte er Skulpturen aus Ton modellieren und knüpfte dort erste Kontakte zu bildschaffenden Künstlern. Eine enge Beziehung verband ihn zum Maler Otto Kuhn, mit dem er verschiedentlich die Provence bereiste und seine Aquarelle malte. Er war regelmässiger Besucher von Ausstellungen einheimischer Künstler, zu denen er persönlichen Kontakt pflegte. Kunst kommt von Können, und dieses Können wollte er bei den von ihm bevorzugten Künstlern selber erfahren und erleben. Aus dieser praktischen Anschauung schärfte er sein Urteilsvermögen für echt künstlerische Werte. Jean Frey war auch ein profunder Kenner von Blas- und Marschmusik und spielte früher selber das Waldhorn in der Stadtmusik. Erholung und Naturnähe suchte er in ausgedehnten Bergwanderungen und besonders auf der Jagd. Die Riten der Jagd, die genauste Beobachtung des Wildes und die besondere Gemeinschaft der Jäger und nicht Grossmannssucht waren es, die ihn bis in seine letzten Jahre immer wieder fesselten.
Zwar beherrschte auch er das fantasiereiche Jägerlatein, wie er überhaupt ein unterhaltender Erzähler war. Doch gehörte er eher zu den Bescheidenen und bevorzugte die Tischrunde mit einfachen Leuten, die wie er etwas von ihrem Fache, ihrem Gebiete verstanden.
Die Arbeit war für Jean Frey sicher ein zentrales Element in seinem Leben. Dennoch hat er viel Kraft für seine Familie freigemacht. 1944 heiratete er Betty Kiener von Sulz im Seetal. Sie war ihm eine aufopfernde Partnerin bei der Erziehung der vier Kinder. Gemeinsam haben sie ihren Kindern für die damalige Zeit ungewohnt reichlich Gelegenheit zur persönlichen Entwicklung geboten. Zwar konnten sie als Erzieher ihre eigene starke Prägung durch die Krisenzeiten nicht verleugnen, aber sie haben bei ihren Kindern den Willen zur Selbständigkeit ebenso gefördert.
Vielleicht hat Jean Frey die zeitbedingte Enge in seinem Lebensraum mehr zugesetzt als er sich selber eingestehen wollte. Dank seiner unbändigen Kraft gelang ihm ein volles Lebenswerk. Doch spürte er wohl, dass ihm einiges versagt blieb. Das hat mit der Zeit seinem Gemüte zugesetzt. In einigen ausgedehnten Reisen, in seinem musischen Schaffen und den langen Wanderungen konnte er begrenzt ausbrechen, um nachher wieder gestärkt in seine Verpflichtungen zurückzukehren. Seine Grosskinder, die er überaus liebte, haben ihm in seinen letzten Jahren einiges an Ruhe und Gelassenheit gegeben. Doch wird es den Hinterbliebenen verborgen bleiben, was ihn kurz vor seinem Ableben zu einer erneuten Arbeitsunrast antrieb. Vielleicht hatte er, der sonst das Mass des Lebens kannte und wahrte, an sich selbst ein zu grosses Mass angelegt.
Seine Angehörigen und alle, die ihn kannten, haben ihn zu früh verloren. Sie werden seine Persönlichkeit in guter Erinnerung behalten.

Riccardo Biffi


Bild-Nr.: JF001
Bild: Elisabeth van Heijningen
Text: Riccardo Biffi
Copyright: Elisabeth van Heijningen/Riccardo Biffi

23.03.1981