1992 - 750 Jahre Stadt Mellingen, Rainer Stöckli

Geschichte > Aus Mellinger Städtlichroniken ab 1991

Im Mai dieses Jahres (1992) waren es genau 750 Jahre her, dass Mellingen erstmals in einer Urkunde als «oppidum», d.h. als Stadt, erwähnt wurde. Das im Staatsarchiv Zürich liegende Pergament berichtet, im Mai 1242 habe der aus Zürich stammende kyburgische Ministeriale Ritter Heinrich von Schönenwerd seine Zehnten im Zugerland und im angrenzenden Zürichbiet ans Kloster Kappel verkauft. Die von Ritter von Schönenwerd gestellten Bürgen verpflichteten sich, falls der Kaufvertrag nicht eingehalten werde, in den «oppida Zug et Mellingen» Giselschaft zu leisten, d.h. die Bürgen mussten sich auf eigene Kosten so lange in den genannten kyburgischen Städten aufhalten, bis der Kaufvertrag erfüllt war.

Wenn auch Mellingen erst 1296 durch die Stadtrechtsurkunde Herzog Albrechts formalrechtlich zur Stadt erhoben wurde, war unsere Gemeinde schon mehr als 50 Jahre früher als systematisch konzipierte Siedlung mit Befestigungsanlagen und eigenem Markt links der Reuss angelegt worden. Wie gesagt, können dieses Jahr sowohl Mellingen als auch Zug die 750. Wiederkehr der ersten urkundlichen Erwähnung als Stadt feiern.

Fachleute nehmen jedoch an, diese planmässigen Siedlungen seien schon im vorangehenden Jahrzehnt von Graf Hartmann d.A. von Kyburg errichtet worden. Mellingen und Zug können denn, wenn ihre Entwicklung in späteren Jahrhunderten auch in ganz andern Bahnen verlief, in gewissem Sinn als Schwesterstädte bezeichnet werden.

Der streng geometrische Grundriss Mellingens lässt vermuten, dass sich dort, wo sich heute die Altstadt ausbreitet, keine bedeutende Vorgängersiedlung befand; im Fachjargon nennen wir dies eine Gründung aus wilder Wurzel. Beim früher genannten Mellingen muss es sich um das rechts der Reuss gelegene Dorf Mellingen handeln. Neben der 1045 erstmals erwähnten Kirche bestand vor 1242 auf heutigem Stadtgebiet möglicherweise auch schon das alte Rathaus neben
der Brücke als befestigter Turm zur Sicherung des Flussübergangs. Die vor 50 Jahren entdeckte romanische Säule aus der Zeitturm 1250 könnte diese These untermauern.

Was bewog denn die Kyburger, dieses «oppidumt» in der recht offenen Landschaft im untern Reusstal anzulegen? Mellingen ist hauptsächlich als strategische Siedlung zu betrachten. Denn Lenzburg und Baden lagen ebenfalls in kyburgischem Besitz. Im Eigenamt und im Raum Bremgarten sassen hingegen die Habsburger. Um nun die Korrespondenz zwischen Lenzburg und Baden sicherzustellen, war es für die Kyburger fast ein Muss, am kürzesten Verbindungsweg zwischen diesen beiden Siedlungen an der engsten Stelle der Reuss, bevor sich diese in die Endmoräne einfrisst, einen sicheren Reussübergang zu schaffen. Es ist daher auch anzunehmen, dass die 1253 erstmals erwähnte Brücke zugleich mit der Stadt erbaut wurde.

In weiteren Urkunden von 1244 und1248 wird Mellingen als «civitas», eine städtische Gemeinschaft mit einem Schultheissen an der Spitze, und 1256 als «castrum», also als befestigte Siedlung, erwähnt. Diese plötzlich recht häufig auftretenden Hinweise auf das städtische Wesen lassen keinen Zweifel offen: Vor 750 Jahren entstand hier in Mellingen Bedeutendes: eine vollausgebaute bewehrte Siedlung mit Brücke und Markt, ein militärisch-wirtschaftlicher Stützpunkt der Kyburger, deren Stern aber zu seiner Zeit in unserer Gegend bereits am Sinken war:
1273 ging Mellingen käuflich endgültig ans Haus Habsburg über und erhielt dann, wie erwähnt, 1296 von Graf Albrecht das Stadtrecht von Winterthur geschenkt. Vom historischen Standpunkt aus gesehen ist jedoch das Faktum des Stadtbaus um 1230/40 als weitaus bedeutsamer einzustufen als die Stadtrechtserteilung von 1296, verdankt doch Mellingen seine Entstehung eindeutig dem Dualismus zwischen den Häusern Kyburg und Habsburg. Es ist deshalb fraglich, ob Habsburg am Ende des 13. Jahrhunderts, als ein Grossteil des Aargaus schon längere Zeit im Besitz dieser mächtigen Grafen lag, im Raum Mellingen noch eine Stadt errichtet hätte. Denn vom wirtschaftlichen Standpunkt her war Mellingen eine Fehlgründung: die nahegelegenen Städte Bremgarten, Lenzburg, Brugg und Baden, alle keine zehn Kilometer von Mellingen entfernt, verhinderten, dass Mellingen zu einer bedeutenden Wirtschaftsmetropole heranwachsen konnte.
Wir verdanken es also hauptsächlich der politischen Not der Kyburger vor 750 Jahren, dass unser Gemeinwesen sich heute noch Stadt nennen darf. Eine Würde, auf die, obwohl sie heute mit nicht unerheblichen finanziellen Bürden verbunden ist, alle Mellinger mit Recht stolz sein dürfen.

Quellen und Literatur:
-Theodor von Liebenau. Materialien zur Geschichte der Stadt Mellingen. In:
Argovia 14 (1884) S. 97ff
-Quellenwerk zur Entstehung der Schweizerischen Eidgenossenschaft llI, Aarau
1933, S. 210
-Heinrich Rohr. Die Stadt Mellingen im Mittelalter. Aarau 1947, S.10-14
-Peter Hoegger. Die Kunstdenkmäler des Kantons Aargau. Band VI: Der Bezirk
Baden I. Basel 1976, S. 423f
-Rainer Stöckli. Geschichte der Stadt Mellingen von 1500 bis zur Mitte des 17.
Jahrhunderts. Fribourg1979, S. 368f
-Die Städte der Grafen von Kyburg. Winterthur 1980, S. 44f, 74f
-Karl Keller. Die Grafen von Kyburg und ihre Stadtgründungen. In: Die Grafen von
Kyburg. Olten und Freiburg im Breisgau 1981, S. 93.
-Rainer Stöckli. Was Zug und Mellingen verbindet. In: Zuger Nachrichten
23.Mai1992.



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Bild: Mellinger Städtlichronik 1992
Text: Mellinger Städtlichronik 1992 / Rainer Stöckli
Copyright: Mellinger Städtlichronik 1992

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