1476 - Mellingen in den Burgunderkriegen, Rainer Stöckli

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1476 Mellingen in den Burgunderkriegen

Wie schon an anderer Stelle in der «Städtlichronik» erwähnt, ziert seit dem 11. November 1992 eine junge Linde, die aus einem Schössling der ehemaligen Murtenlinde gezogen wurde, die Ibergwiese in Mellingen. Diese Pflanzung ist wahrhaft ein sehr symbolträchtiger Akt! Ich selber habe noch als Student in Freiburg das langsame Sterben dieser Linde mitverfolgt. Der gewaltige Verkehr, der den alternden Baum vor der Eröffnung der Autobahn umbrauste, hat diesem historischen Monument wohl einen frühzeitigen Tod beschert. Umso erfreulicher ist es nun, einen Abkömmling dieser Linde in den Gemarkungen von Mellingen zu wissen.

Wenn auch kein Beweis vorliegt, dass die Murtenlinde einen direkten Zusammenhang mit der Schlacht von Murten hat - manche glauben sogar, dieser Baum habe schon vor 1476 existiert! , ist heute der Volksglaube stark verwurzelt, ein Meldeläufer habe nach der Schlacht als Siegeszeichen einen Lindenzweig nach Freiburg überbracht, den man dann in den Boden gesteckt haben und so zum geschichtsträchtigsten Baum in der Eidgenossenschaft herangewachsen sein soll. So ist denn die Murtenlinde gleich wie Wilhelm Tell zu einem Symbol für den Sieg der Eidgenossen über eine fremde Macht geworden. Und daher ist es eigentlich müssig, am historischen Gehalt dieser beiden Sagen herumzudeuteln.

Bedeutsam ist einzig: An der Murten-Schlacht vom 22. Juni 1476 haben tatsächlich Bürger von Mellingen gegen Herzog Karl den Kühnen von Burgund mitgekämpft. Wie gross das Mellinger Kontingent allerdings war, ist nicht bekannt. Einen Anhaltspunkt liefern uns aber die Angaben über die Schlacht von Grandson vom 2. März 1476. Nachdem Mellingen bereits einige Mann den Freiburgern zu Hilfe geschickt hatte, marschierten Anfang März unter der Leitung von Hans Arnold von Segesser (1451-i503) 77 Bürger aus Bremgarten und Mellingen nach Grandson. Als Dank für seine hervorragenden Dienste wurde Segesser noch am Abend des Schlachttages vom Berner Schultheissen zum Ritter geschlagen.
Da anzunehmen ist, dass an der Murtenschlacht eine etwa gleichgrosse Mannschaft teilgenommen hat und Bremgarten damals ungefähr doppelt so viele Einwohner als Mellingen zählte, liegt die Vermutung nahe, sowohl in Grandson als auch in Murten hätten etwa 24 Mellinger mitgekämpft. An der entscheidenden Schlacht von Nancy vom 5. Januar 1477, an der Herzog Karl der Kühne fiel, waren Bürger unserer Stadt wieder dabei, allen voran Hans Rudolf von Segesser
(+ 1525), ein Bruder des obgenannten, der angesichts seiner Tapferkeit ebenfalls die Ritterwürde erlangte und ein Jahr später zum Schultheissen von Mellingen erwählt wurde.

Herzog Karl der Kühne hinterliess riesige Vermögenswerte. Diese sogenannte Burgunderbeute teilten die Eidgenossen unter sich auf. So erhielten Bremgarten und Mellingen nach dem Verkauf des berühmten Burgundischen Diamanten auch noch einen Anteil von ansehnlichen 25 Gulden zugesprochen.

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Es sei hier noch auf eine weitere Gemeinsamkeit der Städte Murten und Mellingen hingewiesen: Sowohl Mellingen als auch Murten führen in ihrem Siegel einen aufrechtstehenden roten Löwen.
Und noch etwas: Linden waren in Mellingen schon seit Jahrhunderten beliebte Bäume. Davon zeugt der bis ins 17. Jahrhundert zurückgehende Flurname Lindenmatte im Gebiet des heutigen Lindenmattwegs. Diese Örtlichkeit hiess häufig einfach «Unter den Linden» und wurde von den Bürgern hauptsächlich zum Anbau von Gemüse verwendet. Ein Standort der jungen Murtenlinde in diesem Gebiet wäre also durchaus denkbar gewesen. Doch war es ebenso sinnvoll, den Baum ganz in der Nähe des Ibergs, dem Stammsitz der Segesser, die in den Burgunderkriegen eine bedeutsame Rolle spielten, einzupflanzen.
So möge dieser junge Baum mit wahrhaft historischen Wurzeln als Symbol einer hoffnungsvollen Zukunft seine Äste kraftvoll in den Mellinger Himmel recken.

Literatur:
-Theodor von Liebenau. Mellingens älteste Geschichte. In Argovia XIV (1884), S. 30
(mit zum Teil falschen Angaben)
-Heinrich Rohr. Die Stadt Mellingen im Mittelalter. Aarau 1947, S. 65
-Philipp Anton von Segesser. Die Segesser zu Mellingen, Aarau und Brugg. Bern
1885, S. 112f.



Bild-Nr.: 41020
Bild: Mellinger Städtlichronik 1993
Text: Rainer Stöckli
Copyright: Mellinger Städtlichronik 1993

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