1494 - 500 Jahre Finanzverwaltung Mellingen, Rainer Stöckli
Geschichte > Aus Mellinger Städtlichroniken ab 1991
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Der älteste detaillierte Rechnungsrodel der Stadt Mellingen datiert vom Jahre 1494, wird also dieses Jahr (1994) genau 500 Jahre alt. Es ist klar: Auch schon vor diesem Zeitpunkt existierte eine städtische Finanzverwaltung. Doch fanden es bis damals die Räte, in deren alleiniger Kompetenz die kommunalen Finanzen lagen, nicht für nötig, der Bürgerschaft über das Einnehmen und Ausgeben der einzelnen Ämter Rechenschaft zu geben, geschweige denn diese Zahlen in einem offiziellen Dokument offenzulegen.
Einsetzung einer Finanzkommission
1490 waren sich Räte und Bürger von Mellingen wegen der Schultheissenwahl und der städtischen Rechnung arg in die Haare geraten. Da man sich intern nicht einigen konnte, wurde der Handel der eidgenössischen Tagsatzung in Baden unterbreitet. Diese beauftragte ein aus sechs Tagsatzungsgesandten bestehendes Schiedsgericht mit der Schlichtung dieser Streitigkeiten. Die Forderung der Bürgerschaft, Einsicht in die städtischen Finanzen zu erhalten, empfand der Rat als unerhört: dieses Ansinnen verstosse gegen das alte Herkommen. Doch die Demokratisierungsbemühungen der Bürger - ein Vorbote der nahenden Reformation? - fanden bei den eidgenössischen Orten ein offenes Ohr, wenn auch der Schiedsspruch schliesslich in einen Kompromiss ausmündete: Es sollten in Zukunft zur Rechnungsabnahme der Schultheiss, je zwei Vertreter des Kleinen Rates, des Grossen Rates und der Bürgerschaft abgeordnet werden. Die «regierende Schicht» hatte also mit fünf Vertretern zahlenmässig in dieser Behörde die Übermacht. Jede Partei durfte ihre Vertreter – meist Rechner
genannt -, selber wählen. Vor dieser Rechnungskommission mussten dann die einzelnen Amtsinhaber über die Verwaltung der ihnen anvertrauten Geldmittel Rechenschaft ablegen. Der Rodel von 1494 ist der erste Hinweis, dass dem eidgenössischen Schiedsgericht auch tatsächlich Folge geleistet wurde. Diese Form der kommunalen Finanzkontrolle blieb bis zum Untergang der Alten Eidgenossenschaft im Jahre 1798 in Kraft.
Beim Rodel von 1494 handelt es sich um die Rechnungsablage des Baumeisters. Dieser war damals der Hauptfinanzbeamte der Gemeinde. Die meisten Ausgaben der Stadt flossen ins Bauwesen: in den Unterhalt der Wehranlagen, der öffentlichen Gebäude, der Wasserversorgung und der Strassen. Es ist wohl der Kleinheit Mellingens mit seinen damals kaum 400 Einwohnern zuzuschreiben, dass der Baumeister auch alle übrigen laufenden Einnahmen und Ausgaben der Stadt verwaltete. Erst um 1560 wurde das Amt eines speziellen städtischen Finanzbeamten, des Seckelmeisters, geschaffen. Der Baumeister führte aber weiterhin eine eigene Kasse.
Bereits 1494 bestanden neben jener des Baumeisters zwei weitere separat geführte Kassen, jene der Kirche und des Heiliggeistspitals, die vom Kirchenpfleger bzw. vom Spitalpfleger verwaltet wurden. Der älteste erhaltene Kirchenpflegerrodel stammt aus dem Jahre 1507. Vom Spitalpfleger finden sich sogar erst ab 1564 einzelne Rödel.
Der Baumeisterrodel von 1494
Wir wollen nun versuchen, den Baumeisterrodel von 1494 etwas zu analysieren. Um das Bild ein wenig abzurunden, wird der nächstfolgend erhalten gebliebene Rodel von 1499, der aber nicht vollständig zu sein scheint, in diese Abhandlung miteinbezogen. Um es gleich vorweg zu nehmen: Es ist nicht leicht, aus diesen Papieren absolut gültige Schlüsse über die Finanzkraft der Stadt am Ende des Mittelalters zu ziehen So fehlen in den Rödeln die Angaben über die Zölle, eine der wesentlichsten Einnahmen der Stadt, die vor allem für den Unterhalt der Reussbrücke verwendet wurden. Im Weitern werden die nicht zu unterschätzenden Einnahmen an Naturalien, die hauptsächlich aus den Bodenzinsen herflossen, in den Rödeln nicht berücksichtigt. Schliesslich sind auch die Ausgaben über die Löhne der städtischen Beamten und der Inhaber politischer Ämter nicht genau verifizierbar. Der Grund liegt darin, dass Bürger, die ein öffentliches Amt inne hatten, zu einem nicht unwesentlichen Teil mit Essen entschädigt wurden. Diese Mähler wurden meist in den Gaststätten Mellingens eingenommen. Die Gastwirte wiederum hatten der Stadt das sogenannte Umgeld, eine Getränkesteuer auf Wein, abzuliefern. Doch wurde diese Steuer von den Wirten vielfach mit den Kosten für diese Mähler verrechnet. Deshalb fehlen für diese Zeit schlüssige Angaben, wie hoch der Stadt die Ausgaben für ihre Verwaltung zu stehen kämen. Da in Mellingen dazumal rund 100 öffentliche Ämter nachgewiesen werden können, waren die Löhne nach den Auslagen für das Bauwesen bestimmt der gewichtigste Ausgabeposten. Ganz allgemein ist es müssig, aus den uns vorliegenden Unterlagen eine genaue Aufstellung über Einkünfte und Ausgaben rekonstruieren zu wollen. Die Rechnungsrödel sind noch sehr dilettantisch geführt; aus einzelnen Einträgen ist insbesondere bei den Einnahmen nicht immer eindeutig ersichtlich, ob alle aufgeführten Summen wirklich in die Stadtkasse flossen.
Meist wird mit Pfund, der damals üblichen Währungseinheit, gerechnet, oft aber auch mit Gulden und andern Geldsorten. Ein Schlusstotal fehlt sowohl bei den Einnahmen wie auch bei den Ausgaben. Aus den Rödeln geht aber immerhin hervor, dass in beiden Jahren ein bescheidener Überschuss von wenigen Pfund resultierte. Heinrich Rohr meint daher zu Recht: »Um 1500 bietet Mellingen das Bild eines sehr gut gestellten und ... (nach damaligen Verhältnissen) sorgfältig verwalteten Gemeinwesens."
Bezeichnend für seine gute finanzielle Lage ist, dass es seine sämtlichen Verwaltungsaufgaben von indirekten Steuern (Ungeld und ZoIl) und vom Ertrag seiner Nutzungen (Zinsen, Holz- und Fischverkauf) zu decken vermag und nur selten zur Anleihe oder gar zu einer direkten Besteuerung der Bürgerschaft Zuflucht nehmen muss. Man denke sich heute: Ein Gemeinwesen ohne direkte Steuern!
Die Einnahmen
Bei den Einnahmen fallen uns die zahlreichen Zinsen auf, die Baumeister Hans Wolleb 1494 und sein Amtskollege Konrad Murer 1499 zuhanden der Stadtkasse einnehmen konnten. Diese Zinsen rührten insbesondere von Nutzniessungs- und Pfandrechten auf Grundstücken, Höfen und Häusern her, welche Mellingen im Laufe der Zeit im Stadtbann und hauptsächlich im Trostburger Twing erworben hatte. Aber auch aus Stetten, Sulz, Tägerig, Hägglingen, Othmarsingen, Wohlenschwil, Büblikon, Birr, Fislisbach, Rohrdorf und Staretschwil flossen Zinsen in die Mellinger Stadtkasse. Und selbst in den Städten Baden und Brugg hatte Mellingen Schuldner und auch in den relativ weit entlegenen Zürcher Gemeinden Weiningen und Glattfelden.
Einiges Geld floss auch durch den Verkauf von Holz in die Stadtkasse. Die Stadt besass insbesondere im Trostburger Twing ausgedehnten Waldbesitz. Neben den diversen weiter nicht spezifizierten Holzverkäufen fällt uns 1494 auf, dass der Baumeister nicht weniger als neun «tottenböm» (=Totenbäume), d.h. Särge, verkaufen konnte.
Weitere Einkünfte bezog man aus den Fischenzen. Die Reussfischenz wurde an Berufsfischer verliehen. Wie hoch der Pachtzins war, geht aus beiden Rechnungen leider nicht hervor. Bemerkenswert ist übrigens, dass Mellingen in beiden Jahren Fische ans Kloster Kappel liefern konnte. Denn es war gar nicht selbstverständlich, dass eine Zisterzienserabtei, die traditionellerweise eine eigene Fischzucht betrieb, Fische aus Mellingen bezog. Aber nicht nur aus der Reuss, sondern auch aus dem Stadtgraben zog man jährlich erhebliche Mengen Fische. Die Fischzucht im Stadtgraben scheint sorgsam gepflegt worden zu sein. So ist in den Rödeln von 1494 und 1506 bezeugt, der Baumeister habe Gerste als Futter für die Fische im Graben gekauft. Heinrich Rohr schätzt, dass Mellingen um 1500 rund einen Viertel seiner laufenden Ausgaben, nämlich etwa 100 Pfund, aus dem Verkauf von Fischen bestreiten konnte.
Da Mellingen in der Stadt über sämtliche Gerichtsrechte mitsamt dem Blutbann verfügte, waren auch die Einnahmen aus den Bussen recht beachtlich. Interessant ist beispielsweise der Eintrag von 1494, Bernhard Schärer sei mit 1 Pfund Busse belegt worden, weil man am Abend Holz in seinem Ofen vorgefunden hatte. Aus feuerpolizeilichen Gründen war dies nämlich laut Stadtrecht streng verboten. Mehrmals findet sich in den Rödeln auch der Vermerk, falls der Gebüsste das geschuldete Geld nicht innerhalb der angegebenen Frist bezahlen könne, müsse er die Stadt verlassen. So wurde 1499 dem Hintersassen Niklaus Engel von Nesselnbach die massive Busse von fünf Pfund aufgebrummt. Er hatte diese innert Monatsfrist zu begleichen. Doch konnte Engel nur drei Pfund auftreiben. Die Stadtbehörden liessen dann aber Gnade vor Recht walten und verzichteten auf die restlichen zwei Pfund, verknurrten Engel aber dazu, vier Tage unentgeltlich für die Stadt zu arbeiten. Nur so nebenbei mag hier noch erwähnt werden, welch reiches Namenmaterial diese Rödel nicht nur für Mellingen, sondern auch die umliegenden Gemeinden bieten und manche wertvolle Bausteine für die frühe Dorfgeschichte enthalten.
Erwähnen möchten wir bei den Einnahmen noch den sogenannten Einzug und Abzug. Jeder, der in Mellingen Wohnsitz nehmen wollte, musste den Einzug, meistens etwa zwei Pfund bezahlen. Wollte hingegen jemand die Stadt verlassen, so hatte er ein Abzugsgeld, d.h. rund fünf Prozent des Vermögens, an die Stadtkasse abzuliefern. Damit wollte man der Abwanderung hablicher Bürger in grössere Städte entgegenwirken.
Die Ausgaben
Die beiden grössten Ausgabeposten bildeten wie heute die Löhne für die Beamten und die Behördenmitglieder sowie das Bauwesen. Doch - wie schon erwähnt - lassen sich bezüglich der Löhne keine genauen Zahlen errechnen. Bis ins 17. Jahrhundert wurde der Dienst an der Öffentlichkeit zu einem grossen Teil durch Essen und Naturalien (Fische, Getreide, Holz usw.) abgegolten. So finden wir trotzdem erstaunlich viele Angaben über Behördenessen. Wir vernehmen beispielsweise, dass 1494 für das Essen der Rechnungskommission u. a. vier Hühner, Zwiebeln, Kalb- und Rindfleisch eingekauft werden musste. Häufig finden sich auch Ausgaben für Wein. Hier ein einziges Beispiel über ein Fischmahl der Richter: «Item 15 Schilling umb win als die richter die visch assendt und 17 schilling um die visch." Nicht selten wurden Beamte auch in Form von Kleidern entlöhnt: So erhielt der Stadtwächter Konrad Sarmenstorf 32 Schilling «für Gewandt".
Recht beachtliche Summen verschlang das Bauwesen der Stadt. Das weitaus grösste ,,Bauwerk" des Gemeinwesens war der über 300 m lange, mit Wasser gefüllte Stadtgraben vom Iberg bis zum Bruggertor. Am Graben wurde laut Rodel von 1494 an mehr als 40 Arbeitstagen gewerkt. Sonst finden sich aber 1494 nicht viele Ausgaben für andere Wehrbauten. Die Portale am «turnhus», d.h. am Zeitturm und am «cleinen tor» - wahrscheinlich ist damit das Tor beim Iberg gemeint - erhielten neue Schlüssel. Auch an der Ringmauer arbeitete Lienhard Murer 7 ½ Tage. Es lohnt sich nur schon wegen der altertümlichen und mundartlichen Sprache diesen Eintrag hier im originalen Wortlaut wiederzugeben:
«Item vii lb. und vii ½ ss Lienhartt mureren vii ½ tag an der rintmur 1 muren tmacht». d.h. zu «deutsch»: 7 Pfund 2 ½ Schilling Lienhard Murer gegeben, da er während 7 ½ Tagen an der Ringmauer Maurerarbeiten ausgeführt hat.
Diese altertümliche Sprache und der Umstand, dass alle Summenangaben der Rödel in römischen Ziffern und der übrige Text in einer recht eigenwilligen Kanzleischrift mit zahlreichen Abkürzungen geschrieben wurde, erklärt, dass auch für mich als Fachmann nicht alle Passagen der beiden Abrechnungen eindeutig les- und interpretierbar sind.
Auch an der Wasserversorgung, d.h. an der Zuleitung zu den städtischen Brunnen beim lberg, auf dem Kirchplatz, beim «Hirschen» und in der Unterstadt, nahm man damals grössere Erneuerungsarbeiten vor. So musste eine ganze Anzahl «tunckhell» (=Dünkel), d.h. Wasserleitungen aus Holzstämmen, die innen mit dem Dünkelbohrer ausgehöhlt wurden, neu verlegt werden. Damit war auch ein gewisser Zulauf von Mülligen beschäftigt. Um 32 neue Dünkel zu bohren, wurden 2 ½ Pfund und 5 Schilling verausgabt.
Das grösste bauliche Vorhaben der Stadt im Jahre 1494 waren jedoch umfangreiche Umbauten an der Pfarrkirche, der gotischen Vorgängerin des heutigen Gotteshauses. So lieferte der Ziegler von Bremgarten 5000 Ziegel. Offenbar wurde damals das Kirchendach neu eingedeckt. Im Weitern verkauften auch Ziegler von Baden und Lenzburg ihre Produkte, ein Hinweis, dass Mellingen damals noch keine eigene Ziegelhütte und keinen von der Stadt angestellten Ziegler hatte. Eine Ziegelhütte wurde erst nach dem Grossbrand von 1505 unterhalb des Städtchens gegen Brugg hin errichtet. Bemerkenswert ist ferner, dass ein ,»mauler» (Maler) von Baden an der Kirche ein grosses Bild des Kirchenpatrons, des. hl. Johannes, anfertigte. Der Künstler erhielt dafür 5 Gulden in Gold und 12 Pfund.
Ganz allgemein fällt auf, dass sowohl an der Kirche als auch an den Wehrbauten verschiedene Maurerarbeiten vorgenommen wurden. Bei anderen Häusern verwendete man damals anstelle von Bruchsteinen und Ziegeln hauptsächlich Holz und Schindeln. So vernehmen wir im Rodel von 1494, dass für 3 Pfund 5000 Schindeln geliefert wurden. Gewitzigt durch die Brandkatastrophe von 1505, ging man erst damals vermehrt zur Bauweise in Stein über.
Dass der Baumeister zum Heranführen der Baumaterialien über gutlaufende Gefährte verfügen musste, ist begreiflich. So ist es ein neckisches Detail, dass Baumeister Wolleb 1494 zweimal ein halbes Pfund «karrensalb» kaufen musste und dafür jedes Mal 8 Haller bezahlte.
Immer wieder fallen in den Baumeisterrödeln auch Ausgaben für kirchliche und soziale Zwecke auf. So erhielten Leute, die eine Wallfahrt unternahmen, ein Almosen, z.B. ein gewisser Meier von Tägerig und Hartmann Schwyzer von Birrhard. Und für auswärtige Leute, die für den Bau einer Kirche oder Kapelle Geld sammelten, hatte man ebenfalls stets eine offene Hand.
1494 beispielsweise spendete man für die Kirche im thurgauischen Gachnang und 1499 an die Kapellenbauten in Leimbach/ZH, in Quinten am Walensee und in Valens bei Bad Pfäfers.
1499 suchte das schaffhausische Hallau in Zusammenhang mit dem Schwabenkrieg eine arge Brandkatastrophe heim. Nicht weniger als sechs Brandgeschädigten aus diesem Dorf zahlte der Baumeister insgesamt 9 Schilling und 2 Blappart aus. Auch Bettler und Zigeuner - letztere nannte man meist «Heiden» - erhielten ihr Scherflein aus der Stadtkasse, beispielsweise zwei Bettler aus Elgg im zürcherischen Grüningeramt und selbst ein Bedürftiger aus dem Bregenzerwald östlich des Bodensees.
Wie wir sehen, ist dieser 42 Seiten umfassende Baumeisterrodel von 1494 nicht ein trockenes Dokument, vollgepfropft mit nichtssagenden Einnahmen- und Ausgabenposten. Nein, dieses Schriftstück gewährt einen farbigen Einblick in das städtische Leben am Ende des Mittelalters. Zwei besondere Ereignisse, die in diesem Papier verzeichnet sind, mögen den Schlusspunkt dieser Studie bilden:
Bekanntlich verfügte Mellingen seit ca. 1400 auch über die Blutgerichtsbarkeit, konnte also über Leben und Tod fehlbar gewordener Menschen entscheiden. Laut Rodel von 1494 müssen in diesem Jahr mindestens zwei Personen - und zwar wahrscheinlich gleichzeitig - hingerichtet worden sein. Der Baumeister musste nämlich für 8 Haller zwei «helsling», womit die zum Tode Verurteilten gehängt wurden, kaufen. Den Scharfrichter entlöhnte man für seine «Arbeit» mit der sehr respektablen Summe von 10 Pfund, und der Weibel erhielt ebenfalls ein Pfund, da er den sogenannten «Nachrichter» abholte und nachher wieder heimbegleitete. Mellingen besass nämlich nicht einen eigenen Scharfrichter. Diese eher anrüchige Aufgabe überliess man gerne dem jeweiligen Amtsinhaber der Stadt Baden. Nun hat man 1972 bei der Restaurierung der katholischen Kirche, die bis ins 19. Jahrhundert von einem Friedhof umgeben war, bei Grabarbeiten eine merkwürdige Entdeckung gemacht. Man fand nämlich zwei Skelette, die - soviel ich mich noch zu entsinnen mag - in der Halsgegend zusammengebunden waren. Handelte es sich dabei vielleicht um die sterblichen Überreste der 1494 hingerichteten Personen? Da Hingerichtete jedoch nie in geweihter Erde, d.h. auf dem Friedhof, beigesetzt wurden, müssten die beiden ausserhalb der Kirchhofmauern bestattet worden sein. Weil ich über diese Begebenheit erst nachträglich informiert wurde, und man diesen Fund leider nicht untersuchte und keine Positionsskizze anfertigte, muss die Frage offenbleiben ...
1494 sank in der Reuss auch eine Fähre. Das Heben dieses Schiffs bereitete offensichtlich viel Mühe, so dass man sogar zwei Fachleute aus Weiningen beiziehen musste. Ob das gesunkene Schiff schliesslich geborgen werden konnte, entzieht sich unserer Kenntnis. Sicher ist aber, dass Mellingen 1494 nicht in den Schulden versank, sondern sich als relativ wohlhabende Gemeinde mit einem geordneten Finanzhaushalt präsentierte. Dies sollte sich dann 1505 schlagartig ändern, als Mellingen zu etwa 60 Prozent niederbrannte und sich wegen des Wiederaufbaus vor schier unlösbare finanzielle Probleme gestellt sah. Auch heute (1994) rufen wieder viele kostspielige Projekte nach einer Realisierung, so dass man sich oft ernsthaft fragen muss, wie denn dies alles finanziell zu verkraften sei. Doch der urbane Geist von Einwohnerschaft und Behörden von Mellingen werden auch diese Klippen meistern. Als Bewohner einer schon vielfach krisengeschüttelten Stadt ist man sich schliesslich allerlei gewohnt ...
Quellen und Literatur:
- Heinrich Rohr. Die Stadt Mellingen im Mittelalter. Aarau 1947, S. 91-126.
- Stadtarchiv Mellingen. Nr. 140. Rödel 1494, 1499.
Bild-Nr.: 41045
Bild: Mellinger Städtlichronik 1994/Leo Peterhans
Text: Mellinger Städtlichronik 1994
Copyright: Mellinger Städtlichronik 1994