1108 - Mellingen und die Habsburger, Rainer Stöckli

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1108 - Das Habsburger Jubiläumsjahr, Rainer Stöckli

Mellingen und die Habsburger - Ein Beitrag zum Habsburger Jubiläumsjahr

Das Jahr 2008 ist für das Haus Habsburg in zweifacher Hinsicht ein Jubiläumsjahr:
1108, also vor 900 Jahren, werden die Grafen von Habsburg erstmals mit diesem Namen urkundlich erwähnt.
Und vor 700 Jahren, am 1. Mai 1308, ermordete Johann von Schwaben bei Windisch seinen Onkel, König Albrecht I. Letzterer hatte 1296 unserer Gemeinde
das formelle Stadtrecht verliehen. Deshalb wollen wir hier den Beziehungen Mellingens zu diesem Dynastengeschlecht nachgehen.

Eine antihabsburgische Gründung
Die Grafen von Kyburg gaben in den 1230er-Jahren den Anstoss zum Bau der befestigten Siedlung Mellingen. Wann genau und in welchem Umfang Baden und Lenzburg sowie das Gebiet um Mellingen kyburgisch wurden, ist nicht genau eruierbar. Als Widerpart war aber nördlich von Mellingen im Eigenamt und in Brugg das Haus Habsburg präsent, ebenfalls im Süden im Raum Bremgarten.
Was lag da für die Kyburger näher, als am direkten Weg zwischen Baden und Lenzburg, dort wo die Reuss am schmalsten ist, eine bewehrte Marktsiedlung mit Brücke zu errichten?

Mellingen wird habsburgisch
Bereits in den 1250er-Jahren lehnte sich aber der Inhaber Mellingens und verschiedener Städte im Westaargau, Hartmann V. von Kyburg, an die Habsburger an. Da sein Onkel, Hartmann IV., dessen Herrschaftsbereich in der Ostschweiz lag,1264 kinderlos starb und Hartmann V. bei seinem Tod 1263 nur die Tochter Anna hinterliess, starb dieses Grafengeschlecht im Mannesstamm aus. So übernahm Rudolf von Habsburg die Vormundschaft über obgenannte Anna. 1273 verheiratete sich diese auf Anstiftung Rudolfs hin mit dessen Vetter Eberhard I. von Habsburg-Laufenburg. Eberhard und Anna wurden zu den Stammeltern des nachmaligen Hauses Kyburg-Burgdorf. Rudolf selbst kaufte noch im selben Jahr von den beiden neben Mellingen u.a. auch die befestigten Märkte Lenzburg, Aarau und Sursee.

Habsburger Siegel
Bemerkenswert ist, dass Mellingen sicher seit 1293 in seinem Siegel das Wappen von Habsburg-Österreich führte, mit Österreicher Binde in der oberen Hälfte und darunter den Habsburger Löwen. Dem gegenüber zierte vermutlich von Anfang an - sicher aber seit der Schlacht von Sempach 1386 - eine Kugel die Mellinger Fahne. Aufgrund dieses Fahnenbilds war die Kugel bis 1935 auch das offizielle Wappen Mellingens. Obgenanntes Siegel mit Löwenwappen verwendete die Stadt einzig im schriftlichen Verkehr teilweise bis ins 18. Jahrhundert, zu einer Zeit also, da Mellingen keineswegs mehr eine Habsburger Stadt war. Dies ein deutlicher Hinweis, dass man damals noch auf die habsburgische Vergangenheit und auf das nach wie vor geltende habsburgische Recht stolz war. Ein diesbezüglicher Hinweis ist auch, dass es die Bürger selbst im
17. Jahrhundert nicht ungebührlich fanden, oberhalb des Bogens am Reusstor neben den Wappen der VIII Regierenden Orte in der Mitte auch das Reichswappen aufzumalen und 1675 an der Kirchenfront über dem Hauptportal der neuerbauten Kirche das Mellinger Doppelwappen mit Reichsadler anzubringen (Abbildung oben). Über das 1935 neu eingeführte, dem Siegel von 1293 nachempfundene offizielle Gemeindewappen mit Habsburger Löwen, siehe Städtlichronik 2007, S. 86-90.

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Erzherzog Albrecht verleiht das formelle Stadtrecht
In dem von Herzog Albrecht von Habsburg, dem späteren König, am 29.November 1296 in Linz ausgestellten Stadtrechtsbrief wird erwähnt, dass er in Anbetracht der grossen Verdienste der Mellinger Bürger diesen die gleichen Rechte, wie sie die Bewohner Winterthurs genossen, verleihe. Es erstaunt, dass dem kleinen Städtchen an der Reuss ein derart komfortables Recht zugestanden wurde. Aus heutiger Sicht muss man nämlich annehmen, dass in Mellingen nach dem Tod von König Rudolf im Jahre 1291 gewisse antihabsburgische Tendenzen vorherrschten. Da aber Mellingen strategisch sehr wichtig war, ist die Deutung nicht abwegig, dass das Haus Habsburg unsere Vorfahren nicht so sehr wegen deren Verdienste mit diesem vorteilhaften Recht bedachte, sondern viel eher durch grosszügige Privilegien wieder auf eine herrschaftstreue Linie einschwören wollte. Der noch heute im Original wohl erhaltene Stadtrechtsbrief ist das Prunkstück in unserem Stadtarchiv.

Mellinger kämpften für die Habsburger
Von 1273 bis 1415 waren die Habsburger Landesherren in Mellingen. Damit verbunden war die Pflicht, seinem Herrn Heeresfolge zu leisten. Noch im selben Jahr, als Rudolf Mellingen kaufte, wählten ihn die Kurfürsten zum deutschen König. Einer seiner grössten Widersacher war König Ottokar von Böhmen, den Rudolf 1278 in der Schlacht auf dem Marchfeld besiegte und damit ein Reich begründete, mit Österreich und der Steiermark im Osten sowie Gebieten in Süddeutschland, im Elsass und in der heutigen Schweiz im Westen. An dieser Schlacht sollen auch Mellinger Bürger mitgekämpft haben. Laut Tradition hatten diese zudem 1298 auch König Albrecht in der Schlacht am Hasenbühl bei Speyer unterstützt, wo letzterer den abgesetzten König Adolf von Nassau besiegte.
Als recht sicher darf angenommen werden, dass Mellinger Bürger am Gefecht von Morgarten 1315 auf habsburgischer Seite mitgefochten haben. Gesichert ist der Einsatz von Mellinger Truppen 1351, als in den Auseinandersetzungen Habsburgs mit der Stadt Zürich in einem Gefecht bei Dättwil zahlreiche Soldaten aus den aargauischen Städten umkamen. Und in der Schlacht bei Sempach 1386 büssten rund 10 Mellinger Bürger ihr Leben ein; das Stadtbanner geriet in Luzerner Hände.

Grosse Freiheiten
Im Laufe des 14. Jahrhunderts errangen die Mellinger immer mehr Rechte und Freiheiten. So überliessen die Habsburger 1359 den Bürgern den Brückenzoll mit der Auflage allerdings, damit für den Unterhalt der Reussbrücke aufzukommen. Und 1364 gestanden sie der Stadt zu, die niedere Gerichtsbarkeit im Trostburger Twing, dem Gemeindegebiet rechts der Reuss, von Ritter Rudolf von Trostberg zu erwerben. Um 1400 ging gar die Blutgerichtsbarkeit an die Stadt über. Da die Herzöge von Habsburg vor allem gegen Ende des 14. Jahrhunderts oft in Geldnöten steckten und die Steuern in Mellingen mehrmals an finanzkräftige Personen verpfänden mussten, dürfte der Einfluss der Landesherren eher abgenommen haben. Deshalb ist anzunehmen, dass sich die Mellinger in dieser Situation recht komfortabel fühlten. Doch dieser Zustand endete jäh, als König Sigismund über den Landesherrn, Herzog Friedrich von Habsburg, wegen dessen Parteinahme für den Gegenpapst Johannes XXIII.(!) die Reichsacht verhängte und der König die Eidgenossen geradezu einlud, den habsburgischen Aargau zuhanden des Reichs zu erobern. Vermutlich wäre Mellingen gerne bei Österreich verblieben, wehrte es sich doch vehement gegen die angreifenden Zürcher. Doch nach drei Tagen Widerstand musste sich Mellingen am 21. April 1415 den Belagerern ergeben und wurde die aller erste Untertanenstadt der Eidgenossenschaft (s. Abbildung 41115.2).

Damit endete nach 142 Jahren die Herrschaft des Hauses Habsburg-Österreich. Bedeutsam war aber, dass Mellingen alle seine städtischen Rechte auch unter den Eidgenossen beibehalten konnte. De jure hatten die Eidgenossen den Aargau den Habsburgern bloss zuhanden des Reichs abgerungen. De facto wurden aber Mellingen und die anderen Städte des Aargaus Untertanen der eidgenössischen Orte, verpfändete doch der König die Stadt noch 1415 an die Stadt Zürich, welche darauf auch die andern eidgenössischen Orte an der Mitherrschaft teilhaben liess. Immerhin findet sich aber im Stadtarchiv eine Urkunde, worin Kaiser Sigismund der Stadt Mellingen noch 1434 alle Freiheiten bestätigt, insbesondere den Brückenzoll und den Viehtrieb.

Letzte Bewährungsprobe
Wer aber glaubt, Mellingen sei nach 1415 eindeutig ins Herrschaftsgebiet der eidgenössischen Orte eingebunden gewesen, täuscht sich. Dies offenbarte sich insbesondere im Alten Zürichkrieg (1436-1450). Dieser anfänglich vor allem zwischen Zürich und Schwyz geführte Kampf um das Erbe der im Mannesstamm ausgestorbenen Grafen im Toggenburg breitete sich zu einem eidgenössischen Flächenbrand aus, als sich Zürich 1442 von den eidgenössischen Orten lossagte und mit Habsburg-Österreich ein Bündnis einging. Hinter diesem Schachzug stand unter anderem die Absicht von König Friedrich III. aus dem Hause Habsburg, neben den 1415 und später an die Eidgenossen verlorenen Gebieten auch den Aargau wieder zurückzugewinnen. Damals gab es in unserer Stadt eine eindeutige prohabsburgische Partei, wurde doch in diesem Jahr der Mellinger Schultheiss Hans Rudolf I. Seggesser durch König Friedrich III. in den Adelsstand erhoben. So verwundert es nicht, dass sich Mellingen neben Baden im Jahre 1443, als der Krieg in aller Härte wieder neu ausbrach, für neutral erklärte. In einem Brief vom 31. Mai 1443 ergriff Mellingen sogar eindeutig Partei für das abtrünnige Zürich. Doch die Limmatstadt liess das Reussstädtchen im Stich, weshalb im darauffolgenden Monat eine Besatzung der übrigen eidgenössischen Orte in Mellingen einmarschierte.
Vermutlich wurde damals auch Mellingen-Dorf, das heutige Gebiet rechts der Reuss, praktisch vollständig niedergebrannt. Erneut ergab sich die Stadt mit Brief vom 13. Juni1443 als guter Freund Zürichs zu erkennen. Doch Zürich reagierte nicht. Bis 1448 lagerten innerhalb der Mauern Mellingens eidgenössische Besatzungen (s. Abbildung 41115.3). Wie viel Elend die Gemeinde in diesen Jahren erdulden musste, kann nur erahnt werden. Als endlich 1450 Zürich mit den übrigen Eidgenossen wieder Frieden schloss und das Bündnis mit Österreich auflöste, kehrte auch wieder Ruhe in Mellingen ein. Die Eidgenossen bestätigten der Stadt die bisherigen Rechte, während Schultheiss, Rat und Bürger den Eidgenossen den 1415 geschworenen Treueeid erneuerten .1450 darf daher als jenes Jahr bezeichnet werden, in welchem die Einflussnahme des Hauses Habsburg auf den Aargau und somit auch auf Mellingen ihren endgültigen Abschluss fand.


Literaturauswahl:
- Liebenau Theodor von. Die Stadt Mellingen. In: Argovia XIV (1884), spez.S.7-29
- Meier Bruno. Ein Königshaus aus der Schweiz. Die Habsburger, der Aargau und
die Eidgenossenschaft im Mittelalter. Baden 2008
- Rohr Heinrich. Die Stadt Mellingen im Mittelalter. Aarau [1947]
- Stöckli Rainer. Mellingen - Werden einer Stadt. In: Mellinger Städtlichronik 1996,
S.46-63






Bild-Nr.: 41115
Bild: Mellinger Städtlichronik 2008
Text: Mellinger Städtlichronik 2008/Rainer Stöckli
Copyright: Mellinger Städtlichronik 2008

1108

Zürich erobert Mellingen 1415


Bild-Nr.: 41115.2
Bild: Mellinger Städtlichronik 2008
Text: Mellinger Städtlichronik 2008/Rainer Stöckli
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1415

Hauptmann Hans von Rechberg zieht 1445 mit seinen Truppen durch Mellingen


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Text: Mellinger Städtlichronik 2008/Rainer Stöckli
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1445