Agnes Heuer, Kreuzwirtin

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2001- Agnes Heuer - 30 Jahre im Weissen Kreuz

Servieren wollte sie nie. Dann tat sie es aber doch, fand Geschmack daran, sammelte Erfahrungen in Bierbeizen und in Spezialitätenrestaurants, erwarb das Wirtepatent und übernahm 1970 als Nachfolgerin von Herbert Hausherr für ein Jahr - so steht es im Vertrag - das Weisse Kreuz.
Das Lokal sollte ja saniert und umgebaut werden. Daraus wurde nichts, und doch hat es sich verändert. Aus Frau Heuer wurde «d' Agnes vom Wisse Chrüz» und aus der Beiz eine Mellinger Institution. Ein Ort, wo man, unabhängig von Beruf oder Stand ohne Berührungsängste unter seinesgleichen sitzt, sich heimisch fühlt und, wie die Wirtin sagt: «wo mer zäme höckele und e chli schnörrele cha». Wie sonst wäre es denn möglich, dass sich in einem Lokal, das mit etwa 30 Gästen eigentlich schon voll ist, auch bei 35 Gästen noch für fünf weitere Platz findet? Diese Beiz ist in seiner hemdsärmelig-familiären Art einfach heimelig und gemütlich. Die Gemütlichkeit kann sogar so weit gehen, dass man die Zeit vergisst und d' Agnes, pfiffig wie sie ist, Tisch und Stühle nebst den Zechern vor das Lokal aufs Trottoir disloziert. um der drohenden Busse wegen Überhöcklerei zu entgehen.

Menschliche Wärme, Zeit und ein offenes Ohr für die kleinen Sorgen ist also das eine, was Agnes Heuer ihren Gästen bietet. Das andere ist ihre Küche. Gut und preiswert ist ihr Motto und ihre Portionen sind so bemessen, dass auch der Hungrigste zu seinem Recht kommt. Ihre Füürtüfeli, ihr Speck und ihre Menüs sind weit herum bekannt und wenn es einmal Not tut, ist sie auch zu später Stunde noch bereit, etwas herzurichten, um knurrende Mägen zur Ruhe zu bringen.

Das weisse Kreuz wäre nicht, was es ist, wenn es zur Fasnachtszeit seine Läden geschlossen hielte. Drei Jahre nach der Übernahme wandelte Agnes Heuer die Räumlichkeiten im ersten Stock in eine Bar um, in der jeweils zur närrischen Zeit Hochbetrieb herrscht. Für Stimmung sorgten schon Sepp Disler mit seiner Handorgel und die Trucker-Boys. Unvergessen und in guter Erinnerung bleiben sicher auch die Show-Times der Gröllhaldeclique und auch das Spiel von Werni Solo und Bruno findet seine dankbaren Zuhörer. Und wen es in dieser turbulenten Zeit auch immer nach einer Mehlsuppe gelüstet – bei Agnes bekommt er sie.

30 Jahre Wirtin im weissen Kreuz. Das ist schon ein Grund zum Feiern. Ein unbestrittener Höhepunkt im Jubeljahr war zweifellos die vom Kulturkreis Mellingen organisierte und von Agnes Heuer gesponserte Lesung von Peter Bichsel in ihrem Lokal. Für jeden, der dabei war, war das ein unvergessliches Erlebnis. Im Spätsommer organisierte sie ein «Kleines Stadtfest» mit dem österreichischen Duo «Ohrwurm», das, am Samstag von der Blaskapelle Zimmerberg unterstützt, an allen drei Tagen für Stimmung sorgte. Das Fest ist zu Ende, aber jeder ihrer Gäste wünscht sich, dass er noch viele Jahre sagen kann: «Mer gönd zur Agnes».


Bild-Nr.: AH-04001.7
Bild: Mellinger Städtlichronik 2001
Text: Mellinger Städtlichronik 2001 / Johannes Schober
Copyright: Mellinger Städtlichronik 2001

2001

2011 - Agnes Heuer: "Die Beiz war meine Stube"

Nach 39 Jahren und 3 Monaten serviert Wirtin Agnes Heuer im «Weissen Kreuz» in Mellingen zum letzten Mal «Aigle», «Füürtüüfeli» und Zwetschgenluz.

Beliebt und bescheiden: Wirtin Agnes Heuer wirtete 39 Jahre und 3 Monate im «Weissen Kreuz» in Mellingen. «Früher kamen keine Frauen in die Beiz.»

«Kann’s im Leben Schöneres geben, als bei Agnes eins zu heben?» steht fein säuberlich in altgotischer Schrift an der Wand über dem Tresen, wo Wirtin Agnes Heuer (66) gerade zwei Einerli «Lutry» einschenkt. In der hellgrün-weiss gestrichenen Gaststube an der Mellinger Hauptgasse hat sich seit 40 Jahren kaum etwas verändert. «Nur die Lampen haben wir mal ausgewechselt, weil sich die Leute immer den Kopf angeschlagen haben», lächelt die Wirtin.
Stünde im gemütlichen Wirtsstübli nicht ein TV-Gerät, könnte man meinen, die Zeit sei irgendwo in den 50er- oder 60er-Jahren stehen geblieben. In den roten Plastikchörbli schlummern Biberli, Kägi-Fretli und Paprika-Chips. An der Wand zeigen alte Fotos und Bilder, wie das Reussstädtchen einst aussah. «Früher nannte man solche Wirtschaften ‹Chnelle›, lacht Wirtin Agnes Heuer. Das «Weisse Kreuz» ist also kein Lifestyle-Lokal, wo auf übergrossen viereckig-geschwungenen Tellern zwei Kugeln Papaya-Mousse mit Sternfrucht-Deko serviert werden. Hier, hinter schweren, wenig einladenden Gardinen, gibt es nicht mal Tischtücher. Dafür ein günstiges und gutes Menü mit Suppe, Salat, dazu Braten mit Herdöpfelstock, Spiessli mit Pommes frites oder Ghackets mit Hörnli.

Kundschaft aus allen Schichten
Vom Clochard bis zum Bankdirektor sitzen alle an den Holztischen und werden freundlich und persönlich bedient. Am Stammtisch geht es familiär zu, und man redet, «wie eim de Schnabel gwachse esch», trinkt ein Zweierli «Birmenstorfer» oder «St. Saphorin» und isst die berühmten «Füürtüüfeli», wie die gut gewürzten Rauchwürste hier heissen.


Aufgewachsen ist Agnes Heuer zusammen mit acht Geschwistern auf einem Bauernhof in Eggenwil im Reusstal. «Wir waren sechs Meitli und zwei Buben und haben bis heute einen guten Kontakt zueinander», erzählt sie. «Als ich in der ersten Klasse war, starb der Vater. Wir mussten alle auf dem Feld anpacken, trotzdem ‹sind alli recht usecho›.»
Mit 19 sprach sie der Bremgarter «Waldheim»-Wirt an: «Du muesch go serviere!», im «Hirschen» Obfelden sei eine Stelle frei.
«Ich wollte das gar nicht – ich hatte doch keine Ahnung, was ein Bier oder ein Kafi kostet. Wir waren doch nie in der Wirtschaft.» Nach einigem Zögern sagte sie zu – unter der Bedingung: «Wenn es mir nach einer Woche nicht passt, geh ich wieder.» Doch der jungen Eggenwilerin gefiel es in der Gastronomie, später wechselte sie ins Restaurant Wolfsbächli nach Zürich. Hier verkehrten Schauspieler wie Margrit Rainer, Ruedi Walter, Stephanie Glaser, Ueli Beck, Rudi Carell oder Rennfahrer Jo Siffert. «Wenn ich viel zu tun hatte, halfen mir Elisabeth Schnell und Stephanie Glaser beim Abwaschen», erinnert sich die «Chrüüz»-Wirtin. «Und Rudi Carell qualmte wie ein Chemi.» Später heiratete Agnes Heuer und wurde Mutter von zwei Kindern.


Start am Silvester 1971
An Silvester 1971 startete Agnes Heuer im «Weissen Kreuz»: «Ich hatte ein kleines Beizli gesucht. Bauer Frey von der Milchgenossenschaft vermietete das Restaurant und meinte: ‹Moll, Sie passet mer!› und so unterschrieb ich den Mietvertrag. Ich war 26 Jahre alt und hatte kein Geld. Von einem Bekannten hatte ich 10000 Franken Kredit bekommen, um das Inventar zu übernehmen. Der Anfang war hart, aber ich habe es nie bereut», blickt Agnes Heuer zurück. «Der Stammtisch war damals sehr gut besetzt, nach der Arbeit ging man in die Beiz zum Feierabendbier. Ein Bier kostete 80 Rappen.»
«Die Gäste sind mit mir alt geworden», sagt die Wirtin bei einem Glas Fendant. «Als ich anfing, verkehrten Frauen nicht in der Beiz. Das hat sich heute geändert.» Strenge Promille-Kontrollen und Rauchverbot haben vielen Wirten geschadet. «Viele Gäste sagen: ‹Wenni ned emol in Rueh eis cha trenke, de chommi gar nömme›.» Die Raucher rennen für jede Zigarette nach draussen: «Das Geläuf gibt Unruhe in der Beiz.»

Legendäre Fasnacht
Legendär im «Weissen Kreuz» waren auch Metzgete und Fasnacht: «Wir hatten viele lustige Mottos – einmal verwandelte ich die Beiz in einen Western-Saloon und servierte als Sheriff-Lady», lacht Agnes Heuer. Dieses Jahr hiess das Motto «Superstars im Chrüüz», in der Beiz waren 120 Porträts von Stammgästen aufgehängt. Dass «Agnes» und ihr «Weisses Kreuz» heuer auch Sujet an der Melliger Fasnacht waren, ist der bescheidenen Wirtin nicht so recht, zeigt aber, dass sie einfach zum Reussstädtchen dazugehört und gar nicht wegzudenken ist.
Männerchor und Turnverein Mellingen, der Jodelklub Möriken, die Karnemellipserzunft und viele Stammgäste werden die Mellinger Wirtin vermissen. «Meinen treuen und lieben Gästen und meinem Servierpersonal möchte ich recht herzlich danken», sagt «Agnes», die sich das Leben ohne Wirtsstube noch nicht so recht vorstellen kann: «Ich weiss auch noch nicht, ‹wie das usechunnd›.» Ein Traum wäre eine Reise nach Australien, dorthin ist Agnes Heuers erste Serviertochter ausgewandert: «Einmal die Kängurus live sehen, das wär ‹scho no öppis›.»
Der sympathischen 66-jährigen Agnes Heuer fällt der Abschied nicht leicht. Sie ist Gastgeberin mit Leib und Seele. Dennoch sagt sie: «Jetzt geniesse ich den Ruhestand. Ich hatte ja bisher nur zwei Wochen Ferien pro Jahr.»
Information: Am Mellinger Flohmarkt am Samstag, 30. April, wird das «Weisse Kreuz» nochmals geöffnet.


Bild-Nr.: AH-04001.7.1
Bild: Badener Tagblatt, 27.3.2011
Text: Erik Schwickardi, Badener Tagblatt, 27.3.2011
Copyright: Erik Schwickardi, Badener Tagblatt, 27.3.2011

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