Am 1. Mai 1752 lädt Abt Augustin zu Tisch, Rainer Stöckli

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Abt Augustin lädt zu Tisch

Barocke Sinnesfreude - Abt Augustin lädt zu Tisch

Der Mellinger Bürger Augustin Müller (1712-1768) leitete von 1752 bis 1768 die Zisterzienserabtei St. Urban. Er verkörperte den Höhepunkt barocker Repräsentationsfreude in der Geschichte dieses Klosters, sei es als Bauherr, Theaterliebhaber, Jagdfreund oder Gartengestalter.

Wir wollen hier nur ein kleines Detail aus der Regierungszeit dieses lebenslustigen Mönchs herauspflücken. Obwohl Mitglied eines eher asketischen Ordens, war Abt Augustin rauschenden Festen und den Gaumenfreuden gar nicht abgeneigt. An gutes Essen und Trinken war er wohl als Sohn von Löwenwirt und Schultheiss Johann Georg Müller (1666-1741) von Jugend auf gewohnt.

Als Abt Augustin am 1. Mai 1752 zum Abt geweiht wurde, lud er über 200 Persönlichkeiten aus Politik sowie aus Kreisen von Kirche und Diplomatie ein. Um diese vielen Leute zu verpflegen, heuerte Müller eigens für dieses Fest 19 Köche und Pastetenbäcker von Solothurn an. Nach der nahezu dreistündigen kirchlichen Feier rief ein dreifacher Trompetenschall die 204 Gäste um 13 Uhr zum «Krönungsmahl» in den Festsaal, «die da die rahreste, kostbareste und allerbest appretierte Speisen, so in 560 Blatten aufgetragen wurden, wie auch aller Gattung frönder Weinen auf das allerniedlichste genossen», wie es im ausführlichen Festbeschrieb im Staatsarchiv Luzern heisst. Und ein Stiftskaplan von Solothurn meinte, St. Urban habe «alle ersinnlichen Anstalten vorgekehrt…..in Anschaffung verschiedener Provisionen, von Roth… und Schwarz-Wildpret, von gemeinem und rahrem Geflügelwerk». Unser Berichterstatter aus Solothurn rühmte vor allem den Nachtisch, der so «magnifique» gewesen sei, «dass in der Schweütz noch keiner so gesehen worden». Die Schmausenden wurden zudem durch feierliche Tafelmusik erfreut.


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Wenn wir nun in der Folge die noch heute erhaltene Menükarte wiedergeben, stammt diese entgegen den Angaben in der Festschrift «950 Jahre Kirche Mellingen» und den Ausführungen anlässlich der Buchvernissage vom 7. Mai 1995 nicht vom Essen nach der Abtweihe, sondern vom Mahl, das die an die Festlichkeiten reisenden Luzerner Behörden mit Anhang bei ihrem Etappenhalt im St. Urbanerhof in Sursee vermutlich am 29. April 1752 auf Geheiss von Abt Augustin vorgesetzt erhielten.
Angesichts der Tatsache, dass diese Delegation aus Luzern, mit welchem St. Urban verburgrechtet war, kaum einen Viertel der Festgemeinde an der Abtweihe ausmachte und damals mit eher "bescheideneren» Speisen aufgewartet wurde, staunen wir trotzdem, welche Köstlichkeiten die Gnädigen Herren von Luzern vorgesetzt erhielten. Doch von manchen Speisen wissen wohl viele Leser nicht einmal mehr, was hier konkret aufgetischt wurde. Deshalb finden sich bei allen nicht mehr gebräuchlichen Ausdrücken in runder Klammer die nötigen Erklärungen. Wobei zu bemerken ist, dass es mir auch unter Zuhilfenahme zahlreicher Wörterbücher - insbesondere des «Idiotikons», des Wörterbuchs der schweizerdeutschen Sprache - nicht immer mit Sicherheit gelungen ist, einzelne Positionen richtig zu deuten.

Hier nun die erwähnte Menükarte:
Als Vorspeise wurden serviert: 3 grosse Krebssuppen, 3 Enten in Kabis, 2 grosse Platten Broschollen (gehacktes Fleisch samt verschiedenen ebenfalls gehackten Zutaten in Papier eingewickelt und so gebraten), 2 Krebsstuffagen (möglicherweise ein Gericht mit gehacktem Krebsfleisch), 6 Hähne, 8 Dutzend kleine Vögel, 2 Hasenpfeffer, Luganetlin (vermutlich eine Art Würste), 2 Platten Milchlig (Milken) in Schneckenhäusern, 7 Tauben, 2 Platten geschlagenes Fleisch (Schlachtplatten?), gebratene Schnitze, gebackene Milchlig und Leber.

Zum Hauptgericht wurde folgendes aufgetragen: 1 welscher Hahn, 1 kalte Pastete, 2 fette Gänse, 2 Nierenbraten, 1 Platte Wildbret, 28 halbe Vögel, 4 Enten, 5 Kapaune, 24 Wasserschnepfen, 2 kleine Wasserenten, Hühner, Rebhühner, Tauben, Fasan, Hennen, Schnepfen, Lerchen, Salat, 2 dürre Zungen, Krebse.

Äusserst vielfältig war das Dessert: 1 Torte von eingemachten Früchten, 1 grosse Schokolade- und Honigschlange (ein Gebäck in Schlangenform), Mandelpasteten, Heuben (Hüppen). Pfirsiche, Birnen, Tauben, Zwetschgen, Mandeltörtchen, Hirzenhörnchen (Gebäck in geweihähnlicher Form), Basler Läckerli, Fusterli (ob damit ein Gebäck oder eine Milchspeise mit sehr fettem Rahm gemeint ist, bleibt unklar), Mirabellen, Hobelspän (Gebäck, das die Form von Hobelspänen hatte). Zum «levantischen Caffée» wurden Biskuits, Anisbrötchen, geröstete Mandeln, Rosinen, feiner Konfekt, Trüffeln, Küttenen-Dätschli (Konfekt aus Quittenmark, wir sagten diesen «Päschtli») und «andere Sachen aus Zürich» serviert.

Dazu kamen 91 Mass (ca. 135 Liter) gewöhnlicher roter und weisser Tischwein nebst mehreren Flaschen Burgunder und Muskateller.

So, das wär's. Sicher musste hier niemand mit knurrendem Magen vom Tisch aufstehen. Die relativ hohe Weinmenge kann möglicherweise dadurch erklärt werden, dass auch die zahlreichen Bediensteten einige Gläser hinter die Binde gossen.

Und wer weiss: Vielleicht wäre diese Menükarte für das Hotel Löwen in Mellingen mal Anlass, eine «Augustin-Müller-Woche» durchzuführen!

Literatur:

- Stöckli Rainer. 950 Jahre Kirche Mellingen. Mellingen 1995, S. 28-32.
- Wicki Hans. Zur Geschichte der Zisterzienserabtei St. Urban im 18. und 19. Jahrhundert 1700-1848. In: Der Geschichtsfreund 121 (1968) S. 84- 86.


Bild-Nr.: 39600
Bild: Mellinger Städtlichronik 1995
Text: Mellinger Städtlichronik 1995 / Rainer Stöckli
Copyright: Mellinger Städtlichronik 1995

01.05.1752