1841 - Dunkle Wolken über dem Kloster Gnadenthal, Rainer Stöckli
Geschichte > Aus Mellinger Städtlichroniken ab 1991
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Die aargauischen Klöster erlebten vor 150 Jahren die dunkelsten Stunden ihrer Geschichte.
Am 5. Januar 1841 hatte das Aargauer Volk die von vielen Katholiken bekämpfte neue Kantonsverfassung angenommen. Die Schuld an dieser Opposition und die
darauf vor allem im Freiamt ausgebrochenen schweren Unruhen schob man insbesondere den Mönchen zu, und so hob der aargauische Grosse Rat auf Antrag von Regierungsrat Augustin Keller am 13. Januar 1841 sämtliche aargauische Klöster auf.
Dieser Beschluss traf wohl völlig unbegründet auch das Kloster Gnadenthal. Dessen Priorin war die 85jährige Mellinger Bürgerin Maria Bernarda Hümbelin (1755-1847, die damals dem Kloster bereits 52 Jahre vorstand. Schon in ihrer früheren Regierungszeit hatte die Priorin viel Ungemach durchstehen müssen, wie uns P. Alberich Zwyssig, der Komponist des Schweizer Psalms, in seinem vorzüglichen Nekrolog in der «Schweizerischen Kirchenzeitung» schildert.
Als sich im Frühjahr 1798 beim benachbarten Hägglingen Zuger Truppen dem französischen Revolutionsheer entgegenstellen wollten, floh Maria Bernarda mit ihrem Konvent ins damals noch österreichische Fricktal. Im Juli des gleichen Jahres konnten die Schwestern zwar wieder in ihre alte Heimat zurückkehren. Doch die nun anbrechende Helvetik brachte dem Kloster keine Besserung. Der Einzug von Bodenzinsen und der Zehnten wurde dem Konvent untersagt, der Klosterschatz verschachert und der Priorin verboten, neue Schwestern (Novizinnen) ins
Kloster aufzunehmen. Dieses Novizinnenverbot hatte bis 1818 Geltung. In den Jahren darauf gelangte das Klösterlein an der Reuss in personeller und ökonomischer Hinsicht nochmals zu einer bescheidenen Blüte, die dann durch das Aufhebungsdekret vom 13. Januar 1841 ein abruptes Ende fand. Vergeblich wehrte sich die greise Klostervorsteherin gegen diesen «unerhörten Gewaltsakt» (Zwyssig). Als die Priorin vernahm, die Chorfrauen müssten innert 14 Tagen das Kloster verlassen, «zerfloss sie in Tränen und der Jammer teilte sich allen
Conventualinnen mit", wie uns ein Zeitgenosse berichtet.
Doch alles Klagen fruchtete nichts. Die Priorin versuchte zuerst, mit ihrem Konvent in ihrer Heimatstadt Mellingen, mit der das Kloster seit vielen Jahrhunderten verburgrechtet war, unterzukommen. Da aber Mellingen ebenfalls im Aargau lag, wurde ihr dies amtlich untersagt. So mussten die Schwestern in härtester Winterszeit ihre alten Mauern verlassen. Die meisten fanden im heute (1991) noch existierenden Zisterzienserinnenkloster Frauenthal im Kanton Zug Unterschlupf, einige weitere im Kloster Wurmsbach am oberen Zürichsee oder bei Anverwandten.
Gegen den Aufhebungsbeschluss des Grossen Rates erhob die eidgenössische Tagsatzung Einspruch. Nach langem Feilschen einigte man sich am 31. August 1843 dahin, die vier Frauenklöster Hermetschwil, Gnadenthal, Fahr und Maria Krönung in Baden wieder herzustellen. Am 7. Dezember 1843 zog Maria Bernarda mit einem kleinen Häufchen Mitschwestern wieder in ihrer angestammten Heimat ein, wo die Priorin ihre Konventualinnen in der Kirche versammelte und mit ihnen unter Schluchzen das Te Deum betete. Obwohl Maria Bernardas Kräfte immer mehr abnahmen, kümmerte sie sich bis zu ihrem Tod rührend um ihre Anvertrauten. Am 22. Januar 1847 nahmen die 13 Schwestern endgültig von ihrer Mutter Abschied. Mehr als 91 Jahre waren ihr auf dieser Erde beschieden gewesen; 58 Jahre davon stand sie dem Kloster als tapfere und unerschrockene Priorin vor. Ihr Porträt, das der Stanser Maler Heinrich Keiser 1839 malte, hängt noch heute im Klostermuseum Gnadenthal. Ein gleiches Bild wird im Ortsmuseum Mellingen verwahrt.
Maria Bernarda Hümbelin entstammte einer bedeutenden Melllinger Bürgerfamilie, welche 1635 von Wohlen her im Städtchen einwanderte. Vor wenigen Jahren verliess die letzte Vertreterin dieses Geschlechts unsere Gemeinde.
Was das weitere Schicksal des Klosters Gnadenthal betrifft, ist noch zu erwähnen, dass der Konvent im Gefolge des Kulturkampfes am 16. August 1876 endgültig aufgehoben wurde. Die sieben übrig gebliebenen Chorfrauen verliessen am 1. Dezember 1876 das 1282 erstmals erwähnte Kloster und fanden gastfreundliche Aufnahme im Kloster Eschenbach im Kanton Luzern.
Über die letzte Gnadenthaler Klosterfrau berichtet der Mellinger Pfarrer Richard Bopp in seiner Schrift über Gnadenthal folgendes: «Droben in Tägerig führte Chorfrau Martina Meier, die letzte Gnadenthalerin, in ihrem vergitterten Kirchenstuhl das Leben des Gebets und die Hingabe an Gott weiter, bis sie im Jahre 1906 die Liebe zu ihrem Klösterlein und die Hoffnung auf dessen Wiedererstehen mit sich ins Grab nahm».
Von 1876 bis 1894 dienten die Klostergebäude dann als Tabakfabrik, und seit Ende des letzten Jahrhunderts ist Gnadenthal eines der grossen aargauischen Pflegeheime. Die zahlreichen Betreuer verwirklichen auf ihre Weise durch die Pflege am hilflosen und kranken Mitmenschen weiterhin das Lob Gottes.
Bild-Nr.: 41002
Bild: Mellinger Städtlichronik 1991
Text: Mellinger Städtlichronik 1991 / Rainer Stöckli
Copyright: Mellinger Städtlichronik 1991