Otto Müller

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1988 - Otto Müller und Ehefrau Lina - Ehrenbürger von Mellingen

Mellingens Ehrenbürger Otto Müller blickt zurück und erzählt

«Ich möcht niene anderscht als z Mellige si»

«Ich wuchs in einem landwirtschaftlichen Umfeld auf. Mein Grossvater, Eduard Fawer, bewirtschaftete in der Allmend ein grosses Bauerngut, mein Vater als «Rucksackbauer» ein bescheidenes Gütlein mitten drin, und der Schwiegervater führte einen Landwirtschaftsbetrieb an der Lenzburgerstrasse. Mit meinen beiden Geschwistern musste ich auf dem Hof viel mithelfen bei allen Iandwirtschaftlichen Arbeiten. Freizeit kannten wir kaum. Die harte Arbeit kam mir im späteren Leben zugut. Das Anpacken zu Hause hat mich stark geprägt.
Öfters durfte ich mit meiner Grossmutter auf den Gemüsemarkt nach Baden fahren und dort gesammelte Pilze, Beeren und gepflückte Blumensträusse verkaufen. Dies gab jeweils ein paar Batzen fürs Kässeli. In den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg, in der Zeit der Weltwirtschaftskrise lebten wir als Selbstversorger, doch äusserst bescheiden und einfach, anspruchslos. –
An die landwirtschaftliche Herkunft erinnert auch meine Aufgabe im Militärdienst.
Als Trainoffizier betreute ich Soldaten aus dem Bauernstand, im Schützenbataillon 4, in einer Gebirgstrainkolonne und schliesslich bei einer Veterinäreinheit.


De Schürme Kari
Kindergarten und Schule besuchte ich in Mellingen. Im Gfätterlischuelalter ging mein Weg über die alte Holzbrücke. Ich erinnere mich noch gut an den «Schürme-Kari». Er bewirtschaftete den Hof im Ebenreich. Seine Milch brachte er auf einem Karren in die Käserei. Fuhr er mit der Milch über die Reussbrücke, riefen ihm die Kinder zu: «Kari hesch Wasser under de Milch». Dann liess er seinen Milchkarren blitzschnell fahren und verfolgte die Kinder fuchsteufelswild mit Drohgebärden, aber ohne Erfolg. Für ihren Geissbock hatten die kurligen Gebrüder Schürmann
in der Küche einen Stall eingerichtet.

An das Sprengen des mächtigen Pfeilers der alten Holzbrücke kann ich mich noch gut erinnern. Auf der Reusseite der Grossen Kirchgasse gingen viele Scheiben in Brüche. Eine kleine Gruppe Mellinger setzte sich damals für den Erhalt der Holzbrücke ein. Eine Sanierung hätte eine neue Brücke, unterhalb des Städtchens zur Folge gehabt. So wäre Mellingens Umfahrung bereits Ende der 20er-Jahre perfekt gewesen.

Wir wurden lange gehänselt
Noch viele Jahre nach der Einweihung der neuen Brücke (1928) wurden die Mellinger als Seldwyler oder Schildbürger gehänselt. Angeblich errichteten sie auf beiden Seiten der gedeckten Holzbrücke einen Dachkännel, damit die Reuss bei Regenwetter nicht nass wurde.
Während des Baus diente eine Notbrücke, am Platz der heutigen «Soldatebrugg», als Ubergang.

Freude an der Schule
Ich habe die Schule immer gerne besucht, mit wenigen Ausnahmen. In der Bezirksschule nannten sie mich «Allmendli-Pfarrer», dies deutet darauf hin, dass ich ein ganz schüchterner und in sich gekehrter Schüler war. Ich wusste schon früh, dass ich Lehrer werden wollte und bestand die Aufnahmeprüfung am Semi. Ein numerus clausus sorgte dafür, dass von den 68 Bewerbern nicht mehr als 20 Schüler aufgenommen wurden. In den Kriegsjahren war ich am Seminar
Wettingen. Ich erinnere mich noch gut an die Generalmobilmachung. Wir besuchten die Landesausstellung in Zürrch, die auf der Stelle geschlossen wurde.


Auf dem Bahnhof waren bereits Soldaten, die zum aktiven Dienst an die Grenze einrückten. Der mörderische Zweite Weltkrieg begann mit all' seinen grossen Opfern, die auch unser Land, obwohl es vom Krieg verschont blieb, auf sich nehmen musste. Im Sommer 1943 absolvierte ich die Rekrutenschule. Bis zu meiner Entlassung aus der Armee mit 55 Jahren leistete ich über drei Jahre Militärdienst.

Nach der Patentierung im Frühling 1943 fand ich drei Jahre lang keine Lehrstelle, war jedoch anderweitig voll beschäftigt. Dann wurde ich als reformierter Lehrer an die Schule im katholischen Dorf Hornussen gewählt. Damals spielte bei Lehrerwahlen die Konfession noch eine bedeutende Rolle. Fast zehn Jahre fühlte ich mich, bei zwei toleranten Pfarrherren, im fricktalischen Bauerndorf wohl. Es war für mich und meine Frau eine glückliche, unvergessliche Zeit. – Als Wahlbedingung musste ich den Männerchor leiten. Mit diesem Amt hatte ich zwei Jahre lang meine liebe Mühe. Da musste im Dorf, im Heuet, ein Bauer ins Spital einrücken. Ich half der Familie beim Melken. Wie ein Lauffeuer ging es durchs Dorf: «Mit em Männerchor het er Müeh, aber mälche chan er!» Mein Ruf war gerettet.

Was mir an Mellingen besonders gefällt? Ich verbrachte fast mein ganzes Leben hier.
«Ich möcht niene me anderscht si».
Mellingen ist mir ans Herz gewachsen. Verbringt man ein ganzes Leben am gleichen Ort, erlebt man dazu eine schöne Berufszeit und ist die Zeit auch im dritten Lebensabschnitt mit befriedigenden Aufgaben ausgefüllt, so ist man mit dieser Gemeinde sehr stark verbunden.
Es ist schön hier in Mellingen.



Bild-Nr.: OM01
Bild: Otto Müller
Text: Otto Müller
Copyright: Otto Müller

1988

Mellingen trauert um Otto Müller

Otto Müller wirkte in seinem Schaffen unermüdlich. Bis ins hohe Alter war der Mellinger Ehrenbürger für die Öffentlichkeit tätig. Und dennoch musste er die letzten Jahre kürzer treten. Für ihn und seine Angehörigen war dies nicht leicht zu akzeptieren. Am 28. August 2008 wurde er von seinen Leiden erlöst und durfte zu seinem Schöpfer heimgehen.

Otto Müller erblickte am 25. Februar 1923 als Sohn von Rudolf und Ida Müller in Mellingen das Licht der Welt. Zusammen mit einer Schwester und einem Bruder wuchs er im damals noch stillen, etwas abseits gelegenen "Allmendli" auf, wo ganz hinten der grosselterliche Bauernhof lag. Dort waren seine Wurzeln: Im bäuerlich einfachen und naturverbundenen Leben, im Mithelfen in Stall und Hof. Seine Eltern lebten den Kindern Bescheidenheit, treue Pflichterfüllung und tätige Nächstenliebe vor. Mit der Landwirtschaft blieb Otto Müller stets verbunden und hat jahrzehntelang das Zuchtbuch der Viehzuchtgenossenschaft Reusstal geführt.

Der eher stille, jedoch sehr intelligente Schüler konnte dank der Vermittlung seiner Lehrer Verständnis bei seinen Eltern für den Besuch des Lehrerseminars im ehemaligen Kloster Wettingen finden. Nach dem Erwerb des Lehrerpatents war es schwer, eine feste Stelle zu erhalten. So übernahm er die ersten drei Jahre Aushilfsstellen in verschiedenen Branchen. 1946 wurde er als Lehrer in die Fricktalgemeinde Hornussen gewählt, wo er nebenamtlich auch als Raiffeisenkassenverwalter dem Dorf diente. 1947 gründete er mit der Mellinger Bauerntochter Lina Lüscher eine eigene Familie.

1954 holten ihn die Mellinger an die Mittelstufe in ihr Städtchen zurück. Die nun folgenden 23 Jahre Tätigkeit bei der Mellinger Jugend wurden eine überaus fruchtbare Zeit. Schon bald begann er zusammen mit seiner Frau Lina und weiteren Freiwilligen Helfern Schullager zu organisieren - insgesamt wurden es 50! Diese ermöglichten auch Kindern aus grossen, weniger vermögenden Familien unvergessliche Ferienerlebnisse. Schon im zweiten Jahr seiner Mellinger Schultätigkeit gründete er den Handfertigkeitskurs für Knaben. Für Otto Müller waren die Schulkinder wie eigene Kinder - sie spürten auch neben aller Strenge und Konsequenz sein väterliches Wohlwollen. Neben der Schule war seine Mithilfe überall gefragt: der Gemeinde diente er in verschiedenen Chargen u.a. als Feuerwehrkommandant. Ganz besonders widmete er sich während vieler Jahre der Dokumentation des kulturellen Lebens und der Geschichte Mellingens. Er war massgeblich an der Gründung des Mellinger Kulturkreises beteiligt und stand diesem lange als Präsident vor. Die von ihm über viele Jahre gesammelten und jahrgangsweise zusammengestellten Pressemitteilungen über das Mellinger Leben waren der Ursprung der heutigen "Städtlichronik", als deren Mitbegründer er während der ersten Jahre engagiert mitarbeitete. Der Raiffeisenbank gehörte er rund drei Jahrzehnte als Vorstandsmitglied und nachher als Verwaltungsratpräsident an. Die Vereine riefen ihn zum Organisieren von Festanlässen, und mit den Weihnachtsspielen seiner Schüler erfreute er Senioren und Altersheimbewohner. - Auch dem Vaterland diente er in verschiedenen Einheiten - zusammengerechnet drei volle Jahre (inkl. Aktivdienstzeit).

1987 erreichte Otto Müller das Pensionsalter. Gleich an der folgenden Sommergemeindeversammlung ernannten ihn die Mellinger zusammen mit seiner Frau Lina mit Blumen und grossem Applaus zu ihren Ehrenbürgern. Nach der Pensionierung konnte Otto Müller nicht untätig bleiben. Er organisierte mit der Firma Knecht Kulturreisen in verschiedene Länder, gründete die Seniorenwandergruppe, führte Einheimische und Neuzugezogene durch das schöne Reuss-Städtchen und zeigte ihnen immer wieder all die Kostbarkeiten, die man im Alltag oft übersieht.
Mit Otto Müller verliert Mellingen eine in jeder Hinsicht engagierte Persönlichkeit. Das spürte jeder, der an der Abdankungsfeier in der vollbesetzten Stadtkirche St. Johannes teilnahm, um ihm die letzte Ehre zu erweisen.

Benedikt Nüssli


Bild-Nr.: OM003
Bild: Mellinger Städtlichronik 2008
Text: Mellinger Städtlichronik 2008 / Benedikt Nüssli
Copyright: Mellinger Städtlichronik 2008 / Benedikt Nüssli

28.08.2008