1045 - Erste Erwähnung des Namens Mellingen, Rainer Stöckli

Geschichte > Aus Mellinger Städtlichroniken ab 1991

1045 Erste Erwähnung des Namens Mellingen, Rainer Stöckli

Eine namens- und siedlungsgeschichtliche Studie

Dieses Jahr (1995) sind genau 950 Jahre verflossen, seit der Name Mellingen erstmals in einem Schriftstück erwähnt wurde. In einer am 30. Januar 1045 in Zürich ausgestellten Urkunde nahm der deutsche König Heinrich III. (1017-1056) das Damenstift Schänis in seinen Schutz und bestätigte dessen ausgedehnten Besitz, so neben zahlreichen Objekten in der Ostschweiz auch die Kirche in
Mellingen (ecclesiam vero Mellingen). Neben Mellingen wird in diesem lateinisch geschriebenen Dokument noch folgender im heutigen Aargau gelegener Schäniser Besitz erwähnt: die Kirchen im nahegelegenen Niederwil (Vuila), in Wettingen (Vuettingun), Kulm (Columbari) und Reitnau (Reitnouua) samt zugehörigen Gütern. Wie wir aus den in Klammern stehenden originalen Schreibweisen der Ortschaften, wie sie in der Urkunde von 1045 stehen, ersehen können, blieb einzig jene von Mellingen seit ihrer ersten Nennung im Jahre 1045 bis auf den heutigen Tag genau gleich. Wobei wir der Ehrlichkeit halber doch noch erwähnen müssen, dass uns der Text der 1045er-Urkunde einzig in einer Abschrift des bedeutenden Chronisten Aegidius Tschudi (1505-1572) aus dem 16. Jahrhundert erhalten geblieben ist.

Gab es denn in der fast tausendjährigen Namensgeschichte Mellingens keine abweichenden Formen? Am meisten Kopfzerbrechen bereitet uns die Schreibweise «Menelingen» im «Liber Heremi» des Stifts Einsiedeln, der ebenfalls in einer Abschrift Tschudis vorliegt. Wenn auch manches, v.a. was die im Umfeld des Schriftzuges «Menelingen» genannten Namen (Stetten, Rohrdorf) anbelangt, dafür spricht, dass es sich hierbei tatsächlich um unser Mellingen handelt, kann dies doch nicht mit absoluter Sicherheit bewiesen werden. Dieses «Menelingen»
wurde von Otto Hunziker 1966 in seiner Schrift «Mellingen-Dorf» als älteste Nennung unseres Gemeindenamens im Jahre 1019 bezeichnet, welches Faktum darauf in verschiedene andere Werke übernommen wurde. Wir haben es hier wieder einmal mit einem jener klassischen Fälle zu tun, dass eine von einer Autorität aufgestellte Behauptung beinahe kritiklos übernommen wurde. Denn es war kein Geringerer als Aegidius Tschudi, der Kopist des «Liber Heremi» selbst, der diese Passage irrtümlich ins Jahr 1019 datierte. So können wir es Hunziker nicht verargen, dass er der Feststellung dieser Kapazität am schweizerischen Historikerhimmel Glauben schenkte.
Leider kannte er die bereits 1963 vom St. Galler Stiftsarchivar Franz Perret herausgegebene Publikation nicht, in welcher dieser Eintrag glaubhaft ins 13. Jahrhundert angesiedelt wurde. Um die Argumentation Perrets verstehen zu können, lassen wir hier die entscheidende Passage aus dem «Liber Heremi» in deutscher Übersetzung folgen: «Adalbert gibt dem Kloster Einsiedeln,
wo er später Mönch wird, eine Liegenschaft zu Buchs (ZH?), die dann gegen Güter zu Uffikon, Menelingen und Rifferswil abgetauscht werden». Perret weist nach, dass dieser Adalbert von Buchs erstmals im Einkünfteurbar Einsiedelns von 1217 bis 1222 aufgeführt und in einem Dokument von 1239 als Pfarrer von Buchs erwähnt wird, folglich dieser Eintrag in die Zeit zwischen 1217 und ca.1239 anzusetzen sei. Beat Zehnder, auf dessen grundlegendem, 1991 erschienenem Werk «Die Gemeindenamen des Kantons Aargau» vorliegender Aufsatz basiert, meint über die Form «Menelingen» lakonisch: «Die Formen mit -n- finden sich nur in späten Abschriften von Aegidius Tschudi und sind für die Deutung irrelevant. Zudem bereitet die Lokalisierung der abweichenden Form Menelingen Schwierigkeiten». Nur so nebenbei: Beat Zehnder wirkte vor Jahren eine Zeitlang als Bezirkslehrer in Mellingen.

Alle andern sonst noch vorkommenden Namensformen unserer Gemeinde weichen hingegen nur unwesentlich von der heutigen Schreibweise ab. So steht etwa in den «Acta Murensia», der Gründungsgeschichte des Klosters Muri aus dem 12. Jahrhundert, bereits das mundartliche «Melligen». Und in der Urkunde, in welcher Papst Alexander III. 1178 erneut bestätigt, die Kirche in Mellingen sei Besitz des Stifts Schänis, wird diese «ecclesia de Mellingin» genannt. Ferner finden wir in einem Zinsverzeichnis der Fraumünsterabtei Zürich aus den Jahren 1265 bis 1287 einen «Schenbrot de Meillingen», der von seinen Gütern in «Heinenrüti» - wohl das heutige Heinrüti bei Widen gemeint - jährlich zwei Denar ans Fraumünster zinst. Bedeutsam scheint mir zudem, dass in jener Kappelerurkunde von 1242, in welcher Mellingen und Zug erstmals als Städte erwähnt werden (infra Zvge ac Mellingen oppida), unsere Gemeinde ebenfalls schon in der heutigen
Schreibweise auftaucht. In der Stadtrechtsverleihung von 1296 hingegen nennt Herzog Albrecht die Bürger von Mellingen «(cives) de Mellinga», verwendet also die latinisierte Form. Und als dann ein Jahr später die Behörden von Winterthur den Mellingern den Wortlaut ihres Stadtrechts mitteilen, titulieren sie diese - bereits in deutscher Sprache - als «burgerren der stat ze Mellingen» .


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Nach dieser «Auslegeordnung» interessiert es uns nun, wie der Name Mellingen nach neuesten namenkundlichen Erkenntnissen zu deuten ist. Unsere Gemeinde gehört zur grossen Gruppe der alemannischen -ingen- Namen. Diese stehen sehr häufig in Zusammenhang mit einem männlichen Vornamen, wohl meist dem Anführer einer Sippe: in unserem Fall Mello. Wir haben es hier also mit einem sogenannten patronymischen Ortsnamen zu tun. Mit der germanischen Endsilbe -inga, -ingen wurde «gerne die Zugehörigkeit zu einem namentlich genannten oder ihre Abhängigkeit von einem bestimmten Menschen ... ausgedrückt» (Zehnder). In unserem Fall war also - etwas populär ausgedrückt ein «Melling» eine Person aus
der Sippe oder Familie des Mello, und «die Mellingen» waren die zu Mello gehörigen Leute.
Mellingen war demnach ursprünglich ein Zugehörigkeitsbegriff zu einem Personenverband und wurde erst später zu einem Siedlungsnamen. Mellingen erfährt daher laut Zehnder folgende Deutung: «bei den Leuten des Mello». Der bedeutende Ortsnamenforscher Bruno Boesch hat darauf hingewiesen, dass Mello eine Kurzform der Personengruppe der «Madal-» ist, die bei der
Ortsnamengebung eine wichtige Rolle spielten. So wird im Aargau das im Rheintal gelegene, etwas später entstandene Mellikon ebenfalls auf Mello zurückgeführt.

Aufgrund der Endsilben eines alemannischen Ortsnamens kann man in den meisten Fällen die ungefähre Entstehungszeit einer Siedlung bestimmen. So gehören die -ingen- Namen neben jenen mit der Endung -heim und -dorf zu den ältesten alemannischen Namensformen, d.h. man kann annehmen, dass die meisten dieser Dörfer im 5. oder 6. Jahrhundert, in der ältesten alemannischen Siedlungsphase, entstanden sind. Ortschaften mit den Endungen -ikon, -statt,
-husen, -feld und -bach sind der ersten alemannischen Ausbauphase im 6. bis 8. Jahrhundert und solche mit -wil und -au der zweiten alemannischen Ausbauphase im 8. bis 11. Jahrhundert zuzuweisen. Man darf also mit ziemlicher Sicherheit annehmen, Mellingen sei im 6. Jahrhundert, also nach 500 n. Chr. vom Familienverband des Mello als ständiger Siedlungsplatz gewählt worden. Die 22 politisch eigenständigen Gemeinden auf Aargauerboden, deren Namen auf -ingen enden, erscheinen schwergewichtig im Nordosten des Kantons und behaupten die Räume zwischen Aare und Rhein und zwischen Aare, Limmat und Rhein sowie zwischen Reuss, Bünz und Aabach. Mellingen ist übrigens der einzige -ingen- Ort, der im aargauischen Reusstal zu einer eigenständigen politischen Gemeinde wurde.

Diese -ingen- Namen kennzeichnen den ältesten alemannischen Siedlungsraum.
-ingen- Orte wurden daher auf fruchtbarem Land angelegt, vielfach in der Nähe eines Flusses. Dies trifft auch für Mellingen zu, und zwar auf das rechts der Reuss gelegene Dorf Mellingen, später auch Trostburger Twing genannt. Bis zum Alten Zürichkrieg (1436-1450) bildete dieses Dorf eine eigene Gemeinde mit einer grösseren Anzahl von Höfen mit zwei Dorfmeiern an der Spitze. In Zusammenhang mit dem Alten Zürichkrieg wurden zahlreiche Höfe niedergebrannt und nicht wieder aufgebaut. Die dazugehörigen Ländereien wurden grösstenteils von der Stadt und deren Bürgern aufgekauft. So bestanden ab 1450 neben den drei Mühlen, der Trotte, der Ulrichskapelle, dem Schützenhaus und dem Schlösschen Hünegg (heute Rosengarten) nurmehr wenige Gebäude im Trostburger Twing. Durch dieses mächtige wirtschaftliche Hinübergreifen der Stadt auf die andere Fluss-Seite hatte Mellingen das beschränkte politische Leben des ehemaligen alemannischen Dorfes vollends erstickt.
Dass diese Siedlung im Mittelalter recht bedeutend gewesen sein muss, erhellt sich daraus, dass bei der Gründung um 1230 auch die Stadt den alemannischen Namen Mellingen annahm.
Es ist daher glaubhaft, dass damals die Gemarkungen des Dorfes ins wenig besiedelte Gebiet der nachmaligen Stadt hinübergriffen, trägt doch die 1045 erstmals und 1178 das zweite Mal genannte Kirche bereits die Bezeichnung «ecclesia Mellingen». Vieles spricht dafür, dass diese schon immer an der Stelle der heutigen Stadtkirche stand.

Dass Mellingen alemannischen Ursprungs ist, beweisen auch einige wenige archäologische Funde. So wurde im Trottenquartier ein alemannisches Kurzschwert gefunden. Gräber aus der Frühzeit unserer Gemeinde entdeckte man u.a. im Brand und beim «Bildstöckli» unterhalb des Waldes. Wo sich allerdings dieses Bildstöckli, das sicher Ende des letzten Jahrhunderts noch existierte, lokalisiert werden muss, weiss ich auch nicht. Vielleicht kann hier ein Leser dieser Zeilen weiterhelfen. Gerade dieses Detail zeigt einmal mehr, wie wichtig es ist, alle Fakten genau festzuhalten, den Standort von Fundgegenständen präzis zu lokalisieren, das Wissen für spätere Generationen zu sichern. Eine Art Spurensicherung möchte auch diese Studie sein, die versucht, anhand des Namens Mellingen den Wurzeln unserer Gemeinde etwas nachzuspüren.

Quellen und Literatur:
- Boesch Bruno. Die Gruppenbildung in altalemannischen Ortsnamen. In: Kleine
Schriften zur Namensforschung 71-101. Heidelberg 1981, spez. S. 84.
- Die Stadtrechte von Laufenburg und Mellingen. Bearb. von Friedrich Emil Welti
und Walther Merz. Aarau 1915, S. 270f.
- Hunziker Otto. Mellingen-Dorf. Mellingen 1966, S. 9f.
- Kappeler Robert. Von Ortsnamen aus der Umgebung Badens. In: Badener Neu-
jahrsblätter 28 (1953) S. 63, 68.
- Stöckli Rainer. 750 Jahre Stadt Mellingen. In: Mellinger Städtlichronik 1992, S. 80-
83.
- Ders. 1045 - erste Nennung einer Kirche in Mellingen. In: 950 Jahre Kirche Mellin-
gen. Mellingen 1995, S. 9-14.
- Urbare und Rödel der Stadt und Landschaft Zürich. Von den Anfängen bis 1336.
Bearbeitet von Werner Schnyder. Zirich 1963, Nr. 57.
- Urkundenbuch der südlichen Teile des Kantons St. Gallen. Bd. L Hgb. von Franz
Perret. Rorschach 1963, Nr. I24,192,288.
- Zehnder Beat. Die Gemeindenamen des Kantons Aargau. In: Argovia 100 (1991),
S. 268,501,521.


Bild-Nr.: 41050
Bild: Mellinger Städtlichronik 1995
Text: Mellinger Städtlichronik 1995
Copyright: Mellinger Städtlichronik 1995

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