1505 - Der Stadtbrand von Mellingen, Rainer Stöckli

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1505 - Der Stadtbrand von Mellingen


Bild-Nr.: 41108
Bild: Der Brand von Mellingen. Chronik des Johannes Stumpf,1548.
Text: Rainer Stöckli/Mellinger Städtlichronik 2005
Copyright: Rainer Stöckli/Mellinger Städtlichronik 2005

01.09.1505

1505 - Der Stadtbrand von Mellingen

Vor genau 500 Jahren brannte die Altstadt von Mellingen zu rund 75 Prozent ab. Neben verschiedenen Pestepidemien - so jener von 1629, wo fast die Hälfte der Bevölkerung dahingerafft wurde - war dieses Schadenfeuer das schlimmste Ereignis unserer Stadtgeschichte.

Der Brandstifter
Besonders tragisch war, dass dieser Brand von einem eigenen Bürger gelegt wurde. Ruedi Stalder hiess er; von Beruf war er Bäcker. Laut verschiedener Chroniken muss Stalder ein schlimmer Geselle gewesen sein. Wegen Diebereien sah er sich gezwungen, seine Heimat zu verlassen. Darauf trieb er sich jahrelang im Elsass umher. 1505 kehrte er unerkannt nach Mellingen zurück. Er hatte Böses im Sinn. Aus eigener Anschauung wusste er, dass im Rathaus in der Schatzkammer, dem sogenannten «Gewölbe», viel Bargeld und Silberbecher verwahrt wurden. Um an diese Wertsachen heranzukommen, hatte er eine infame Idee. Er beschloss, weitab des Rathauses - im Volksmunde meint man, es sei in der Unterstadt gewesen - eine Kornscheune anzuzünden, um von seinem Vorhaben abzulenken. Mit Bedacht wählte er die Nacht vom 31. August auf den 1. September. Denn dannzumal hielt sich auch viel fremdes Volk im Städtchen auf. Dieses beabsichtigte, auf dem Flussweg an den Verenamarkt vom 1. September nach Zurzach zu fahren, und machte in Mellingen Zwischenhalt. So fiel Stalder weniger auf. Nachdem er die Scheune an verschiedenen Stellen angezündet hatte, eilte er flugs zum Rathaus. Doch seine Rechnung ging nicht auf. Das kopflos umherirrende Volk hinderte ihn daran, sich Zugang zum «Gewölbe» zu verschaffen. Als das Feuer immer mehr überhand nahm, verliess Stalder fluchtartig die Stadt. Vorerst fiel der Verdacht nicht auf Stalder. Einen Fremden, der eifrig beim Löschen des Brandes mitgeholfen hatte, stachen argwöhnische Bürger nieder. Ein diebischer Alteisenhändler aus Mellingen wurde ebenfalls verdächtigt und gestand in Baden unter Folter, mit drei andern das Feuer gelegt zu haben. Wegen Falschaussage übergab man diesen dem Scharfrichter. Um den 22. September herum wurde Ruedi Stalder am Mauritiusmarkt in Zofingen verhaftet. Dieser gab seine Tat zu und wurde, wie in der Chronik von Johannes Stumpf nachzulesen ist, in Zofingen «erstlich mit dem Rad gericht, an Galgen gestrickt und darnach zu äschen verbrennt».

Die Brandnacht
Über den eigentlichen Brand, über die Brandbekämpfung wissen wir sehr wenig. Einzig aus dem «Roten Buch der Stadt Brugg» vernehmen wir, 30 Mann aus dem Aarestädtchen seien den Mellingern zu Hilfe geeilt. Die Chroniken berichten, dass bloss Brücke, Rathaus, Kirche und Iberg vom Brand verschont geblieben seien.

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Die Baumeisterrechnungen von 1506/07 belehren uns jedoch eines anderen. Während der Iberg das Unglück offenkundig unversehrt überstand, erlitten Kirche, Rathaus und Brücke zwar nicht Totalschaden; grössere Restaurationsarbeiten sind jedoch nachgewiesen. Über das wirkliche Ausmass dieser Katastrophe sind wir auf Spekulationen angewiesen. Wir wissen nicht, welche Stadtteile besonders betroffen waren. Da aber bekannt ist, dass alle drei Tore, die Umgebung der Kirche (Totalschaden des Pfarrhauses und der Kaplaneien) und auch Rathaus und Brücke in Mitleidenschaft gezogen wurden, muss angenommen werden, der Brand sei sehr grossflächig gewesen. Aufgrund von Hochrechnungen dürften etwa 75 Prozent aller Wohnhäuser, Ställe, Scheunen und öffentlichen Gebäude Teil- oder Totalschaden erlitten haben.


Eine Welle der Hilfsbereitschaft
Gross war die Hilfsbereitschaft, dem brandgeschädigten Städtchen unter die Arme zu greifen, sei es in barer Münze - rund 800 Gulden - oder in Form von Naturalien wie Tücher, Holz, Getreide, Brot, Schafe usw. So spendete, Zürich 200 Gulden oder Bern etwa 21 Tonnen Korn. Sehr segensreich war, dass die Stadt Luzern neben 100 Gulden unserer Gemeinde zwei Tannenwälder zur Nutzung überliess. Der eine lag im Bereich von Inwil / Emmen, der andere in der Gegend von St. Urban. Diese beiden Wälder wurden nicht von ungefähr gewählt, boten doch beide die besten Voraussetzungen, die vielen hundert Stämme von Emmen / Inwil direkt auf der Reuss bis vor die Tore Mellingens und jene aus der Region St. Urban vermutlich von Murgenthal bis Wildegg auf der Aare zu flössen. Bemerkenswert sind die Spenden der Stadt Brugg (15 Gulden, ein Karren Brot und 2 Käse) sowie der Abtei Wettingen (ca.150 kg Getreide, rund 380 Liter Wein und 3 Schafe).

Der Wiederaufbau
Vom Dezember 1505 ist uns eine Liste jener 45 Bürger erhalten geblieben, die bereit waren, ihr Haus wieder aufzubauen. Schon im September 1505 hatte die eidgenössische Tagsatzung in Einsiedeln bezüglich des Wiederaufbaus folgendes verfügt: Alle Spenden sollen nur jenen Brandgeschädigten zugute kommen, welche ihr Haus wieder aufbauen wollen. War ein Gebäude mit Schuldtiteln belastet, mussten die Schuldner in den nächsten Jahren keine Zinszahlungen leisten. Wer nicht bereit war, sein Haus wieder aufzurichten, verlor sein Recht auf Grund und Boden. Der Hausplatz ging in diesem Fall an den Hypothekargläubiger über. Wie viele Bürger nach der Brandkatastrophe wegzogen, ist nicht bekannt. Man muss annehmen, dass bis 1509 ein Grossteil der Gebäude wieder instand gestellt waren. So wurde in diesem Jahr Dr. med. Peter Holzrüti, der spätere Stadtarzt von Zürich, ultimativ aufgefordert, das von seinem Bruder ererbte Haus wieder aufzubauen. Vieles spricht dafür, Holzrüti sei dieser Aufforderung nicht nachgekommen.

Der Bau einer Ziegelhütte und einer Kalkbrennerei
Wenn auch für den Wiederaufbau nachweisbar viel Holz verwendet wurde, so steht ebenso sicher fest, dass man darauf bedacht war, vermehrt feuerresistente Materialien wie Ziegel, Back- und Bruchsteine zu verwenden. Während man 1494 für das Eindecken des Kirchendachs noch Ziegel von Bremgarten bezog, beschloss Mellingen 1505, unterhalb des Städtchens bei der Waag, dem heutigen Schwarzgraben, dicht an der Reuss eine eigene Ziegelhütte zu bauen. Gebrannt wurden hauptsächlich Dachziegel; von Backsteinen vernehmen wir wenig. Trotz ihrer leichten Entflammbarkeit verwendete man für die Bedachung auch nach dem Brand teilweise Schindeln. Allein in den Baumeisterrechnungen ist bezeugt, dass über 70'000 Holzschindeln nach Mellingen transportiert worden seien. Das Mauerwerk bestand insbesondere aus Bruch- und Bollensteinen. Um diese zu massiven Mauern zusammenzufügen benötigte man viel Mörtel. Neben Wasser und Sand bestand dieser hauptsächlich aus gelöschtem Kalk. Dieser Kalk wurde in Brunegg am Kestenberg abgebaut. Bevor dieser «geschwellt» (gelöscht) werden konnte, musste der Kalk auf 800 bis 900 Grad erhitzt werden. Darum unterhielt Mellingen in Brunegg eine eigene Kalkbrennerei. Von hier wurde der gebrannte Kalk nach Mellingen gekarrt.

Fremde Handwerker
Das einheimische Gewerbe konnte den Wiederaufbau der Stadt unmöglich allein bewältigen. Insbesondere über den Wiederaufbau der öffentlichen Gebäude sind wir durch die Abrechnungen des Baumeisters, der das Bauwesen der Stadt betreute, und des Kirchmeiers, des Verwalters der Kirchengüter, aus den Jahren 1506 und 1507 bestens orientiert. Während an der Kirche, am Rathaus und an der Brücke nur Teilrenovationen nötig waren, mussten das Pfarrhaus und die drei Kaplaneihäuser von Grund auf neu erbaut werden. Bauarbeiten sind auch am Brückentor, am Bruggertor, an der Zollstube neben dem Brückentor und am Zeitturm bezeugt. Auch an der Stadtmauer sowie am Schulhaus und an der städtischen Metzgerei, beide am Kirchplatz gelegen, waren Bauarbeiten nötig. Meister Rudolf Hochinger von Baden erhielt den Auftrag, den Dachstuhl der Kirche zu erneuern und das Dach mit Ziegeln zu decken. Ein Hafner von Lenzburg errichtete einen neuen Ofen in der Zollstube. Meister Michel von Bremgarten baute die Kachelöfen im Pfarrhaus und in der Mittelmesserkaplanei auf. Maurermeister Lienhard von Lenzburg werkte an der Zollstube und am Rathaus. Konrad Bur von Baden führte an den drei Toren Maurerarbeiten aus. Der ebenfalls aus Baden stammende Hans Bur mauerte den Keller im Mittelmesserhaus. Dachnägel, d.h. Nägel zum Befestigen von Dachschindeln, wurden von Othmarsingen bezogen. Ein Säger von Bremgarten lieferte Bretter für die Reussbrücke. Bei Säger Ulrich Kölliker von Aarburg wurden 160 Latten für die Ziegelhütte bestellt. Ein Schlosser von Bremgarten fertigte das Schloss für das «nider türly» (Bruggertor) und die Ziegelhütte, ein anderer von Baden das Schloss für die Zollstube sowie die Schlüssel für die andern Tore an. Kalk und Ziegel wurden teilweise auch von Baden bezogen. Der Ziegler von Lenzburg bediente Mellingen mit Kalk. Meister Jakob von Bremgarten stellte Ziegelmodel zur Verfügung. Ein Zimmermann von Birmenstorf nahm an der Brücke Reparaturen vor. Holzflösser sind aus Dietwil, Inwil, Emmen, St. Urban und Aarburg bezeugt. Aus dem oberen Freiamt und dem Luzernbiet sind uns als Flösser ein Halter von Dietwil, ein Hans Feer von Emmen, ein Stüby, ein Rickenbach, ein Anderhuob und ein Herzig bekannt. Als Flösser wirkte auch Bartholomäus Meyer von St. Urban. Viel Baumaterial musste auch auf dem Landweg nach Mellingen transportiert werden. Zahlreiche Transporte, so z.B. Kalk von Brunegg, führten Hans Zürcher und Kleinhans Zürcher von Wohlenschwil aus. Als Holzfuhrleute wirkten ein Dorfgenosse von Villmergen, Hans Zürcher von Eckwil und Ulrich Müller von Aarburg.

Wie gehört, war die Stadt um 1509/10 zum grössten Teil wieder hergestellt. Trotz tatkräftiger auswärtiger Hilfe mussten die Bürger in physischer, psychischer und materieller Hinsicht Gewaltiges leisten und auf sich nehmen, um in derart kurzer Zeit aus diesem Trümmerhaufen wieder eine ansehnliche Siedlung gleichsam aus dem Boden zu stampfen. Über diese persönlichen Schicksale wissen wir sehr wenig. Eines ist sicher: Wir müssen uns vor dieser Parforceleistung unserer Vorfahren vor 500 Jahren mit grossem Respekt verneigen.

Quellen und Literatur:
- Liebenau Theodor von. Mellingens älteste Geschichte. ln Argovia XIV (1884), S.
35-38,
- Stöckli Rainer. Geschichte der Stadt Mellingen von 1500 bis Mitte des 17.
Jahrhunderts, Fribourg 1979, S. 334-337.
- Stadtarchiv Mellingen: Nr. 1, Blatt 9-11; Nr. 83 (1507); Nr. 139; Nr.140
(1506,1507).


Bild-Nr.: 41108.1
Bild: Die Hinrichtung von Brandstifter Ruedi Stalder in Zofingen. Chronik des Johannes Stumpf,1548.
Text: Rainer Stöckli/Mellinger Städtlichronik 2005
Copyright: Rainer Stöckli/Mellinger Städtlichronik 2005

01.09.1505