1504 - Glücksspiele - Ein Viertel der Bevölkerung nahm an einer Zürcher Lotterie teil, Rainer Stöckli

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1504 - Glücksspiele - Ein Viertel der Bevölkerung nahm an einer Zürcher Lotterie teil

Genau vor 500 Jahren, im Spätsommer 1504, fand in Zürich ein grosses Schützenfest statt. Damals war es meist üblich, daneben auch gross angelegte Glücksspiele zu organisieren, an denen nicht nur die schiessbegeisterten Männer, sondern auch die Frauen ihr Vergnügen hatten. Diese Glücksspiele nannte man Glückshafen. Neben dem Nervenkitzel für die Festbesucher dienten diese Glückshafen auch zur Mitfinanzierung der Schützenfeste. Eines der ersten urkundlich bezeugten Glückshafenspiele fand ebenfalls in Zürich, nämlich 1465, statt. Eine gleiche Lotterie wurde 1468 in Mellingen durchgeführt,1472 eine weitere wieder in Zürich, und 1495 versuchte sogar ein Wirt in Dietikon auf diese Weise seine Einkünfte aufzubessern.

Was aber den Glückshafen von 1504 in Zürich historisch so bedeutsam macht, ist die Tatsache, dass alle Teilnehmer an dieser Lotterie in einem Buch mit Angabe des Namens, der Herkunft und hie und da auch der Verwandtschaft verzeichnet sind. In diesem Rodel sind nicht weniger als gegen 24000 Namen aus der Eidgenossenschaft sowie dem benachbarten Ausland aufgeführt. Dieses Namenmaterial ist für die Personen- und Familiengeschichte eine echte Fundgrube. Die 89 Personen, die darin aus Mellingen aufgelistet sind, machen den Glückshafenrodel von 1504 zum ältesten Dokument unserer Gemeinde, wo in einer einzigen Akteneinheit rund ein Viertel der Bevölkerung Mellingens namentlich aufgeführt wird.

Wie ging diese Lotterie vor sich?
Mit einem Einsatz von 6 Hellern war man mit dabei; dieser entsprach etwa dem Wert eines Liters Wein der besseren Sorte, wobei beliebig viele Einsätze pro Person möglich waren. Insgesamt waren 1504 28 Geldpreise im Betrag von 1 bis 50 Gulden - insgesamt 300 Gl. - ausgesetzt. Ein Gulden hatte etwa den 80-fachen Wert des Einsatzes von 6 Hellern. Der Name eines jeden Teilnehmers wurde nicht nur in besagtes Buch, sondern zusätzlich auf spezielle Zettel geschrieben und diese in ein Behältnis, den sogenannten Glückshafen, gelegt.
Eben so viele leere Zettel wurden in einen zweiten Hafen eingebracht, dazu noch 28 Zettel, auf denen die entsprechenden Preise vermerkt waren. Einlagen konnten ab dem 1. März 1504 gemacht werden; die Ziehung selbst fand am 16. September statt. Zwischen die zwei Hafen wurde ein Knabe gestellt (s.Abbildung). Dieser griff nun gleichzeitig in beide Hafen und nahm je einen Zettel aus dem «Namenhafen» und einen aus dem andern Hafen heraus. Griff dieser nun aus Ietzterem Hafen einen Zettel mit Preisangabe heraus, war diejenige Person, welche gleichzeitig auf einem Zettel des andern Hafens stand, der Gewinner dieses Preises. Dieses Prozedere wiederholte sich, bis alle 28 Preise gezogen waren. Dieses komplizierte Verfahren muss viele Stunden gedauert haben.

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Grundsätzlich muss jedoch festgehalten werden, dass nicht alle der im Glückshafenrodel von 1504 genannten Leute persönlich in Zürich weilten, um an dieser Lotterie teilzunehmen. Recht viele beauftragten wohl andere, für sie Einzahlungen zu tätigen. Manche Einsätze sind wohl auch als Geschenke Dritter zu betrachten.
Dass die Bewohner der Städte meist wohlhabender waren als die Landbevölkerung und es sich darum leisten konnten, am Glückshafenspiel teilzunehmen, ist eklatant. So lassen sich allein aus Baden 400 – 500 Bürger nachweisen, was beinahe der Hälfte der damaligen Wohnbevölkerung entsprach. Recht beachtlich sind auch die 89 Personen aus Mellingen, in welchem damals gegen 400 Einwohner lebten. Bemerkenswert ist zudem, dass davon 42 Personen, d.h. beinahe die Hälfte, Frauen waren. Also auch schon vor 500 Jahren gönnten die Herren der Schöpfung ihren Frauen hie und da ein «Freudeli». Da es damals in Mellingen noch keine direkten Steuern und somit auch keine Steuerrödel gab, ist diese Liste mit 89 Namen für diese Zeit einzigartig und sagt auch einiges darüber aus, welche Familien dannzumal in Mellingen wohnten. Nicht verwunderlich ist, dass die Magistratenfamilie Segesser mit 8 Mitgliedern am besten vertreten ist, darunter auch Johann Segesser, Chorherr von Beromünster, und der ehemalige Schultheiss Hans Ulrich Segesser samt Ehefrau Veronika Segesser, geborene von Silenen, 7 Personen entstammten der Familie Bachmann, je 6 den Familien Scherer und Schuhmacher und deren 5 der Familie Wyss, Interessant ist, dass es sich bei den Schuhmachers um eine einzige Familie handelt: Peter Schuhmacher, seine Frau Anna, die beiden Söhne Hans Ulrich und Hans sowie die Töchter Barbara und Richli. Von den damals blühenden, heute in Mellingen aber ausgestorbenen Familien sind die Murer und Holzrüti (je 3) und die Singisen (2) zu erwähnen. Erster urkundlich erwähnter Hirschenwirt war Rudolf Murer. Dieser nahm mit seiner Gattin Richli und seiner Tochter Elisabeth am Glücksspiel teil. Mit dabei waren auch dessen Bedienstete, der Knecht Konrad und die Magd Anna Leinbühler. Dies ist erneut ein Hinweis, dass damals Tavernenwirte begüterte Leute waren, die sich auch Dienstboten leisten konnten.
Von den Frey, der einzigen Familie, die schon im 14. Jahrhundert in Mellingen auftaucht und heute noch in Mellingen ansässig ist, sind immerhin drei Personen im Rodel eingetragen.
Auch die Geistlichkeit spielte in Zürich munter mit. Von Chorherr Segesser war schon die Rede. In Mellingen selbst wohnten damals meist 4 Geistliche, der Pfarrer und 3 Kapläne. So versuchten der Kaplan der Mittelmesserpfrund, Dominik Albert, und seine Schwester Agatha Hermann, die ihrem Bruder wohl als Köchin diente, in Zürich ihr Glück. Um wen es sich beim «Schwartz pfaff von Mellingen» handelt, konnte nicht eruiert werden.
Übrigens: kein einziger Mellinger gewann an diesem Glücksspiel einen Preis, mit anderen Worten: 89 Mellinger subventionierten vor 500 Jahren recht massiv ein Zürcher Schützenfest! Einzige glückliche Gewinnerin aus unserer Region war Valeria MöIiker aus Birmenstorf; sie durfte stolze 10 Gulden nach Hause tragen.

Wie gesagt, wurde dieses Glücksspiel in Zusammenhang mit einem grossen Schützenfest, das vom 12. August bis 16. September 1504 in Zürich stattfand, organisiert. Fakt ist, dass auch die Stadt Mellingen zu diesem Anlass offiziell eingeladen wurde. Wenn man sich aber in den Listen der Bogen- und Gewehrschützen umsieht, findet man keinen einzigen Bürger unserer Stadt, geschweige denn, dass ein Mellinger einen Kranz oder sonst einen Preis herausgeschossen hätte. Allerdings kommt bei der relativ geringen Anzahl der Schützen, welche im Festrodel eingeschrieben wurden, der Verdacht auf, diese Verzeichnisse seien unvollständig. Denn dass sich 47 Mellinger männlichen Geschlechts an der Lotterie beteiligt hätten, sich aber kein einziger Bewohner im Schiesssport hätte üben wollen, gäbe nicht gerade ein gutes Zeugnis über die Wehrbereitschaft unserer Vorfahren vor 500 Jahren ab.

Namen der Mellinger, welche am Glückshafenspiel teilnahmen:
Albert Dominik, Kaplan an der Mittelmesserpfründe – Bachmann Anna, Barbara, Hans, Rudolf, Thomas, Ursula, Veronika – Bühler Agnes - Bürgler Ulrich - Emch Rudolf – Erlicher Paul – Falk: Fridli, Hans, Ursula – Frey: Fridli, Hans, Rudolf – Gingi: Rudolf, Veronika - Gotz Jakob - Grewling Rudolf, Verena - Indergrueb: Hans, Thomas, Trudi - Jäger: Elsi, Margret, Ulrich – Hermann Agatha, Schwester von Kaplan Dominik Albert – Holzrüti: Agatha ,Barbara, Hans Ulrich - Hoppler: Gretli, Hans Ulrich - Kalb: Hans, Margret - Keiser: Margret, Ytli - Konrad, Knecht des Hirschenwirts - Kranz: Elsi; Michael, Gatte von Elsi - Küttinger: Barbara,Hans - Leinbühler Anna, Magd des Hirschenwirts - Mäder Margret – Meyer Anna - Murer: Elisabeth, Tochter des Hirschenwirts; Rudolf, Hirschenwirt; Richli, Gattin des Hirschenwirts - Nithart Anni - Rey: Hans, Margret – Scherer: Christinan, Elsi, Hans, Hans Ulrich, Lienhard, Rudolf- Schuhmacher: Barbara, Peters Tochter; Anna, Peters Gattin; Hans, Peters Sohn; Hans Ulrich, Peters Sohn; Peter; Richli, Peters Tochter - «der Schwartz pfaff von Mellingen» - Schnetzer Yreni - Schwigger Laurenz - Segesser: Barbara; Christoph; Elisabeth; Hans; Hans Ulrich, alt Schultheiss; Johann, Chorherr von Beromünster; Salomon; Veronika, geborene von Silenen, Gattin des Hans Ulrich - Singisen: Elsi, Rudolf - Walch Martin - Wagner: Gangolf Hans - Wyss: Adelheid, Gattin des Hans; Elisabeth; Gertrud; Hans; Margret - Zerisen: Fridli, Ursula – Ziegler Margret.

Quelle: Friedrich Hegi. Der Glückshafenrodel des Freischiessens zu Zürich1504.2 Bände. Zürich1942.

Bild: Das Ziehen der Zettel beim Glückshafenspiel in Zürich am 16. September 1504.
Nach einem Holzschnitt aus der Chronik des Gerold Edlibach (1454 - 1530) von Zürich. Abbildung aus: Historisches Lexikon der Schweiz.


Bild-Nr.: 41109
Bild: Mellinger Städtlichronik 2004
Text: Rainer Stöckli/Mellinger Städtlichronik 2004
Copyright: Rainer Stöckli/Mellinger Städtlichronik 2004

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