Gottfried Baur, Pfarrer

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Abschied von Pfarrer Gottfried Baur

Die Totenglocke verkündet uns Mellingern den Tod von alt Stadtpfarrer Gottfried Baur.
Am 20. Mai 1996 holte ihn Gott, in dessen Dienst er treu sein ganzes Leben diente,
nach schwerer Krankheit im Spital Muri, in die ewige Heimat.

Gottfried Baur, geboren an 22. August 1913 in Wohlen, erhielt im Jahre 1941 die Priesterweihe und feierte in seiner Heimatgemeinde Wohlen die Primiz. Seit 1956 diente er der Katholischen Kirchgemeinde Mellingen während 32 Jahren. Pfarrer Baur war ein umsichtiger und engagierter Seelsorger. Er war vielen Jugendlichen ein Vorbild und verstand es immer wieder mit seiner humorvollen Art zu begeistern und unvergessliche Jugendlager zu gestalten. Pfarrer Baur war
auch bekannt für seine eigenwilligen Predigten. Sein legendärer Hut war sein äusseres Wegzeichen, das stets auch auf seine innere Grösse, die Geborgenheit. hinwies.
Unermüdlich und ideenreich setzte er sich auch für die Innen- und Aussenrenovation der Pfarrkirche St. Johannes ein. In der ganzen Schweiz wurde er als «Zementpfarrer» bekannt.
Nach seinem Wegzuge aus Mellingen verbrachte er seinen Ruhestand im Elternhaus in Wohlen. 1993 feierte er in Mellingen mit der Johannespfarrei in einem Sonntagsgottesdienst seinen 80. Geburtstag. Bis zu seinem Tode war er mit «seiner» Pfarrei Mellingen, die seiner in Dankbarkeit gedenkt, verbunden. Am 23. Mai fand der Abschiedsgottesdienst in der Leonhardspfarrei in Wohlen statt. Seine Grabstätte befindet sich neben der Kirche in Wohlen bei den Priestergräbern. Die St. Johannespfarrei Mellingen nahm am 5. Juni in einem Gedenkgottesdienst Abschied von ihrem langjährigen, beliebten und humorvollen Seelsorger.



Bild-Nr.: GB001
Bild: Mellinger Städtlichronik 1996
Text: Mellinger Städtlichronik 1996
Copyright: Mellinger Städtlichronik 1996

20.05.1996

Lebenserinnerungen von Pfarrer Gottfried Baur

Foto: Verabschiedung von Mellingen am 1.1.1989

Ein Mensch, der über sich selbst lachen konnte...

Kürzlich erschien in der «Sarner Kollegi Chronik», der Vierteljahresschrift dieser traditionsreichen Schule, ein persönlich verfasster Lebenslauf unseres am 20. Mai 1996 verstorbenen ehemaligen Pfarrers.
Da Dr. Rainer Stöckli ebenfalls, wie Gottfried Baur Alt-Sarner ist und einer der allerersten war, der seinen legendären Lateinunterricht an der Mellinger Bezirksschule genoss, blieb er mit dem Dahingegangenen zeitlebens eng verbunden. Deshalb möchte Dr. Stöckli diesen äusserst originellen Text, der im typisch schalkhaften Ton des ehemaligen Seelsorgers geschrieben ist, den Reussbote-Lesern nicht vorenthalten.

Nachfolgend nun der persönlich geschriebene Lebenslauf Pfarrer Baurs:
Am 22. August 1913 wurde ich in Wohlen als siebtes Kind von Gottfried und Josefine Baur-Saxer geboren. Schlussendlich waren wir unserer neun Kinder, was eine grosse und nicht immer leichte Aufgabe war, besonders wenn man an mich zurückdenkt. Die Primar- und Sekundarschule besuchte ich in Wohlen, teils zur Freude und gelegentlich auch zum Ärger meiner Lehrer. Bei der späteren Beerdigung eines meiner Lehrer richteten sich einige Blicke auf mich, was ich als sehr unangenehm empfand.
Nach der Schulentlassung war ich bis zum ersten Zahltag in der Firma Fanny Grütter tätig. Nach 14 Tagen brachte ich den ersten und letzten Zahltag heim, da ich schon wieder gekündigt hatte. Mein Vater, der ein Wein- und Kaffeegeschäft betrieb, meinte, dass ich vielleicht einmal das Geschäft übernehmen könne. Dann kam ich in das Institut St. Josef im elsässischen Mazenheim.

Inzwischen hatte der Vater dem Graphologen Dr. Baumberger im Weggis einen Aufsatz von mir geschickt, um herauszufinden, ob ich ein kaufmännisches Talent hätte. Es war nicht der Fall. Ich bat meine Eltern, ob ich nicht doch noch studieren dürfe. So kam ich ans Progymnasium in Rebstein (SG), das von strengen Jesuiten geleitet wurde. Man erklärte mich für die Mission in Afrika als untauglich. So verzichtete ich auf Löwen- und Elefantenjagd - und auch auf die Bekehrung der Heiden. Ich schwor bei sämtlichen Heiligen, nie mehr in eine so strenge Schule zu gehen.
Weiterstudieren wollte ich schon, aber anderswo. Ich fragte verschiedene Gymnasien an, ob noch ein Platz frei wäre, doch erhielt ich Absage auf Absage, sodass sich der Verdacht aufdrängte, meine früheren Oberen hätten an die Rektoren aller Gymnasien geschrieben, sie sollten mich nicht aufnehmen, ausser sie hätten Spass daran, die Nerven zu verlieren.
Ich erhielt doch noch vom Kollegium Sarnen die gute Nachricht, sie könnten mich noch aufnehmen. Das war ein «Alleluja» wert. Am liebsten hätte ich den ganzen Konvent umarmt, mit Ausnahme von Pater Superior, der mir etwas zu umfangreich war. Er schien mir eine Neuauflage von Thomas von Aquin zu sein. Ich glaube, er war es, der sagte, als er einmal auf der Waage stand: «Bitte kein Gruppenbild».
1936 bestand ich die Matura; Einigen besonders begabten Erziehern habe ich es zu verdanken, dass in mir der Gedanke aufstieg auch einmal so junge Menschen erziehen zu dürfen. Nach der Matura besuchte ich das Priesterseminar St. Beat in Luzern.
Leider verspürte ich noch keine Lust, Sonntag für Sonntag «liebe Christen» zu sagen. So lieb sind viele auch wieder nicht.

Darauf folgten drei Jahre an der Universität Freiburg. Die Berufsentscheidung war noch nicht gefallen. Von oben kam noch ein Anruf, was in mir den Verdacht erweckte, dass der Himmel sich gelegentlich aufs Schweigen verlegt. So belegte ich vorsichtshalber neben Theologie auch Pädagogik und alte Sprachen. Dann aber entschloss ich mich, trotz aller Bedenken, Priester zu werden.
1941 feierte ich in Wohlen Primiz. Vorerst erhielt ich wie einige andere Neupriester keinen Posten. Unser Regens im Salesianum zu Freiburg sagte zu uns Theologen einmal: «Wir haben zu viele Priester, und es wäre besser, ihr würdet nach Kolumbien oder Putamaya auswandern». Putamaya zog mich nicht an, wohl aber der Strom.

So wurde ich im Spätherbst an den Rheinfall nach Neuhausen bestimmt. Es war kein Reinfall, es waren herrliche Jahre, die ich dort verbrachte. Fünf Jahre später rief man mich als Pfarrhelfer nach Baden. Der Herr Stadtpfarrer Häfeli führte mich der Kirchenpflege vor. Diese besichtigten mich und nickten mir einigermassen wohlwollend zu.
Zehn Jahre später holten mich die Mellinger aus der lebensfrohen Stadt Baden an die Reuss. Hier wirkte ich als Pfarrer während 32 Jahren. Bei meiner Tätigkeit als Seelsorger in Mellingen lag mir vor allem die Jugend am Herzen, aber oft und gern ging ich auch ins Altersheim. Was mich besonders gefreut hat, war das grosse immer wiederkehrende soziale Engagement meiner Pfarrei in Mellingen für die Armen in Brasilien. 1983 erhielt ich dafür das Ehrenbürgerrecht von Fatima do Sul in Brasilien.
Gegen Ende dieser Periode hielt mir der Himmel einmal das Bibelwort vor die Nase: «Wer mein Jünger sein will, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach."
Am 3. Januar 1989 zog ich von Mellingen weg ins Elternhaus nach Wohlen, von wo aus ich viele Aushilfen übernehmen durfte.
Dies ist im Wesentlichen mein Lebenslauf, wobei es an Hochs und Tiefs, an Freud und Leid nicht fehlte. Ich danke allen, die durch meine Gottesdienste im Glauben bestärkt worden sind und danke über mein Grab hinaus auch meiner ehemaligen Haushälterin Josefine Leupi. Sie war in ihrer Art ein Original, wie es heute leider nur noch wenige gibt.
Wenn Sie, liebe Gläubige, jetzt meinen Lebenslauf gelesen haben, weiss ich mehr, als Sie alle, und freue mich, Sie einmal wiederzusehen. Die Geschichte des Menschen endet nicht im Grab. Ich glaube an ein Weiterleben und an ein Wiedersehen. Alle, denen ich vielleicht einmal wehgetan haben sollte, bitte ich um Vergebung. Ich bitte Sie auch, bleiben Sie dem Glauben treu. Seid grosszügig und gut zueinander und baut weiter an den Brücken zu den Andersgläubigen, auch zu den Andersdenkenden."

Gottfried Baur


Bild-Nr.: GB002
Bild: Fotoarchiv Mellingen
Text: Rainer Stöckli / Gottfried Baur
Copyright: Reussbote

20.05.1996