Rund um Mellingen

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Menschen, die ohne ihre eigene Vergangenheit leben,
sind Bäume ohne Wurzeln.

Spruch an der Seemauer in Zug


Vorwort
zur Broschüre, die von der Druckerei Nüssli herausgegeben wurde.

1996 feierte unsere Gemeinde in festlichem Rahmen «700 Jahre Stadtrecht Mellingen».
Der langjährige Oberstufenlehrer Herbert Frei trug ans Festkomitee die Idee heran, im
Jubiläumsjahr durch Gemeindeumgänge der Bevölkerung ihren Lebensraum näher zu bringen. Mit der Realisation des Projekts wurde Bezirkslehrer Ernst Vögeli betraut. Dieser fragte mich an, ob ich den historischen Part der Exkursionen bestreiten möchte. Mit Freuden nahm ich diese Herausforderung an.

Schon von Anfang an war es Emst Vögeli und mir klar, dass diese Umgänge nicht die Altstadt,
durch welche regelmässig Führungen angeboten werden, sondern das Umfeld unserer
Gemeinde zum Thema haben sollten. Insbesonders versuchten wir, die Wechselwirkung von
Altstadt und der sie umgebenden Landschaft speziell aus historischem, wirtschaftlichem und
naturkundlichem Blickwinkel heraus unter die Lupe zu nehmen.

Ein erster Umgang war am 11. Mai 1996 dem Gebiet rechts der Reuss, dem sogenannten
«Trostburger Twing», gewidmet. Hier offenbarte sich eindringlich, welche immense Bedeutung dieser Gemeindeteil in wirtschaftlicher Hinsicht als Standort von drei Mühlen, ausgedehnten Rebbergen und grossem Waldgebiet hatte.

An der zweiten Exkursion bereiste man am 19.Oktober 1996 die Aussenbezirke auf der linken
Reuss-Seite, d. h. den Stadtbann. An verschiedenen Stellen wurde den Teilnehmern so richtig bewusst, dass schon vor Hunderten von Jahren die Tendenz bestand, Unangenehmes
auszugrenzen, vom bewohnten Gebiet fernzuhalten. Markante Beispiele sind der
Hochgerichtsplatz an der Strasse Wohlenschwil-Tägerig, das Siechenhaus und der im
18. Jahrhundert angelegte Friedhof. Anderseits müssen wir feststellen, dass heute einige hundert Meter westwärts der Altstadt in der Kleinen Kreuzzelg eine Art «Neu-Mellingen» mit
Oberstufenzentrum, Mehrzweckhalle, Sportanlagen und Feuerwehrstützpunkt mit eindeutig
interkommunalem Charakter entstanden ist.
Während sich das Mellingen früherer Jahrhunderte in rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht bewusst von der die Stadt umgebenden Landschaft abgeschottet hatte, sehen wir Ende
des 20. Jahrhunderts nicht zuletzt am Beispiel Zentrum Kleine Kreuzzelg recht deutlich, welch integrative Kraft Mellingen heute ausübt, nicht im Sinn von Machtpolitik, sondern von Kooperation.
Die Realisation dieser beiden Umgänge, an denen rund 250 Personen teilgenommen haben,
erheischten viele Tage des Recherchierens und der Vorbereitung. Daher reifte in mir der
Gedanke heran, das Vorgetragene auch schriftlich festzuhalten und einzelne Themen in kürzeren Artikeln in zwangsloser Folge unter dem Titel «Rosinen aus dem Mellinger Gemeindeumgang» im «Reussbote» zu publizieren. So sind vom 29. Mai 1996 bis 7. März 1997 nicht weniger als 23 Texte erschienen, die nun auf vielseitigen Wunsch hin in dieser Broschüre zusammengefasst werden. Ernst Vögeli möchte ich dabei herzlich für seine Bereitschaft danken, mir für einzelne Artikel seine Unterlagen überlassen zu haben. Doch bedaure ich es, dass dieses Büchlein etwas gar geschichtslastig ausgefallen ist. Aber ich fühlte mich nicht kompetent, auch über geologische und naturkundliche Fragen, die in den beiden Umgängen ebenfalls ausführlich zur Sprache kamen, zu berichten. Aus beruflichen Gründen und wegen anderweitigem grossem Engagement war es aber Ernst Vögeli leider nicht möglich, einige Texte aus seinen Fachgebieten beizusteuem. Doch hoffe ich, dass ihn diese Broschüre ermuntern wird, in ein paar Jahren - wenn der Berufsstress gewichen ist - über die höchst bemerkenswerten Geländeformen, welche unsern Siedlungskern fast wie ein Amphitheater umschliessen, sowie über die reiche Fauna und Flora des untern Reusstales eine Schrift zu verfassen. Denn ein solches Werk fehlt uns bis anhin in der sonst so reichhaltigen Literatur über Mellingen.

Es bleibt mir noch die angenehme Pflicht des Dankes: Allen voran möchte ich Ernst Vögeli
für seine aussergewöhnlich angenehme und fruchtbare Zusammenarbeit danken. Ohne ihn
wären die beiden Gemeindeumgänge und damit auch diese Publikation nicht zustande
gekommen. Zahlreiche Mellinger erteilten mir wertvolle Auskünfte oder stellten mir Bildmaterial zur Verfügung. Namentlich erwähnen möchte ich dabei speziell die Herren Otto Müller, Albert Fischer und Marin Frey.

Der Offizin Druckerei Nüssli AG - insbesondere den Herren Benedikt und Dieter Nüssli -
danke ich für die Aufnahme des vorliegenden Büchleins in ihr Verlagsprogramm und für die
sorgfältige Gestaltung dieser Schrift.

«Rund um Mellingen» will kein umfassendes Werk sein. Vielmehr wollen die in leicht
verständlicher Sprache geschriebenen Texte Anregung bieten, wieder vermehrt in unserer
nächsten Umgebung auf Entdeckungsreise zu gehen, um dadurch in dieser so liebenswerten
Landschaft noch tiefere Wurzeln zu schlagen.

Unterentfelden, im ApriI 1997

Rainer Stöckli

Rund um Mellingen - Broschüre der zwei Gemeindeumgänge 1997

Liebe Leserin, lieber Leser,

In Händen halten Sie eine schöne und interessante Schrift von unserem Mellinger
Ehrenbürger Rainer Stöckli mit dem Titel «Rund um Mellingen». Entstanden ist sie im Jubiläumsjahr 1996, als dieses schmucke mittelalterliche Städtchen an der Reuss mit zahlreichen Veranstaltungen seine 700 Jahre Stadtrecht feierte.
Dabei gehörten die zwei begleiteten Gemeindeumgänge zu den unvergesslichen Ereignissen im Reigen der verschiedensten Festaktivitäten. Es ist deshalb ausserordentlich zu schätzen, dass mit diesem Büchlein die historischen «Rosinen» aus diesen beiden Anlässen festgehalten worden sind.
Rainer Stöckli ist in Mellingen aufgewachsen, ist promovierter Historiker und lebt seit Jahrzehnten im westlichen Teil des Kantons, in Unterentfelden. Keiner kennt die Geschichte unseres Städtchens in dieser Intensität und Vielfalt. Aber auch kaum einer wäre in der Lage, das, was er weiss, auf diese Weise für unsere Herzen weiterzugeben. Er ist ein Glücksfall für die kulturellen und historischen Belange dieser Stadt. Deshalb wurde ihm auch im Festjahr 1996 das Mellinger Ehrenbürgerrecht verliehen.

Diese Schrift soll uns aber nicht in der Vergangenheit verharren lassen. An vielen Orten schlägt Rainer Stöckli ganz konkret den Bogen zur Gegenwart. Damit macht er Beziehungen sichtbar und regt zum Nachdenken an. Es gelingt ihm uns zu überzeugen, dass man die Vergangenheit kennen sollte, um die Gegenwart zu verstehen und damit bewusst die Zukunft gestalten zu können.

Ich danke Rainer Stöckli ganz herzlich für diese «Mellinger Rosinen» und wünsche ihm weiterhin viel Schaffenskraft. Mein Dank geht ebenfalls an alle andern, die zum Gelingen dieser schönen Broschüre beigetragen haben.

Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, wünsche ich viel Freude beim Lesen.

Mellingen, Juli 1997

Christine Egerszegi-Obrist
Stadträtin und Nationalrätin, Mellingen


Bild-Nr.: RuM001
Bild: Fotoarchiv Mellingen
Text: Rainer Stöckli
Copyright: Rainer Stöckli / © Druckerei Nüssli

.07.1997

Der Trostburger Twing

Bewusst wurde bei den zwei Gemeindeumgängen zuerst die Gemeindeseite rechts der Reuss bereist, fanden sich doch dort die ältesten Siedlungen Mellingens. Bereits um etwa 4000 v. Chr. soll im Ebereich an der Krete zur
Reuss, wo heute (1997) die Krater der Kiesgrube gähnen, ein Steinzeitdörflein bestanden haben. Dies belegen verschiedene Steinwerkzeuge und ein wohlerhaltener Einbaum (siehe HP Bild-Nr: 01254) , der aus der Kiesgrube geborgen werden konnte.

Um 500/600 n. Chr. entstand vermutlich im Gebiet, wo sich Trottenstrasse, Sonnen- und Höhenweg treffen, das Alemannendorf Mellingen. Gerichtsherren über dieses Dorf waren im 14. Jahrhundert die Herren von Trostberg im Wynental, darum die Bezeichnung Trostburger Twing (Twing = Niedergerichtsbezirk).

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1364 kaufte dann die Stadt Mellingen von den Trostbergern die niedere Gerichtsbarkeit ennet der Reuss, d. h. die Stadt konnte alle zivilrechtlichen Belange und Strafrechtsfälle bis zu 3 Schilling Busse aburteilen. Der politische Einfluss der Stadt war daher im Trostburger-Twing relativ gering. Doch als landwirtschaftliches Hinterland mit grossem Waldgebiet war Mellingen-Dorf von grosser Wichtigkeit, umfasst doch der Stadtbann, d. h. das Gemeindegebiet
links der Reuss, bloss 155 ha, der Trostburger-Twing fast das Doppelte, nämlich 308 ha.

Dieses Faktum gewann an Bedeutung, als im Alten Zürichkrieg um 1440 praktisch alle Höfe – es waren etwa ein Dutzend - niedergebrannt wurden, die Stadt deren Wiederaufbau verhinderte und der Rat und die Bürger das meiste Land im Dorf aufkauften. Somit wohnten nurmehr wenige Personen im Twing, so dass das politische Leben des Dorfes mit zwei Meiern an der Spitze noch im 15. Jahrhundert völlig erstickte. Doch wird eine Abschrift des Dorfrechts Mellingen aus der Zeit um 1420 noch heute im Stadtarchiv aufbewahrt.

Der wirtschaftliche Einfluss war also jenseits der Reuss sehr stark geworden, politisch gehörte aber Mellingen-Dorf bis 1798 zum Amt Rohrdorf, das direkt dem Landvogt von Baden unterstellt war. Erst 1798, zur Zeit der Helvetik, wurden die beiden Mellingen zu einer Gemeinde verschmolzen. Wir können also in zwei Jahren den Anschluss von Ost-Mellingen an West-Mellingen feiern, Zustände fast wie in Berlin...

Bild
«Wappen des Dorfes oder der Vorstadt auf der Breite bei Mellingen» (in Schwarz ein silberner Eberkopf) von der grossen Wappentafel der Schultheissen der Stadt Mellingen, 1790, im Besitz des Ortsmuseums Mellingen.

Nachträgliche Anmerkung zum Wappen: Die Angabe auf der Wappentafel der Schultheissen von Mellingen ist falsch. In Wirklichkeit handelt es sich nicht um einen Eberkopf sondern um einen Hundskopf. Und der Hundskopf ist das Wappen von Regina von Sur, der Gattin von Hans von Hünegg, der anfangs des 16. Jahrhunderts Besitzer des Schlösschens Hünegg war. Nähere Angaben zur Problematik dieses Wappens s. Geschichte > Ehrenwappen > Bild-Nr.
39102.16_Z1_11 (eines der letzten Wappen dieser Abteilung).

Rainer Stöckli 5.10.2023



Bild-Nr.: RuM005
Bild: Ortsmuseum
Text: Rainer Stöckli
Copyright: Rainer Stöckli / ©Druckerei Nüssli

.07.1997

Die Bruggmühle

Nicht von ungefähr begann der Gemeindeumgang beim Coop-Center, stand doch hier von 1253 bis ins letzte Jahrhundert die Bruggmühle, der unseres Wissens älteste urkundlich erwähnte Profanbau von Mellingen. Einzig die Kirche ist früher, nämlich bereits in einer Urkunde von 1045 aktenkundig. Im Sitz- und Spielplatz hinter dem Center erinnert noch heute ein Mühlstein an die alte Mühle.

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Die Bruggmühle war eng mit der Zeit der Stadtgründung verbunden. Besitzer war bis 1253 Graf Hartmann der Jüngere von Kyburg, Neffe Hartmanns des Älteren, des mutmasslichen Gründers der Stadt Mellingen um 1230/40. Im Jahre 1253 übertrug dann Hartmann der Jüngere die Mühle der Abtei Wettingen, wo dessen erste Gemahlin Anna ihre letzte Ruhestätte gefunden und Hartmann dort für diese eine Jahrzeit gestiftet hatte. Der Mühle gegenüber stand laut alter Tradition der Wohnturm der Kyburger, das heutige Alte Rathaus. Hier sollen nach Hartmann des Jüngeren Tod im Jahre 1264 dessen zweite Gattin Elisabeth und deren Tochter Anna gewohnt haben. Deshalb nannte man das nachmalige Rathaus noch lange Zeit «Gräfinnenmur».

Die Bruggmühle blieb bis ins 18. Jahrhundert Besitz des Klosters Wettingen. Anfänglich wurde diese direkt von der Reuss angetrieben. Als die Mühle aber 1408 von einem Hochwasser zerstört wurde, baute man sie etwas landeinwärts wieder auf. Das Mühlwerk trieb nun ein Bach, der von der Risi herfloss, an. Dieses Gewässer existiert heute nicht mehr, muss aber durchs Allmendli und im unteren Teil parallel zur heutigen Stetterstrasse verlaufen sein.

Im 19. Jahrhundert wurde die Mühle in eine Fabrik umfunktioniert. Ab 1874 stellte man hier Textilien her, und 1894 gründete Hermann Rohr von Staufen die legendäre Kartonagefabrik Rohr, die am Abend des 1. August 1953 ein Raub der Flammen wurde. Viele Mellinger erinnern sich noch heute an dieses grösste Erstaugustfeuer aller Zeiten. Das Gebäude wurde wieder aufgebaut, doch stellte man von 1963 an hier nicht mehr Kartonprodukte, sondern Lederwaren und zum Teil bedruckte Packungen her, bis der Industriebau schliesslich zum Coop-Center umgestaltet wurde.

Anstelle des Wohn- und Geschäftshauses Zentralplatz 2 stand früher die schmucke Fabrikantenvilla Rohr mit prächtigem Garten und Springbrunnen. Dieses Gebäude mit behäbiger Giebelründe, welches zusammen mit der alten Post (heute [1997] Kantonalbank) den Zentralplatz harmonisch einrahmte, musste 1966 zusammen mit dem alten Mellinger Schützenhaus dem wenig stilvollen Neubau weichen. Vom eben genannten Schützenhaus erfahren Sie im nächsten Beitrag mehr.


Bild-Nr.: RuM006
Bild: Skizze Raphael Stöckli
Text: Rainer Stöckli
Copyright: Rainer Stöckli / ©Druckerei Nüssli

.07.1997

Das Schützenhaus von 1774

Jede mittelalterliche Stadt war eine in sich geschlossene rechtliche, wirtschaftIiche und strategische Einheit. Gerade in Mellingen mit seinem wichtigen Reussüber-gang war die strategische Komponente besonders bedeutsam. Darum musste sich auch jeder wehrfähige Bürger im Gebrauch der Waffen üben.

Zusammengeschlossen waren die Schützen in der sogenannten Sebastians-bruderschaft, die 1515 erstmals namentlich erwähnt wird. Diese nahm öfters auch an auswärtigen Schützenfesten teil. So besuchten nicht weniger als 90 Mellinger das grosse Freischiessen von 1504 in Zürich. Aber auch in Mellingen veranstaltete man hin und wieder Schützenfeste, so 1544, 1549, 1623 und 1724, welch letzteres gleich fünf Tage dauerte.

1580 wurde das Schützenhaus zwischen Bruggmühle und Reuss erbaut. Die Scheiben standen gegen die Risi zu. 1661brannte das Gebäude infolge Unachtsamkeit durch Selbstentzündung eines Feuerschwammes ab und musste neu errichtet werden.

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1774 erfolgte der nächste Neubau, der bis in dieses Jahrhundert erhalten blieb. Ausgebildet wurden die Schützen von den beiden Schützenmeistern; die Oberaufsicht hatte der Schützenhauptmann inne. Auch schon in
früheren Jahrhunderten mussten die wehrfähigen Männer das «Obligatorische» schiessen, d.h. sich an vier bis sieben Tagen - meist geschah dies sonntags - im Gebrauch der Waffe üben. Den guten Schützen winkten hübsche Preise wie Barchenttücher, Hosen usw.

1966 wurde das Schützenhaus mitsamt der Villa Rohr abgerissen. Der Schiessbetrieb war aber schon ein gutes Jahrhundert zuvor, als 1865 die Feldschützengesellschaft gegründet wurde, ins Gebiet Fislisbachermatte/Gruemet verlegt worden. Seit 1988 schiessen die Mellinger Schützen in der Gemeinschafts-anlage «Mühlescheer» zwischen Mellingen und Birrhard.



Bild-Nr.: RuM007
Bild: Skizze Otto Hunziker
Text: Rainer Stöckli
Copyright: Rainer Stöckli / © Druckerei Nüssli

.07.1997

Hünegg

Niemand würde auf den ersten Blick erahnen, dass das heutige (1997) Chinarestaurant «Sha-Tin», der frühere «Rosengarten», einst ein schlossähnliches Gebäude war. Es ist das einzige Haus im Gemeindegebiet rechts der Reuss, das einen mittelalterlichen Kern oder zumindest mittelalterliche Grundmauern aufweist. Neben dem Iberg ist es wohl jenes Privathaus in Mellingen,
in dem besonders bis ins 16. Jahrhundert enorm viel geschichtlich Bedeutsames vorfiel.

Schon die Lage quer zur Bahnhofstrasse stellt Fragen. Die Landstrasse nach Baden verlief nämlich bis 1780 nicht durch die «Breite», sondern bog bei der Hünegg in die heutige Trottenstrasse ein. Somit ist anzunehmen, dass die dem Vorplatz der «Reuss-Garage» zugekehrte Hausseite sich als dominante Front in der engen Rechtskurve präsentierte.


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Der Name Hünegg rührt vermutlich von der Innerschweizer Adelsfamilie derer von Hünenberg her, die im Mittelalter im Trostburger-Twing über Güterbesitz verfügten. Im 14. Jahrhundert war das Schlösschen wahrscheinlich der Meierhof, das heisst der Verwaltungssitz der Herren von Trostberg. Nachdem diese 1364 ihre Gerichtsrechte der Stadt Mellingen verkauft hatten, ging die Liegenschaft an die Dachselhofer über, welche später in Zürich und Bern zu politischen Ehren gelangten. Letzter Besitzer dieser Familie war Ritter Hans Dachselhofer (gest. ca. 1530), Oberst in päpstlichen Diensten. Dieser richtete in der Hünegg ein eigentliches Werbebüro ein. Nach dessen Tod kaufte der berühmt-berüchtigte Hauptmann Jakob Fuchsberger die Hünegg, warb ebenfalls Soldaten an und brachte viel Unruhe ins Städtchen. Im Dienste des französischen Königs nahm er an über 20 Schlachten teil und fiel 1562 bei Dreux. 20 Jahre danach gelangte
die Hünegg, die später auch Grosshaus oder Hohes Haus genannt wurde, in die Hände der Urner Magistratenfamilie von Roll, die hier ein Ritterhaus des St. Stefansordens einrichten wollte. Warum sich im Gegensatz zum Iberg, wo 1602 eine Filiale der Deutschordenskommende Beuggen eröffnet wurde, diese Pläne zerschlugen, ist unbekannt. Nachher wird es ruhiger um die Hünegg. Sicher ab 1805 existierte hier eine Wirtschaft, und von 1846 bis 1864 war hier auch die Post von Mellingen untergebracht.

Das auf dem Merianstich abgebildete Rundtürmchen muss gegen 1800 abgebrochen worden sein. Auf einer Skizze von 1771 ist es noch sichtbar.





Bild-Nr.: RuM008
Bild: Zeichnung Otto Hunziker
Text: Rainer Stöckli
Copyright: Rainer Stöckli / © Druckerei Nüssli

.07.1997

Die "schüchterne" Vorstadt von Mellingen

Im 19. Jahrhundert erbaute man in vielen Städten ausserhalb der mittelalterlichen Mauern sogenannte Vorstädte, Strassenzüge in Reihenbauweise. Typische Beispiele sind in Baden die Badstrasse und die Mellingerstrasse und in Aarau die Obere Vorstadt und - ganz repräsentativ – die Laurenzenvorstadt, geplant in der Helvetik als Teil einer grosszügig angelegten schweizerischen Hauptstadt. Auch in Mellingen finden wir einen schüchternen Ansatz zu einer
Vorstadt.

Es ist die Häuserzelle an der Bahnhofstrasse, welche mit der «Krone» beginnt und bis zum Schulhausplatz reicht. Diese Gebäude, die von hinten an die Gartenlaubenromantik der grabenseitigen Front der Kleinen Kirchgasse gemahnen, entstanden um 1830/40. Markantester Bau ist die «Krone», die früher mit dem 1864 angegliederten Saal auch von grosser kultureller Bedeutung war.


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Die «Krone» siedelte übrigens als einziger historischer Gasthof aus der Altstadt aus; sie ist zudem die urkundlich am frühesten genannte Wirtschaft Mellingens überhaupt und findet bereits 1444 im Alten Zürichkrieg ihre erste Erwähnung. Anfänglich stand sie am Markt, an der heutigen Hauptstrasse, in der nord-westlichen Häuserzelle das 2. Gebäude nach dem «Hirschen».

Um 1800 verlegte man die «Krone» an den Kirchplatz. 1855 beschloss aber die
Gemeindeversammlung, diesen Gebäudekomplex aufzukaufen, um hier die Gemeindeverwaltung sowie Schul- und Pfarrhaus einzurichten. So zog Kronenwirt Alois Iten in das Haus neben der Hünegg, das heutige Gebäude Bahnhofstrasse Nr. 11 («Diebold-Hus»). Der in klassizistischem Stil errichtete Bau mit wohltuend harmonisch gegliederten Fassaden würde in einem grossen Park seine herrschaftliche Ambiance besser entfalten. Dieses stattliche Vorstadthaus erstellte
1814 Xaver Frey. Dessen Initialen mit Freywappen (Einhorn) und Erbauungsjahr zieren noch heute den Türsturz. 1863 zügelte die «Krone» schliesslich an den heutigen Standort.

Neben der hübschen Baugruppe von Hünegg und ehemaliger «Krone» ist aus dem letzten Jahrhundert insbesondere das vor 1850 erbaute Doppelhaus, in dem heute (1997) der «Güggel» und die Kantonalbank untergebracht sind, erwähnenswert. In den Räumen der Kantonalbank hatte von 1863 bis 1961 die Mellinger Post ihr Domizil. Bemerkenswert in der «Vorstadt» ist ferner das aus den 1860erjahren stammende Biedermeierhaus von Apotheker Dietiker. An
diesem Gebäude musste leider beim Ausbau der Bahnhofstrasse anfangs der Siebzigerjahre der harmonische Treppenaufgang amputiert werden. Im letzten Jahrhundert wurde auch der «Neuhof», das heutige Geschäftshaus Sieber, errichtet. Dass man die «Vorstadt» als zukunftsträchtiges Quartier betrachtete, beweist auch das im Jahre 1897 eingeweihte, für damalige Verhältnisse monumentale Schulhaus an der Bahnhofstrasse. Da mit der Zeit auch einige
Räume in der 1933 erbauten Turnhalle zu Unterrichtsräumen umfunktioniert wurden, konnte man bis 1967 zuwarten, um dann nebenan mit dem Bezirksschulgebäude das zweite Schulhaus der Gemeinde zu beziehen.


Bild-Nr.: RuM009
Bild: aus Buch
Text: Rainer Stöckli
Copyright: Rainer Stöckli/ © Druckerei Nüssli

.07.1997

Die Buggen- und die Widenmühle

Der Mühlebach trägt seinen Namen zu Recht, trieb er doch bis ins letzte Jahrhundert vier Mühlen an: eine in Niederrohrdorf, in Mellingen unterhalb des Buchbergs die Buggenmühle, eine Doppelanlage, und bevor der Bach in die Reuss fliesst, die Widenmühle.

Die Buggenmühle - später auch Aussermühle genannt - wird in einem Güterrodel des Klosters Muri von1310/15 erstmals erwähnt. Ihren Namen hatte sie von der Familie Bugg, welche diese Mühle im Mittelalter längere Zeit betrieb. Den oberen Teil übernahm 1886 die Familie Busslinger, welche hier eine Mosterei einrichtete. Das Werkgebäude wurde I947 vollständig umgebaut und vergrössert. An der Südfassade schuf Hermann Pieper ein monumentales Wandgemälde, welches das Geschehen rund um eine Mostpresse anschaulich darstellt. Es ist eines der wenigen Beispiele von Kunst am Bau an einem neuern Privathaus in Mellingen. Der Mostereibetrieb wurde in den letzten Jahren eingestellt. Die heutige (1997) Meli Fruchtsäfte AG hat sich auf das Herstellen und den Vertrieb von Getränken spezialisiert.

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Anstelle der unteren Buggenmühle steht heute (1997) der Werkhof mit Militärunterkunft und Ryfsaal. Dieser Saal hat seinen Namen von Gottlieb Ryf aus Stäfa, der hier seit 1913 eine mechanische Seidenstoffweberei betrieb. 1962 erwarb die Gemeinde die Liegenschaft samt dazugehörigem Waschhaus. 1991 konnte das Mehrzweckgebäude eingeweiht werden.

Die 1344 erstmals bezeugte Widenmühle, im Mittelalter auch Wollebunmühle und in späteren Jahrhunderten Neue Mühle genannt, war wie die Buggenmühle bis ins Spätmittelalter im Besitz des Klosters Wettingen. Sie konnte neben dem Mühlebach, der laut alten Karten vor dem Einlauf in den Mühlekanal zwei grössere Weiher bildete, auch das Abwasser des Ulrichsbrunnens nutzen. 1860 wurden die Gebäude in eine Stoffweberei umgewandelt. Später stellte man hier auch Strohgeflechte und Metallschilder her, bis Mitte dieses Jahrhunderts Jules Bachmann eine mechanische Werkstätte einrichtete und schliesslich die Gemüsebaufirma Haller die Liegenschaft übernahm. Von 1919 bis 1926 hatte der bekannte Maler und Bildhauer Hans Trudel sein Atelier in der Widenmühle aufgeschlagen. Von ihm stammt als einziges Werk in Mellingen der Löwe an der Fassade des gleichnamigen Hotels im Städtchen. 1928 zog Trudel nach Baden, wo er 1958 starb. Er hat interessante Tagebücher hinterlassen. Ob darin wohl auch etwas über seine Mellinger Zeit nachzulesen ist?




Bild-Nr.: RuM010
Bild: Fotoarchiv Mellingen
Text: Rainer Stöckli
Copyright: Rainer Stöckli, © Druckerei Nüssli

.07.1997

Der Geisskragen

Flurnamen geben häufig über die Bodenbeschaffenheit oder die frühere Nutzung von Weiden, KulturIand oder Waldgebieten Aufschluss. Doch da manche dieser oft sehr alten Namen nicht mehr verstanden wurden, modelte man sie sprachlich etwas um, d.h. man verballhornte sie. Solche Verballhornungen geben dem Namenkundler meist erhebliche Probleme zu knacken. Ein solches Beispiel ist der Geisskragen.

Der Geisskragen oder zu Mundart Geisschrage ist der Geländestreifen nach den Liegenschaften Haller zwischen Grumetweg und Reuss. Doch was soll Geisschrage bedeuten? Mit grosser Wahrscheinlichkeit kommt dieser Flurname von Geisschramme. Eine «Chramme» war ein eingezäuntes Gebiet zur Unterbringung von Kleinvieh. Der Geisschrage war also vermutlich die Geissweide der Mellinger. Da Mellingen eine ländliche Stadt war, hielten sich viele Bürger nebenbei noch ein paar Stück Vieh, nicht zuletzt einige Ziegen. Doch mussten die Ziegenbesitzer einen eigenen Hirten anstellen, der ihre Tiere auf die Weide trieb. Das übrige Vieh betreuten von der Stadt entlöhnte Hirten. Und weil Geissen bekanntlich gerne unter dem Hag durchgrasen, hafteten für allfällige Schäden die vier sogenannten «Geissbürgen».

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Nicht ganz geklärt ist auch der Name Gruemet. Vor 500 Jahren hiess dieses Gebiet noch Gruonberg, also Grüner Berg. War damit nun Weidland oder Wald gemeint? Der heutige Name Gruemet würde eher auf Wiesland hindeuten. Denn unter «Gruemet» verstand man ehemals Emd. Wir müssen also annehmen, dass der Gruemet früher noch nicht so stark bewaldet war wie heute. In alten Dokumenten ist denn auch immer von einem Gehöft im Gruemet die Rede.

Ein Fall von Verballhornung dürfte auch die Bezeichnung Gäche Stei sein. Mit dem Gäche Stei ist der sehr steile und schmale Fussweg, der nach der Hohlen Gasse und nach dem Winkelacker direkt nordöstlich in den Brand sticht, gemeint. Die Vermutung liegt nahe, es handle sich hiebei um das bereits 1313 genannte Gesteig. Ein «Gesteig» ist ein stark abfallendes Gelände, was für jenes Gebiet durchaus zutrifft. Allerdings sind im Gesteig schon im Mittelalter Reben bezeugt, ein Hinweis mehr, dass auch der Wald in dieser Gegend noch nicht seine heutige Ausdehnung hatte.

Bild
Plan Geisschrage


Bild-Nr.: RuM011
Bild: Fotoarchiv Mellingen
Text: Rainer Stöckli
Copyright: Rainer Stöckli / © Druckerei Nüssli

.07.1997

Das Bahnhofquartier

Kein Gebiet Mellingens wurde in den letzten 120 Jahren topografisch derart stark verändert wie das heutige Bahnhofquartier. Bahn-, Gewerbe- und Industriebauten haben diesem Teil der Gemeinde ein ganz anderes Gepräge gegeben.

Die erste grosse Veränderung brachte der Bau der Nationalbahn mit ihrem mächtigen Damm und dem Einschnitt gegen Fislisbach hin, wobei die Moränenwälle zum Teil mitbenutzt und teilweise zerstört wurden. Die damals errichtete Eisenbahnbrücke ist mit 50 m die höchste des Aargaus. Doch brachte die 1877 eröffnete Bahn der Gemeinde, welche für 400 000 Fr. Aktien
gezeichnet hatte, wenig Glück. Die Nationalbahn meldete bereits ein Jahr später den Konkurs an, was Mellingen in den finanziellen Ruin trieb, so dass sämtlicher kommunaler Wald- und Kulturlandbesitz (insgesamt über 250 ha) verkauft werden musste.

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Die nächste grosse Veränderung bahnte sich 1886 an. Oswald Biland von Birmenstorf kaufte nordwestlich der Bahnlinie das Gebiet in den Neunbrünnen und errichtete hier eine Ziegelfabrik mit repräsentativer Fabrikantenvilla (heute -1997- hinterer Teil des Restaurants Bahnhof). Der hübsche Weiher südwestlich der Birmenstorferstrasse, der dem Tanklager heute als Löschwasserreserve dient, ist übrigens nicht ein natürliches Gewässer, sondern durch den Aushub von Lehm entstanden. Als die Lehmvorkommen ausgebeutet waren, wurde die
Fabrikation eingestellt, und mit der Sprengung der vier Hochkamine - das höchste mass 43 m – im Jahre 1943 war die Ära der Ziegelei zu Ende. Anstelle der Ziegelfabrik entstand 1948 die Schilderfabrik Meierhofer und gegen den Bahnhof hin die Kunststeinfabrik Bittig und Dirr, welch letztere aber bereits nicht mehr existiert.

Ein wiederum ganz neues Gepräge gab dem Gebiet Neunbrünnen/Birch der Bau von 25 Tanks für Treibstoffe und Heizöl. 1972 wurde diese Anlage mit 751 Millionen Litern Inhalt als grösstes Tanklager der Schweiz eröffnet und zugleich der fast überdimensionierte Strassenknoten Bahnhofstrasse/Birmenstorfer- strasse angelegt.

Über diesen Knoten führt heute (1997) die mächtige Brücke der 1975 in Betrieb genommenen Heitersberglinie. Falls nun tatsächlich - wie schon lange geplant - vor dem Portal des 4,9 km langen Heitersbergtunnels eine Haltestelle in Mellingen und damit eine direkte Bahnverbindung mit Zürich geschaffen würde, wäre insbesondere einwohnermässig für Mellingen mit einem weiteren Entwicklungsschub zu rechnen.


Bild-Nr.: RuM013
Bild: Fotoarchiv Mellingen
Text: Rainer Stöckli
Copyright: Rainer Stöckli / © Druckerei Nüssli

.07.1997

"Wer hat dich du schöner Wald...?"

Diese Weise erklärte ein Spassvogel vor Jahrzehnten zum Mellingerlied und spielte damit auf die Tatsache an, dass Mellingen 1881 nach der Nationalbahnkata-strophe allen Wald - insgesamt 162 ha - dem Kanton Aargau abtreten musste. Heute (1997) misst der Wald auf Mellinger Gemeindegebiet bloss noch 147 ha. Diese Differenz erklärt sich neben den Rodungen für die Anbauschlacht insbesondere dadurch, dass die Stadt bis letztes Jahrhundert auch noch Wald
beim Maiengrün, in Tägerig und in Wohlenschwil besass. Die Abtretung sämtlicher Wälder war für die Mellinger Bürger ein herber Verlust, war doch Holz neben Kohle und Wasserkraft damals der weitaus wichtigste Energieträger.

Auch bei den Wäldern geben deren Namen wichtige Hinweise auf ihre Nutzung oder Lage. So weisen drei Flurnamen darauf hin, dass in früherer Zeit in unserer Gegend hauptsächlich Laubbäume, wie Birke, Buche und Eiche wuchsen. Nadelhölzer pflanzte man erst im letzten Jahrhundert vermehrt an. Im «Buechberg» - übrigens heute einer der ganz seltenen Fälle von praktisch reinem Laubwald - war die Buche heimisch. «Birch» heisst Birkenwald, und im «Ebereich» waren vor allem Eichen beheimatet. Oft wird dieses flache Gebiet gegen Holzrüti hin, das früher bewaldet gewesen sein muss, fälschlicherweise «Ebenreich», also ebenes Land, genannt. Wenn auch diese Bezeichnung für dieses Gelände ebenfalls passen würde, so ist sie trotzdem nicht zutreffend, wird doch diese Flur bereits 1455 eindeutig «Ebereich», d.h. als Eichwald der Eber, genannt.
Eicheln waren bekanntlich früher eine wichtige Nahrung für Schweine.


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Über den «Gruemet» - einst «Gruonberg» geheissen - haben wir uns schon im Artikel über den «Geisskragen» ausgelassen. Der «Schönert» oder «Schönhard» gegen Müslen hin heisst einfach schöner Wald.

Leicht zu deuten ist auch der Name «Brand»: es handelt sich um eine durch Abbrennen gerodete Fläche. In diesem Gebiet, das schon im Mittelalter so hiess, muss vor Hunderten von Jahren noch vermehrt Kulturland existiert haben.

Das «Pfaffenhölzli», der Waldstreifen gegen Holzrüti hin, dürfte ursprünglich einer Kirche oder noch eher einem Männerkloster gehört haben. Dabei kämen insbesondere Muri oder Wettingen in Frage, die im Trostburger Twing über grösseren Grundbesitz verfügten. Eine eindeutige Zuweisung war aber bislang nicht möglich.

Merkwürdig klingt der Name «Schneeschmelzi» im Osten des Gemeindebannes. Eine Schneeschmelze ist eigentlich der oberste Grat eines Hügels, wo der Schnee zuletzt schmilzt. Tatsächlich ist die «Schneeschmelzi» mit 445m über Meer das höchstgelegene Gebiet von Mellingen. Der Flurname Schneeschmelze ist häufig in Grenzlagen anzutreffen, was auch in Mellingen zutrifft: Dieser Wald wird auf drei Seiten von Gemeindegebiet Niederrohrdorfs umschlossen.


Schliesslich noch ein Wort zur «Risi», dem ETH-Forschungswald an der Reuss. Unter einer Risi verstehen wir eine abschüssige Stelle, wo Steine herabrollen, Geröll «aberislet».

Mellingen besitzt erstaunlich vielfältige Waldgebiete, Erholungsräume, um die uns manche Gemeinden beneiden könnten. Dass die Bürgergemeinde sich aber um diesen Wald (finanziell) nicht mehr kümmern muss und nur noch ein schmuckes Waldhaus für frohe Anlässe Im Buechberg ihr Eigen nennt, darüber ist man heute vielleicht gar nicht mehr so unglücklich.


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Mellingen Dorf um 1750. Diese speziell für den Gemeindeumgang angefertigte Skizze wurde aufgrund alter Pläne und Karten rekonstruiert. Die Verteilung von Waldflächen und offenem Land entspricht dem heutigen Zustand. Auf der Karte sind auch noch die alten Strassennamen eingezeichnet. Besonders bemerkenswert ist dabei der Verlauf der Badener Landstrasse über die heutige Trottenstrasse und den Höhenweg. Darüber mehr im nächstfolgenden Artikel.


Bild-Nr.: RuM014
Bild:
Text: Rainer Stöckli
Copyright: Rainer Stöckli/ © Druckerei Nüssli

.07.1997

Wo lag das Zentrum von Mellingen-Dorf ?

Bekanntlich brannte das alte Alemannendorf Mellingen vor 550 Jahren praktisch vollständig ab und wurde nicht wieder aufgebaut. Deshalb ist es gar nicht so leicht zu eruieren, wo das Zentrum dieser Siedlung lag. Vieles spricht aber dafür, es habe sich in der Gegend, wo sich heute Trottenstrasse, Sonnen- und Höhenweg treffen, befunden.

Ein erster Hinweis liefert die merkwürdige Führung der alten Badener Landstrasse. Bis um 1770, als die Strasse ungefähr auf dem Trassee der heutigen Bahnhofstrasse angelegt wurde, bog diese, vom «Güggelberg» herkommend, bei der Hünegg in die derzeitige Trottenstrasse ein, um dann dem jetzigen Höhenweg folgend ins Gebiet Birch zu gelangen und schliesslich über den «Hüenerstäg» und die Sommerhalde nach Dättwil und weiter nach Baden zu führen.

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Die heutige Landstrasse nach Fislisbach wurde erst 1876 gebaut. Diese «verquere» Strassenanlage mit übermässig starkem Anstieg im Bereich der Trottenstrasse und dem engen Weg durch die Rebberge, der kaum ein Kreuzen der Fuhrwerke ermöglichte, kann fast nur dadurch erklärt werden, dass man die Landstrasse durchs Zentrum von Mellingen-Dorf führen wollte, wo eine eigentliche Strassenspinne lag. Hier zweigte auch die Hohle Gasse (Erster-
wähnung 1518) ab, die über das Gesteig/ Gäche Stei nach Fislisbach und nach Zürich führte. Gegen Südosten verlief das Ulrichsgässli (heute Sonnenweg), von wo man über den Brandweg (heute Rohrdorferstrasse) und das Enggässli nach Rohrdorf und über den Heitersbergpass nach Zürich gelangte. Diese beiden Fusswege über die Hohle Gasse und das Enggässli waren bis ins 17. Jahrhundert nicht zuletzt auch strategisch von hoher Bedeutung.

Das Zentrum hier zu vermuten, gibt auch die Position der 1315 erstmals genannten Ulrichskapelle in der Gabelung zwischen Hohler Gasse und Ulrichsgässli Anlass. Von diesem Sakralbau, der ungefähr an der Stelle des heutigen Hauses Bütschi stand, besitzen wir weder eine Abbildung noch einen Plan. Einzig aus einem Katasterbeschrieb sind uns die Ausmasse
bekannt: 4 m hoch, 7,5 m lang und 4,5 m breit, also ein recht bescheidenes Gotteshaus. Da der Trostburger Twing bis 1896 zur Pfarrei Rohrdorf gehörte, wurde die Ulrichskapelle auch von dort aus pastoriert. Auf dem um die Kapelle angelegten Friedhof nahm man noch bis ins 18. Jahrhundert Bestattungen vor. 1835 wurde das baufällige Kirchlein abgebrochen.

Auch der etwas unterhalb der Kreuzung gelegene Ulrichsbrunnen gibt einen Hinweis auf die Zentrumsfunktion dieses Gebiets. Bei diesem Brunnen muss es sich um den öffentlichen Brunnen von Mellingen-Dorf gehandelt haben. Leider wurde der ehemalige uralte Brunnentrog, der meiner Meinung nach eventuell noch mittelalterlichen Ursprungs war, in einer Nacht- und Nebelaktion um 1970, als der Kindergarten Trottenstrasse gebaut wurde, entwendet.

Anstelle des heutigen (1997) Kindergartens stand vorher das Schiblihaus, die sog. Radiburg; unterhalb davon vergnügten wir Kinder uns auf dem sogenannten Schiblihoger beim Schlitteln. Die heutigen Sportanlagen machen's jetzt unmöglich. Der Vorgängerbau des Schiblihauses war die 1850 abgebrochene Ziegelhütte, die seit dem 17. Jahrhundert hier angesiedelt war.

Wenn wir bedenken, was in diesem Gebiet Mellingens in den letzten 160 Jahren der Spitzhacke zum Opfer fiel - von der am Ulrichsgässli gelegenen Trotte werden wir im nächsten Artikel hören -, könnte man fast wehmütig das Lied anstimmen: <>


Bild:
Plan des Trostburger Twing von 1779. Der nachträglich gerasterte Strassenzug zeigt den Verlauf der ehemaligen Badener Landstrasse. Nachträglich gerastert ist die 1779 bis 1782 ausgeführte Neuanlage (die heutige Bahnhofstrasse). Original: Aarg. Staatsarchiv.


Bild-Nr.: RuM015
Bild: Aarg. Staatsarchiv
Text: Rainer Stöckli
Copyright: Rainer Stöckli / © Druckerei Nüssli

.07.1997

Mellingen - eine Winzerstadt

Dass Mellingen einmal über ausgedehnte Rebbaugebiete verfügte, darauf weisen noch heute verschiedene Strassen und Flurnamen hin: Trottenstrasse, Trottenring, Rebweg, Rebhaldenweg, Herrenreben. Um 1900 ging die Mellinger Rebbautradition vollständig zu Ende. Das Aufkommen der Reblaus und des Mehltaus erschwerten den Weinbau erheblich. Ob auch noch andere Gründe, wie etwa die Lethargie nach der Nationalbahnkatastrophe, ebenfalls zu dieser Entwicklung beitrugen, wäre eine spezielle Untersuchung wert.

Der Rebbau in Mellingen ist 1313 erstmals urkundlich erwähnt. Es wird ein «wingarten bi sant Uolrichs kilchen» genannt. Das Mellinger Rebgelände erstreckte sich von der Buggenmühle und dem Buechberg bis zur Hohlen Gasse und von hier bis zum Küriberg bei der Rohrdorferstrasse.

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Der Rebbesitz war auf viele Bürger verteilt. So lassen sich im Jahr 1804 51 verschiedene Eigentümer von Rebbergen nachweisen.

Früher besassen nur die Segesser und das Kloster Muri in Mellingen eine Trotte. 1641 baute man dann eine stadteigene Trotte. Sie stand an der Stelle des Hauses Rebweg 2 und wurde 1930 abgebrochen. Die Steine dienten als Strassenbett der in diesem Jahr ideal angelegten Umfahrungsstrasse von Wohlenschwil. (So ist es eigentlich etwas tragisch, dass die Wohlenschwiler, denen die Mellinger vor 66 Jahren (1931) im wahrsten Sinn des Wortes die Grundlage zu ihrer Umfahrung geliefert haben, heute (1997) den entsprechenden Mellinger Umfahrungsplänen
derart viele Steine in den Weg legen.) Der Wappenstein der Trotte kann übrigens noch heute im Giebelfeld der Druckerei Nüssli bewundert werden.

Wein war das Getränk in früheren Jahrhunderten. Über den Weinverbrauch in Mellingen sind wir dank den Umgeldrödeln recht genau unterrichtet. Das Umgeld war eine Getränkesteuer auf Wein und Most. 1639 wurden beispielsweise in den Mellinger Wirtschaften über 88 000 Liter Wein ausgeschenkt. Das ergibt bei einer Einwohnerzahl von rund 400 Personen einen jährlichen Weinkonsum von 220 Litern pro Bewohner, Kleinkinder und Schüler mit eingerechnet! Dies ist allerdings eine etwas schiefe Statistik. Mellingen lag ja an einer wichtigen Ost-West-Route
im schweizerischen Mittelland, so dass natürlich auch viele Durchreisende bei ihrer Rast sich ein Schöppchen genehmigten. Mellingen hatte in seiner «Hochblüte» bis zu 30 Wirtschaften. Die meisten waren jedoch sogenannte Zapfenwirtschaften, die nur Eigengewächs und Most, sowie Brot und Käse anbieten durften. Warme Speisen und Übernachtungsgelegenheiten gab's
vor 1798 nur im Löwen, Hirschen und in der Krone, den obrigkeitlich anerkannten
Tavernenwirtschaften.

Vergangenes Jahr (1996) konnte der Mellinger Natur- und Vogelschutzverein oberhalb der «Bünten» einen Streifen Land mit den letzten in Mellingen erhaltenen Rebmäuerchen käuflich erwerben. Es ist erfreulich, dass nun diese letzten Relikte aus der jahrhundertealten Weinbautradition sorgsam restauriert werden. Und wie ich hörte, soll es immer noch originale Abkömmlinge der ehemaligen Mellinger Rebstöcke geben. Es wäre toll, wenn auf diesem Gelände
wieder ein kleiner Rebberg angelegt würde und 2013 beim Jubiläum «700 Jahre Mellinger Weinbau» ein süffiger «Melliger» kredenzt werden könnte.


Bild-Nr.: RuM016
Bild: Skizze Otto Hunziker
Text: Rainer Stöckli
Copyright: Rainer Stöckli / © Druckerei Nüssli

.07.1997

Die Ringmauern sind so "murb, dass man sie mit faulen Äpfeln umwerfen könnte"

Dieses nicht gerade schmeichelhafte Urteil eines Zürchers über die Mellinger Stadtmauern zur Zeit des 2. Villmergerkrieges 1712 offenbart uns zweierlei: einerseits die aussergewöhnlich hohe strategische Bedeutung Mellingens im eidgenössischen Wehrsystem, anderseits der ungenügende Zustand der Wehrbauten unserer Stadt, die ohnehin ungeschützt im offenen
Reussbecken lag.
Mellingen, schon zur Gründungszeit um 1231/40 im Widerstreit zwischen den Kyburgern und Habsburgern von den erstgenannten als strategische Siedlung errichtet und 1415 als allererste eidgenössische Untertanenstadt von Zürich erobert, kam bis 1712 als wichtigster Flussübergang zwischen den beiden einflussreichsten schweizerischen Städten Zürich und Bern hoher militärischer Stellenwert zu.

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Besonders brisant wurde die Lage, als 1531 das durch demokratischen Gemeindeversammlungsbeschluss zur Reformation übergetretene
Mellingen nach der Niederlage der Reformierten bei Kappel und am Gubel von den Innerschweizer Siegermächten zwangsweise rekatholisiert wurde. Doch unsere Gemeinde war auch nach diesen Wirren neben den katholischen 5 Innern Orten ebenfalls den reformierten Mächten Zijrich und Bern sowie dem paritätischen Glarus untertan. Deshalb verwundert es nicht, dass Mellingen zwischen 1528, der Einführung der Reformation in Bern, und dem 2. Villmergerkrieg 1712 nicht weniger als ein dutzend Mal besetzt war. Sobald es in der Eidgenossenschaft etwas brenzlig wurde, tauchte stets auch der Name Mellingen in den Strategieplänen beider Glaubensparteien auf. Vor allem während des Dreissigjährigen Krieges (1618-1648) erarbeiteten Zürich und Bern
ausgefeilte Eroberungsprojekte, in denen zur Alarmierung sogar «Raketen ohne Klapf» und eine Schiffsbrücke im Bereich des Gruemet, deren Bestandteile jahrelang auf der Lenzburg lagerten, zum Einsatz kommen sollten. Ruhiger wurde es um Mellingen erst 1712, als im 2. Villmergerkrieg 12 000 Zürcher und Berner Mellingen einkesselten und die 400 Mann der kath. Besatzung zum Abzug zwangen. Seither regierten nurmehr Zürich, Bern und Glarus über unser Städtchen.

Von den Wehrbauten sind von den vier Toren deren zwei im Ietzten Jahrhundert abgebrochen worden: das Bruggertor und das «obere Türli» beim Iberg. Von den drei Türmen verschwand bereits im 18. Jahrhundert der reusseits des Bruggertors gelegene Rundturm in der Gegend der heutigen Liegenschaft Riegger. Freistehende Stadtmauern fanden sich nur zwischen den letzten grabenseitigen Häusern der Scheunengasse und dem Hexenturm (s. Abb.) und - heute
noch teilweise erhalten - zwischen Iberg und derzeitigem Pfarrhaus. Während die Gebäude gegen die Reuss hin durch den Fluss geschützt waren und nur im Bereich der unteren Geschosse etwas verstärkte Mauem aufwiesen, war den gegen Südwesten hin gelegenen Häusern ein mit Wasser gefüllter Graben vorgelagert. Hier war die Stadtmauer in den unteren Teil der Gebäude integriert, wie sich dies noch heute sehr deutlich beim heutigen Museum - einstmals
vielleicht das mittelalterliche Zeughaus – und besonders augenfällig bei der grabenseitigen Partie des «Weissen Kreuzes» erkennen lässt. 1807, also 9 Jahre nachdem Mellingen sein Stadtrecht und damit auch seine Funktion als strategischer Platz verloren hatte, erlaubte der aarg. Regierungsrat, den Graben einzutrocknen. Während dieser zwischen Hexen- und Zeitturm eingeebnet wurde, blieb er zwischen letzterem und dem Iberg als hübsche Gartenlandschaft erhalten.

Früher schützten Türme, Tore und Mauern das Leben der Menschen und deren Güter in der Stadt. Heute ist es unsere dringende Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Altstadt nicht zum Ghetto verkommt, dass neben gediegenen Wohnbauten auch Gewerbe, Dienstleistung und Kultur ihren Platz behaupten können, kurz: dass die Altstadt voller Leben und Zentrum der Gemeinde bleibt.





Bild-Nr.: RuM017
Bild: Fotoarchiv-Mellingen
Text: Rainer Stöckli
Copyright: Rainer Stöckli/ © Druckerei Nüssli

.07.1997

Der Iberg - Urzelle der Stadt Mellingen ?

Viele Städte, wie Aarau, Lenzburg und Baden, sind in der Nähe bereits bestehender Burgen entstanden. Das gleiche dürfte auch für Mellingen zutreffen. Denn schon 1178 sind die Kirche Mellingen sowie ein dazugehöriger Hof mit Schifflände in einer Papsturkunde erwähnt. Es ist daher anzunehmen, dass dieser Bezirk schon zur Zeit der Lenzburger, d.h. vor 1172, als dieses Grafengeschlecht ausstarb, der erste wirtschaftlich-politische Kontrollpunkt an der Reuss in unserer Gegend gewesen sein und der damalige Hof sich mit der Zeit zum Schlösschen lberg entwickelt haben dürfte.

Erstmals als Iberg erwähnt ist dieses Gebäude 1291. Seinen Namen hat es vom Innerschweizer Dienstmannengeschlecht derer von Iberg. Ein Egilolf von Iberg erscheint bereits 1262 als Bürger von Mellingen. Um 1300 ging der Hof, der z.T. über eigenes Recht verfügte und durch eine Mauer von der übrigen Stadt abgetrennt war, durch Heirat an die Segesser über.

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Diese Familie war im Mittelalter und in der früheren Neuzeit das bedeutendste Magistratengeschlecht der Stadt, stellte es doch zwischen 1326 und 1590 nicht weniger als acht Schultheissen. Reichste und mächtigste Persönlichkeit war der 1424 verstorbene Johann Segesser: dieser wirkte von 1382 bis 1399 als Schultheiss von Mellingen, seit 1396 fungierte er als Rat der Herzöge von Osterreich, denen er auch als Offizier gedient hatte. Johann war aber nicht nur Bürger von Mellingen, sondern auch von Luzern, Zürich, Aarau und Bem. Erstaunlich ist auch sein Besitz: Neben reichem Vermögen in Mellingen besass er auch Haus- und Grundbesitz u.a. in Malters, Holzrüti, Niederlenz, Suhr, Brugg, Aarau, Schinznach und Dintikon. Ferner hatte er die Gerichtsherrschaften von Steinhausen im Zugerland sowie von Göslikon und Tägerig inne. Weiter war er vorübergehend im Besitz von Schloss und Herrschaft Gerenstein im fernen Tirol.

Sicher seit 1412 bis zur Reformation waren die Segesser auch Schlossherren auf Brunegg und nannten sich seither Segesser von Brunegg. Im 16. Jahrhundert wanderten einzelne Familienmitglieder in den Thurgau und nach Luzern aus. Während die thurgauisch-deutsche Linie 1812 ausstarb, blüht der Luzerner Zweig noch heute. Über den Einfluss dieser Familie in der Leuchtenstadt legt immer noch der prächtige Segesserpalast an der Rütligasse in der Luzerner Altstadt beredtes Zeugnis ab. Als 1591 der letzte Schultheiss dieser Familie, Hans Kaspar Segesser (1552-1591), verstarb, verschwand dieses Geschlecht aus dem Weichbild Mellingens.
1602 kaufte das gegenüber Rheinfelden gelegene Deutschordenshaus Beuggen den Iberg als Filiale, welche v.a. im Dreissigjährigen Krieg (1618-1648), als die Kommende von den Schweden besetzt war, jahrelang für den dortigen Komtur als Zufluchtsstätte diente. Nachdem Hans Kaspar Segesser das Schlösschen um 1578 zum mächtigen spätgotischen Bau umgestaltet hatte, erhielt es 1633 seine endgültige Form. Die Ordensritter liessen ihre Filiale im Innern mit prächtigen Renaissancetäfem und -portalen ausstatten. Kein Profanbau Mellingens hat eine derart preziöse Innenausstattung, deren Holzwerk aber leider zum Teil unter wenig stilgerechter Farbe schlummert.

1731 kauften die Segesser den Iberg wieder zurück; doch schon 1779 ging der Bau an die Stadt über, welche darin das Pfarrhaus einrichtete. 1856 zog das Spital, das nachmalige Altersheim, in den Iberg ein; darum hiess dieser bis Mitte dieses Jahrhunderts «Spittel». Nach dem Bezug des Alterszentrums gleich nebenan fanden 1969 der Kinderhort und andere soziale Institutionen in diesem geschichtsträchtigen Haus ihre Bleibe.

Zwischen Iberg und Altersheim steht seit 1992 die junge Murtenlinde, ein Abkömmling der legendären Murtenlinde von Freiburg, die der Überlieferung nach als Zeichen des Sieges der Eidgenossen über Herzog Karl den Kühnen von Burgund anlässlich der Schlacht von Murten 1476 gepflanzt worden sein soll. So gedeiht nun dieser junge Baum im Schatten des altersgrauen Ibergs, dem Sitz der Segesser, die in den Kämpfen gegen Karl den Kühnen eine massgebliche Rolle gespielt haben. Für mich ist diese kraftstrotzende Linde ein starkes Symbol: Im
Kraftfeld zwischen den Kindern im jahrhundertealten Iberg und unsern Betagten im modernen Alterszentrum spriesst dieser Baum verwurzelt in geschichtlicher Tradition – in eine hoffentlich lebensfrohe Zukunft.


Bild:
Iberg und Stadtkirche nach dem Stich von Matthäus Merian um 1642. Zwischen Kirche und Reuss die 1850 abgebrochene Beinhauskapelle. Rechts des zinnenbewehrten Tors das dem Luzerner Ratsherrn Heinrich Ludwig Segesser gehörende Haus, das 1641 von der Stadt Luzem erworben wurde, um darin ihr Salzhaus einzurichten. Noch mehr rechts das mit Treppengiebeln versehene,
13 13 gegründete Heiliggeistspital.



Bild-Nr.: RuM018
Bild:
Text: Rainer Stöckli
Copyright: Rainer Stöckli/ © Druckerei Nüssli

.07.1997

Die Wasserstrasse von Mellingen

Wasser ist das wichtigste Lebensmittel aller Lebewesen und auch für die Hygiene unabdingbar. Deshalb wurde in jeder Stadt einer guten Wasserversorgung grosse Aufmerksamkeit geschenkt. Gutes, reines Wasser wurde als Geschenk des Himmels betrachtet. Und so verwundert es eigentlich nicht, dass Mellingen seit dem Mittelalter vom «Himmelrich» südlich der Stadt, wo heute (1997) noch eine Wasserfassung besteht, sein Wasser bezog.

In früheren Jahrhunderten wurde das Wasser in sogenannten Holzdünkeln, in mit mächtigen Dünkelbohrern ausgehöhlten Baumstämmen in die Stadt geleitet. Die Wasserleitung (s. die
punktierte Linie auf dem Plan) erreichte beim Iberg die Stadt und spies insgesamt vier Brunnen. Davon existieren heute (1997) noch deren drei, nämlich der Brunnen beim Iberg, jener auf dem Kirchplatz und der Johannisbrunnen an der Bruggerstrasse. Alle haben Tröge aus dem 19. Jahrhundert.

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Einzig der Marktbrunnen existiert nicht mehr. Bis 1835 stand er mitten in der
heutigen Hauptgasse, um dann an die Südfront des «Hirschen» verlegt zu werden. Im Rahmen der Erweiterung des Brückentors um 1930 musste neben der ehemaligen Zollstube auch dieser Brunnen weichen. Die Brunnen waren sehr klug über die ganze Stadt verteilt. Kein Bürger hatte weiter als etwa 80 Meter zu gehen, um zu einem Brunnen zu gelangen. Für die Wasserversorgung war der Weibel zuständig, der viermal jährlich alle Brunnen zu reinigen hatte. Peinlich schaute man darauf, dass die Brunnen nie verunreinigt wurden. So war es verboten, in
ihnen «Kraut», d.h. Salat und Gemüse, sowie Kleider zu waschen. Öffentliche Waschhäuser standen in der Nähe des Bruggertors und im Trostburgertwing zwischen Bruggmühle und Schützenhaus. Im 19. Jahrhundert baute man beim Iberg ein neues Waschhaus.

Bemerkenswert ist auch, dass an der städtischen Wasserleitung all jene Gewerbe angesiedelt waren, die viel Wasser benötigten, wie z.B. die Gerbereien. So existierte an der Stelle des heutigen kath. Vereinshauses eine Gerberei, und im 17. Jahrhundert lassen sich auf der reussseitigen Häuserzelle der Bruggerstrasse nicht weniger als drei solche Betriebe feststellen, die auch von der Nähe der Reuss profltieren konnten, damit im Fluss die Häute gewässert werden konnten.
Zu diesem Zwecke führte in der Unterstadt ein spezielles Gerbertörchen von der Strasse direkt zur Reuss.

An der «Mellinger Wasserstrasse» lag auch die städtische Badstube an der Grossen Kirchgasse. Diese existierte sicher seit dem 14. Jahrhundert und wurde vom Bader betrieben, der zugleich auch Coiffeur und Wundarzt war. Eigentliche Ärzte gab es in Mellingen erst im 19. Jahrhundert.

Im Gebäude gleich hinter dem Kirchplatzbrunnen befand sich die städtische Metzgerei, der zeitweise auch eine Färberei angegliedert war, beides Betriebe, die ebenfalls viel Wasser benötigten.

Einfach war die Abwasserentsorgung. Bei den graben- und reussseitigen Häusern erfolgte diese direkt in die beiden Gewässer. In der Innenstadt befand sich eine eigene Kloake, der sogenannte Ehfadgraben (im Volksmund Evengra-
ben genannt), der hinter dem «Scharfen Eck» und den südseitigen Häusem des Markts durchführte und im Bereich des «Weissen Kreuzes» in den Graben mündete. Auf dem Merianstich, auf der die reussseitigen Häuser sichtbar sind, sieht man zahlreiche an den Häusern «angeklebte» Aborte, also "Scheisshäuslein», aus denen die Fäkalien direkt aufs Reussbord fielen und mit der Zeit wohl in die Reuss gespült wurden. So einfach war das früher...

Nachträgliche Korrektur: Eine Färberei war nicht der Metzgerei sondern der Badstube angegliedert. Rainer Stöckli 4.10.2023

Bild: Plan


Bild-Nr.: RuM019
Bild: Plan
Text: Rainer Stöckli
Copyright: Rainer Stöckli / © Druckerei Nüssli

.07.1997

Mellingen - eine ländliche Stadt

Anlässlich des Gemeindeumgangs machte man bewusst im «Himmelrich» Station. Bauer Egloff war nämlich der letzte Landwirt, der 1956 seinen Betrieb aus dem Städtchen aufs offene Land verlegte. Früher befanden sich aber praktisch alle Ställe und Scheunen in der Altstadt. Darum gibt es in Mellingen kein einziges Bauernhaus ausserhalb des Städtchens, das vor 1798, dem Ende der Mellinger Stadtherrlichkeit, erbaut wurde.

Bekanntlich war das wirtschaftliche Einzugsgebiet Mellingens, bedingt durch die Nähe der Städte Bremgarten, Lenzburg, Brugg und Baden, relativ klein. Aus diesem Grunde erwirtschafteten manche Handwerker und Gewerbetreibende aus ihrer Tätigkeit ein zu geringes Einkommen, um ihre oft kinderreichen Familien ernähren zu können. Deshalb betrieben recht viele Bürger hauptsächlich zur Selbstversorgung etwas Landwirtschaft. Doch gab es bis 1798 nur sehr wenige Einwohner, die ausschliesslich Landwirte waren.

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Besonders wichtig für die Versorgung mit Fleisch und Milch war das Halten von Vieh. Damit dies praktisch jedem Bürger möglich war, wurde die Anzahl der Tiere, die auf die Allmend getrieben werden konnten, gesetzlich festgelegt. So durften laut einer Viehordnung von 1641 Hintersassen zwei, Bürger drei und gewisse Gewerbetreibende, wie Wirte, Bäcker, Metzger und Müller, vier Schweine auf die Weide treiben. Die Gemeinde stellte zwei Hirten an: der eine hütete das Rindvieh, der andere die Schweine. Die Tiere hielten sich also früher noch recht viel im Freien auf; heute muss dies gesetzlich geregelt werden.

Typische Ackerbaugebiete waren neben der Kreuzzelg der Brand und das Ebereich. Daneben bebauten die Bürger auch grosse Gemüsegärten. Eigentliche Gartenbaugebiete waren die dem Stadtgraben unmittelbar vorgelagerten Gelände: der Lindenplatz und das Gebiet zwischen Graben und dem Tägerigerweg, wo die beiden Gartengässlein die Pflanzplätze erschlossen.

Bei einer Bestandesaufnahme aller Gebäude der Altstadt von 1663 konnten aufgrund vorhandener Dokumente 114 Gebäude ausgemacht werden. Bestimmt aber war die Anzahl besonders in der Unterstadt, wo sich wohl noch mehr landwirtschaftliche Liegenschaften befanden, um einiges höher. Nichts desto trotz vermittelt diese Aufstellung ein instruktives Bild über die Nutzungsstruktur der Stadt. 21 Gebäude hatten öffentlich-rechtlichen Charakter, wie die Wehr-
bauten, Kirche, Pfarrhaus oder Schule oder eine halböffentliche Funktion wie die Gasthöfe. 68 Häuser wurden als Wohnbauten, in denen vielfach auch ein Gewerbebetrieb untergebracht war, genutzt. 18 Bauten waren reine Ställe und Scheunen, und in sieben Wohnhäusern hatte man auch noch Ställe integriert. Es existierten also in der Stadt 25 Ställe und Scheunen, wobei einzelne mehreren Bürgern gehörten. Schwerpunkte landwirtschaftlich genutzter Gebäude waren die Scheunengasse – in echtem Mellinger Deutsch «Säugass» genannt - und die Innenseite der Kleinen Kirchgasse. 75 Wohnhäusern standen also 25 Scheunen und Ställe gegenüber. Aufgrund einer Zusammenstellung aus dem Jahre 1910 von Frau Elisabeth Riegger-Frey existierten auch damals noch etwa zehn landwirtschaftlich genutzte Gebäude im Städtchen. Um 1850 lassen sich aber in
Mellingen noch über 50 Viehbesitzer feststellen. Und heute? Nur noch sechs Bauern bewirtschaften ihre Anwesen. Und bald sollen es nur noch deren drei sein, welche Milch in die Milchzentrale abliefern...

So darf man sich denn füglich fragen, ob Mellingen eine ländliche Stadt war oder ein städtisches Dorf. Weil wir aber alle Mellingen gern haben, möchten wir es so formulieren: Mellingen war ein stolzes Städtchen mit echt ländlichem Charme.


Bild-Nr.: RuM020
Bild: Fotoarchiv Mellingen
Text: Rainer Stöckli
Copyright: Rainer Stöckli / © Druckerei Nüssli

.07.1997

Mellingen - eine Grenzstadt

Der bedeutende Aargauer Kulturgeograph Charles Tschopp schrieb in seiner Landeskunde «Der Aargau», das Städtchen Mellingen liege wie eine Anzahl Marmeln im Reussbecken eingebettet. Wenn wir von der Anhöhe des Brand ins Tal blicken, würde man tatsächlich nicht ahnen, dass diese in sich geschlossene Landschaft in früheren Jahrhunderten ein Grenzgebiet, eine politische Bruchzone war.

So bildete ums Jahr 1000 die Reuss die Grenze zwischen dem Königreich Burgund und dem Herzogtum Alemannien. Und im 12. Jahrhundert trennte der Fluss den Alten Aaregau, der von hier bis ins heutige Berner Oberland reichte, vom Thurgau, der sich von der Reuss bis zum Bodensee ausdehnte. Der Ortsname Turgi stammt noch aus jener Zeit.

Auch in den Jahrzehnten der Stadtwerdung, um 1230/40, befand sich Mellingen in einer ausgesprochenen Mischzone von habsburgischen und kyburgischen Territorien , um dann 1273 endgültig in den habsburgischen Machtbereich integriert zu werden. Rund 140 Jahre lag nun Mellingen in einer relativ stabilen Zone.


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Das sollte sich 1415 mit der Eroberung des Aargaus durch die Eidgenossen recht stark ändern. Die Mellinger wurden wie die Grafschaft Baden Untertanen der VIII Alten Orte, d.h. auch der Stadt Bern. Der ganze Stadtbann war aber von Freiämtergebiet umschlossen, denn Wohlenschwil gehörte zusammen mit Büblikon und Mägenwil bis 1798 zu dieser Vogtei. Entscheidend war nun, dass die Stadt Bern bis 1712 an der Regierung der Freien Ämter keinen Anteil hatte. So existierte zwischen dem Stadtbann und den umliegenden Dörfern - etwas überspitzt ausgedrückt - eine Landesgrenze. Dies führen uns besonders augenfällig die beiden hübschen Grenzsteine von 1667 im Rüsstal Tägerig (momentan auf dem Gelände von Bildhauer Fischer) und jener von 1618 an der Strasse Wohlenschwil-Tägerig vor Augen. Dass Bern nämlich in den Freien Ämtern nicht beteiligt war, hatte weitreichende Konsequenzen. Nicht von ungefähr massen sich die Berner an der Grenze zu den Freien Ämtern sowohl im 1. als im 2. Villmergerkrieg (1656, 1712) bei Villmergen mit den katholischen Orten und zogen dabei auch Mellingen stark in diese Kriegswirren hinein. Denn man muss sich immer wieder eines vor Augen halten: Auch die Grenze des Staates Bern war von der Altstadt Mellingen gegen Birrhard hin nur etwa 2 Kilometer entfernt. Und da der Berner Aargau und die Waadt damals noch bernische Untertanengebiete waren, reichte das Territorium der Aarestadt vom Birrfeld bis fast vor die Tore der Stadt Genf.

Diese Nähe zu Bern hatte aber nicht nur politische und militärische Konsequenzen, sondern auch in sprachlicher, baugeschichtlicher und volkskundlicher Hinsicht Auswirkungen. So bildet das untere Reusstal und weiter südlich der Lindenberg und dessen Ausläufer die Grenze zwischen den «Westschweizer» Dialekten, wie man sie v.a. in Bern, Luzern und Solothurn
spricht, und den Ostschweizer Idiomen. Dies sei an den beiden Wörtern «sterben» und «Milch» etwas erläutert. Während wir in Mellingen «schterbe», sagt man im Birrfeld bereits «schtärbe». Und derweil wir in Mellingen «Melch» trinken, löschen sich die See- und Wynentaler ihren Durst mit «Miuch» oder «Möuch».

Diese Grenzlage zwischen Ost und West zeigt sich auch in der Baukultur unserer Altstadt. So kennt das Bernbiet mehrheitlich das giebelständige Haus, d.h. der Hausgiebel ist, oft elegant mit einer Giebelründe geziert, der Strasse zugewandt. In der Ostschweiz ist das traufständige Haus vorherrschend: hier verlaufen Dach und Dachtraufe parallel zur Strasse. Eine hübsche Mischung beider Haustypen finden wir insbesondere in der Mellinger Hauptgasse. (Unter uns gesagt: Wie wäre es, wenn wir diesen fantasielosen Strassennamen in «Marktgasse» umbenennen würden?)

Schliesslich lässt sich an der Grenze zwischen Berner Aargau einerseits und dem Freiamt sowie der Grafschaft Baden anderseits folgendes Phänomen feststellen: Während westlich davon mit französischen Jasskarten gespielt wird, vergnügen wir uns normalerweise mit deutschen Karten. Wenn Sie also das nächste Mal - hoffentlich mit deutschen Jasskarten - spielen und mit dem «Pur» den König stechen, so denken sie daran, dass möglicherweise auch 1653 im Bauernkrieg die Grenzlage Mellingens mit ein Grund war, dass das Entscheidungsgefecht
vor den Toren unseres Städtchens entschieden wurde.



Bild-Nr.: RuM021
Bild: Plan
Text: Rainer Stöckli
Copyright: Rainer Stöckli / © Druckerei Nüssli

.07.1997

Im Namen des Gesetzes

Nur noch der Galgenbach, der Galgenrain und die Galgenmatt an der Ortsverbindungsstrasse Wohlenschwil-Tägerig erinnern uns daran, dass hier einst die Richtstätte Mellingens lag. Einerseits war man zwar stolz, über den sogenannten Blutbann zu verfügen, d.h. über Leben und Tod von Straftätern urteilen zu können, anderseits achtete man aber tunlichst darauf, diese grausige Stätte möglichst weitab des Wohngebiets ganz an der Grenze des Stadtbanns
anzusiedeln. Dies war nicht nur in Mellingen so, sondern auch in Bremgarten, wo der Galgen im Wald an der Strasse nach Wohlen aufgestellt wurde. In Lenzburg lag die Richtstätte bei den heute noch bestehenden Fünflinden am Weg gegen Hunzenschwil und in Baden an der Strasse ausserhalb von Dättwil.


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Leider wurden, als die Strasse Wohlenschwil- Tägerig vor rund 30 Jahren ausgebaut wurde, die letzten Überreste des Mellinger Richtplatzes entfernt. Damals sah man noch die Fundamente für die Pfeiler, in welche man die Stangen des Galgens einlassen konnte. Der Richtplatz lag, wenn man vom offenen Feld gegen den Wald blickt, wenige Meter rechts des Galgenbachs, bevor dieser - einen kleinen Weiher bildend - im Untergrund verschwindet, und zwar auf der südwestlichen Seite der Strasse. Neckischerweise kam bei der Grenzbereinigung von 1977 das einstige Terrain des Mellinger Hochgerichts auf das Gemeindegebiet
der ehemaligen städtischen Gerichtsherrschaft Tägerig zu liegen.

Sicher seit 1394, also noch zur Zeit, als Mellingen eine habsburgische Stadt war, hatten die städtischen Behörden die Kompetenz, über Leben und Tod Straffälliger zu urteilen. Bereits 10 Jahre später ist uns ein konkreter Fall bekannt: 1404 wurde eine Jüdin und deren Schwiegersohn wegen Falschmünzerei zum Feuertod verurteilt.

Es ist anzunehmen, dass der Richtplatz im Mittelalter nicht an der Strasse Wohlenschwil-Tägerig lag. 1577 und auch später ist nämlich südwestlich der Lenzburgerstrasse an der Grenze zu Wohlenschwil eine Henkermatte erwähnt. Bezeichnenderweise befand sich auch dieses Gebiet ganz an der Peripherie des Stadtbanns. 1588 ist aber bereits die Galgenmatte erwähnt. Vermutlich erfolgte der Standortwechsel daher im 16. Jahrhundert.

Über das Prozessverfahren sind wir aufgrund der Blutgerichtsordnung von 1602 genauestens unterrichtet. Den Vorsitz führte der Schultheiss. Aufgrund dieser Prozessordnung müssen wir annehmen, dass sich die Angeklagten ein
relativ faires Verfahren erhoffen durften. Jedenfalls hören wir mehrmals von Begnadigungen. Die Hinrichtung und allfällige Folterungen nahm der Scharfrichter von Baden vor. Da aber von den Blutgerichtsfällen in Mellingen keinerlei Protokolle vorhanden sind und nur in anderen Quellen hin und wieder von Hinrichtungen die Rede ist, kann schwer abgeschätzt werden, wie oft der Scharfrichter in Aktion zu treten hatte. Zwischen 1500 und 1650 sind nur 7 Todesurteile bekannt. Und Heinrich Zumstein erzählt in seinem Werk nur von einem einzigen Delinquenten, der im 18. Jahrhundert den Tod fand. Gründe, vor das Hoch- oder Blutgericht zitiert zu werden, waren insbesondere Mord und Totschlag, schwerer Diebstahl, Brandstiftung und Geldfälschung. 1574 wurde ein besonders schlimmer nicht namentlich genannter Geselle verurteilt. Er hatte
mehrere Morde, zahlreiche Diebstähle und eine Brandstiftung in Schinznach gestanden. «Dieser übeltäter war geradbrächet, gar noch zuohin gehänkt und letstlich uff dem rad ins fhür geworfen und verbränt… und hat also aller dreyer töden befunden», wie uns der Zeitgenosse Werner Schodoler aus Bremgarten in seinem Tagebuch berichtet.

Ob der oberhalb des Galgens gelegene Hexenstein mit einer weiteren Form der Blutgerichtsbarkeit, des auch in Mellingen grassierenden Hexenwesens, zu tun hat, muss offenbleiben.

In Zusammenhang mit diesem wenig erfreulichen Kapitel der Blutjustiz drängt es mich, einmal mehr folgenden Gedanken an den Mann bzw. die Frau zu bringen: Wir sprechen immer von der «guten, alten Zeit>», ein meiner Meinung nach sehr zweifelhaftes geflügeltes Wort. Wohl ist heute die globale Bedrohung wesentlich höher und unsere Zeit hektischer geworden, aber die früheren Jahrhunderte kannten in sozialer, wirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht ebenso viel Not wie heute, wenn nicht noch mehr.




Bild-Nr.: RuM022
Bild: Ausschnitt aus der Karte von Johann Adam Riediger
Text: Rainer Stöckli
Copyright: Rainer Stöckli / © Druckerei Nüssli

.07.1997

Wenn Steine erzählen könnten...

An der Lenzburgerstrasse 25 lebt eine faszinierende Persönlichkeit: Es ist Bildhauer Albert Fischer, der hier zusammen mit seinem Sohn ein Atelier betreibt. Albert Fischer ist nicht nur ein sehr begabter Kunsthandwerker, sondern er interessiert sich auch für alles, was mit Steinen in unserer Region zusammenhängt.

So führte er mich an einem regnerischen Samstag im September zum Hexenstein oberhalb des ehemaligen Galgens. Dieser Stein steht fast zuoberst eines ca. 2 Hektar messenden Waldspickels oberhalb der Strasse Wohlenschwil-Tägerig. Das steil abfallende Gelände kaufte Mellingen 1631 den Wohlenschwilern ab. Dieser sogenannte Galgenrain bildete seither das einzige Mellinger Waldgebiet links der Reuss. Doch die Stadtbehörden hatten es wohl nicht so sehr auf das Holz, sondern auf den hinter dem Hexenstein gelegenen Steinbruch mit
Muschelkalksandstein abgesehen. So ist anzunehmen, dass ein Grossteil der in Mellingen noch existierenden Grabplatten und Grenzsteine vom Galgenrain herrühren. Gesteinsproben haben ergeben, dass der mächtige Grenzstein vom Rüsstal Tägerig vom Jahre 1667 eindeutig von diesem Steinbruch stammt. Und von 1646/47 ist bezeugt, dass die Steine, die man für den Bau eines neuen Pfeilers der Mellinger Reussbrücke benötigte, vom Galgenrain herangekarrt wurden.

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Der Hexenstein selber ist ein am steilen Hang stark vorkragender Sandsteinfels, der aufgrund einschlägiger Funde schon den Steinzeitmenschen Schutz bot. Aber auch in diesem Jahrhundert habe, wie mir Bildhauer Fischer erzählte, Ende der zwanziger Jahre eine Familie aus dem Armenhaus Wohlenschwil im Sommer mehrere Wochen lang unter diesem Stein gehaust. Und die Wohlenschwiler Turner bauten beim Hexenstein - abseits der Zivilisation - nachts schon manches feucht-fröhliche Fest. Vom Hexenstein aus, den man am besten vom Wohlenschwilerberg her erreicht, geniesst man übrigens eine selten schöne Aussicht auf Mellingen und das ganze Reusstal. Dieser Stein und der Steinbruch - das ganze Gelände gehört seit der Grenzkorrektur 1971 zum Gemeinde-
bann Tägerig - sind leider heute durch Sträucher und Brombeergestrüpp stark überwuchert. Es wäre daher eine sinnvolle Aufgabe der in Tägerig, Wohlenschwil und Mellingen zuständigen Zivilschutzorganisationen, dieses in unserer Gegend einzigartige Kultur- und Naturdenkmal etwas freizulegen.

Aber nicht nur beim Hexenstein lassen sich steinzeitliche Siedlungsspuren feststellen. Auch beim Gheidrain unterhalb des Grenzsteins von 1854 fanden vor rund 25 Jahren die beiden Hobby-Archäologen Otto Hunziker und Paul Burki eine auffällige Anhäufung von rund 6000jährigen Steinzeitwerkzeugen. Durch minutiöses Absuchen des dortigen Geländes konnten über 80 Gegenstände geborgen werden. Eine professionelle Untersuchung dieses Siedlungsplatzes ist bislang unterblieben.

Eine Steinzeitsiedlung muss auch im Gebiet der heutigen Garage Bärtschi ganz auf der Grenze zu Wohlenschwil bestanden haben. Als dieser grosse Baukomplex errichtet wurde, war es der geschulte Blick von Bildhauer Fischer, der auf diesem Gelände Funde von seltener Schönheit ausmachen konnte, so ein Öllampchen und einen steinernen Anhänger.

Steine sind oft geheimnisumwitterte Gebilde. So ist es, wie schon gesagt, ungewiss, ob der Hexenstein mit dem darunterliegenden Mellinger Richtplatz etwas zu tun hatte. Oder trafen sich hier die Hexen des unteren Reusstales?
Und vom Chlichindlistei in der Reuss bei der Mellinger ARA erzählt man sich folgendes: Wenn Kinder in unserer Gegend früher bei der Geburt eines Geschwisters gefragt hätten, woher denn das Neugeborene komme, habe man geantwortet, die Hebamme habe es beim Chindlistei geholt. Auch oberhalb von Rickenbach (SZ) steht übrigens ein solch sagenumwobener Chindlistei.
Es kommt daher nicht von ungefähr, dass Steine viele Menschen faszinieren und dass die Geschichte besonders markanter Exemplare in Mythen, im Aberglauben
und in der Volkskunde ihren Niederschlag gefunden hat.



Bild-Nr.: RuM023
Bild: Albert Fischer
Text: Rainer Stöckli
Copyright: Rainer Stöckli / © Druckerei Nüssli

.07.1997

Siechenhaus und Antoniuskapelle

Siechenhaus und Antoniuskapelle standen vermutlich ursprünglich in engem Zusammenhang. Auch andernorts baute man in der Nähe des Sondersiechenhauses, dort also, wo die Aussätzigen ein von der übrigen Bevölkerung abgeschiedenes Leben fristeten, einen kleinen Sakralraum, damit die von der Gesellschaft Ausgestossenen hin und wieder einem Gottesdienst
beiwohnen oder in ihrer Menschenverlassenheit ein Gebet verrichten konnten.

Das Siechenhaus hat wahrscheinlich schon im 14. Jahrhundert bestanden. Auch es lag weitab vom Städtchen auf der rechten Seite der Lenzburgerstrasse ungefähr in der Gegend der heutigen Busgarage Geissmann. Jenes Gebiet hiess im 17. Jahrhundert noch Siechenmättli. 1624 baute man in der Gabelung, wo sich Lenzburger- und Bremgarterstrasse trennen, ein neues Siechenhaus. Dieser Standort wurde bewusst so gewählt, damit den Aussätzigen sowohl von
den nach Bremgarten als auch nach Lenzburg Reisenden Almosen zuteil wurden. Daneben existierte für den Unterhalt der Kranken auch ein Fonds, der vom Siechenpfleger verwaltet wurde. Die Betreuung der Aussätzigen oblag der Siechenmagd. Ihre Hauptaufgabe war es, die Bewohner mit Speis und Trank zu versehen.

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Doch weilten im Siechenhaus wohl nie viele Personen. Da Aussatz damals unheilbar war, starben immer wieder Insassen an dieser Krankheit. 1681 bezahlte selbst eine Siechenmagd ihren Dienst an den Ärmsten der Armen mit dem Leben. Im 19. Jahrhundert verschwand der Aussatz langsam aus unseren Breitengraden, so dass das Siechenhaus 1841 abgebrochen werden konnte.

Ob der Vorgängerbau der Antoniuskapelle bereits im Mittelalter bestand, bleibt ungewiss, wird doch dieser Gottesdienstraum erst 1555 urkundlich erwähnt. Sicher ist, dass die frühere Kapelle nicht an der heutigen Stelle, sondern wie das Siechenhaus vermutlich nördlich der Lenzburgerstrasse lag. Der Flurname Kapellacker könnte einen Hinweis bieten. Ab 1660 ist das Kirchlein als Antoniusheiligtum bezeugt. 1736 wurde dann von Baumeister Georg Abt aus Bünzen die heute noch bestehende Kapelle gebaut. Welch frappanter Unterschied
besteht doch zwischen dem eher gedrungen wirkenden frühbarocken Äussern der Pfarrkirche aus dem Jahre 1675 und der hochbarocken Antoniuskapelle, welche mit ihren elegant geschwungenen Säulenarkaden im Eingangsbereich an südliche Unbeschwertheit gemahnt! Diese Sinnenfreude setzt sich im Innern fort und gipfelt in der gefühlsbetonten Figurengruppe des Heiligen Antonius mit Jesuskind über dem Altar, einem Werk des einheimischen Plastikers Caspar Joseph Widerkehr.
Der ehemalige aarg. Denkmalpfleger Peter Felder zählt in seinem Buch <»Barockplastik der Schweiz» diese «gehaltvolle plastische Gruppe... zu den erlesensten Bildwerken der Epoche».

Gleichzeitig mit dem Bau der Antoniuskapelle wurde dort auch ein Friedhof angelegt, da die Platzverhältnisse auf dem alten Gottesacker in der Altstadt durch den Neubau der Kirche 1675 immer prekärer geworden waren. Führende Bürger der Gemeinde bestattete man aber bis 1810 immer noch bei der Stadtkirche. Erst dann fanden alle Mellinger ihre letzte Ruhestätte rund um die Antoniuskapelle. Erweiterungen erfuhr der Friedhof 1861, Mitte dieses 20. Jahrhunderts sowie 1981.

Der Mellinger Friedhof erscheint mir als einer der schönsten im ganzen Kanton. Äusserst diskret fügt sich gegen Westen hin das moderne Friedhofgebäude in die Gesamtanlage ein. Die Antoniuskapelle und der meisterhaft gestaltete Friedhof mit dem Barockkreuz von 1669 in dessen Zentrum bilden eine harmonische Symbiose. Gewiss: Auf dem Mellinger Friedhof herrscht, bedingt durch die beiden stark befahrenen Strassen nach Lenzburg und Bremgarten, keine Grabesstille. Doch denken wir daran: Auch der Tod und unsere Verstorbenen sind
Bestandteil unseres Lebens und unserer Kultur. Ich jedenfalls bin ein entschiedener Gegner, dass man die Toten in die Abgeschiedenheit des
Waldes verbannt.



Bild-Nr.: RuM024
Bild: Ausschnitt aus der Radierung von Matthias Pfenninger
Text: Rainer Stöckli
Copyright: Rainer Stöckli / © Druckerei Nüssli

.07.1997

Vom "Rector puerorum" zur Kreisschule

Unter Verwendung der Angaben von Emst Vögeli

Es war irgendwie wegweisend, dass die Schule 1897 - also vor genau 100 Jahren (1997) - die Enge der Altstadt verliess und man in der Breite das grosse, für damalige Verhältnisse repräsentative Schulhaus an der Bahnhofstrasse, den ersten Bau, der ausschliesslich schulischen Zwecken diente, bezog.

1262 wird in einer Urkunde erstmals ein Schulmeister, ein «rector puerorum», in der noch jungen Stadt erwähnt. Mellingen darf sich daher rühmen, die urkundlich am frühesten erwähnte weltliche Stadtschule auf heutigem Aargauer Boden zu besitzen. Damals unterrichtete der Schulmeister vielleicht ein knappes Dutzend Knaben im Lesen, Schreiben, Rechnen und Singen und brachte einzelnen wohl auch die Grundbegriffe der lateinischen Sprache bei. Und heute (1997), fast 750 Jahre später, besuchen rund 870 Jugendliche die verschiedenen Schulhäuser der Stadt. Das erste eindeutig lokalisierbare Schulhaus stand seit dem 17. Jahr-
hundert am Kirchplatz (heute Haus Kleine Kirchgasse Nr. 26). Im 19. Jahrhundert vernehmen wir von einem zweiten Schulhaus neben dem Zeitturrn (sog. «vorderes Schulhaus»).

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1855 erwarb die Gemeinde das ehemalige Gasthaus Krone am Kirchplatz und richtete darin ein eigentliches Gemeindezentrum mit Schulräumen, Gemeindeverwaltung und Pfarrhaus ein. Hier brachte man auch die 1862 gegründete Bezirksschule unter.

1897 zügelte die Schule an die Bahnhofstrasse. Während Gemeinden von der Grösse Mellingens meist erst nach dem 2. Weltkrieg Turnhallen bauten, wagte man sich bereits 1933 zu diesem Schritt. Vorher erteilte man den Unterricht im Winter und bei schlechter Witterung im Schulhauskeller oder in der alten Trotte am Sonnenweg. Erst 70 Jahre nach dem Neubau des Schulhauses Bahnhofstrasse wurde 1968 dieses Schulzentrum durch das Bezirksschulhaus und ausgedehnte Aussensportanlagen ergänzt. Die nachfolgenden Jahrzehnte waren geprägt durch massive Bevölkerungszunahme und die teilweise Zentralisierung der Oberstufenklassen Tägerigs und Wohlenschwils in Mellingen. Dies rief nach neuem Schulraum: 1975 eröffnete man ein Schulhaus für die Real- und Sekundarschule mit zweiter Turnhalle und Hallenbad in der Kleinen Kreuzzelg. 1985 folgte nebenan das vierte Schulhaus, um darin Primarschulklassen unterzubringen. Wieder zehn Jahre später wurde die bestehende Turnhalle zu einer Dreifachturnhalle mit zusätzlichen Schulräumen erweitert.

Ebenfalls schon sehr früh eröffnete 1923 der Mütterverein auf privat-rechtlicher Basis im kath. Vereinshaus einen Kindergarten, der 1948 von der Gemeinde übernommen wurde. 1967 entstand in der Weihermatte ein Doppelkindergarten, so dass die Lokalitäten im Vereinshaus nicht mehr benötigt wurden. 1971 folgte die Doppelanlage an der Trottenstrasse und 1995 jene am Friedweg.


Nachfolgende Statistik von Ernst Vögeli veranschaulicht die zuerst relativ langsame und in den letzten 30 Jahren stürmische Entwicklung der Mellinger Schulen (gerundete ZahIen):

Jahr Schüler Abteilungen
1850 100-150 2
1900 150 4-5
1950 300 10
1965 400 10-12
1975 650 25
1995 870 45

Erläuterungen:

1900: Mehr Abteilungen, wegen der 1862 gegründeten Bezirksschule

1950: Kindergartenschüler ab 1950 miteingerechnet, Verdoppelung der Schülerzahl innert 100 resp. 50 Jahren

1965: Eher langsames Wachstum, wirtschaftlicher Aufschwung ist verhalten

1975: Grosser Zuwachs, Kreisschule mit WohlenschwiI und Tägerig zusammen,
immer noch grosse Abteilungen

1995: Langsameres Wachstum (Pillenknick), Vermehrung der Abteilungen wegen
kleineren Klassen und zusätzlichen Differenzierungen im Schulsystem

In keinem andern Bereich als im Schulwesen offenbart sich die Entwicklung Mellingens zur Zentrumsgemeinde so deutlich. Aber auch Bibliothek, Ludothek, verschiedene Säle, grosse Sportanlagen, mehrere Arztpraxen, eine Apotheke und ein Altersheim mit Pflegeabteilung liessen Mellingen wieder vermehrt zu einem soziokulturellen Zentrum werden.


Bild-Nr.: RuM025
Bild: Skizze von Otto Hunziker
Text: Rainer Stöckli
Copyright: Rainer Stöckli / © Druckerei Nüssli

.07.1997

Felder und Fluren im Gemeindegebiet links der Reuss

Wallis leitet sich vom lateinischen «vallis» her und bedeutet Tal. Doch was hat das ebene Wallis in Mellingen aber mit einem Tal zu tun? Oft gibt uns die Deutung solcher Flurnamen arge Knacknüsse auf, oft sind wir auf blosse Vermutungen angewiesen. Wie schon früher erwähnt, liefern uns diese Namen aber manchmal auch interessante Hinweise auf ursprüngliche Besitzverhältnisse, Bodennutzung und Beschaffenheit des Geländes.

Bezüglich des Wallis könnte uns das älteste Mellinger Jahrzeitenbuch aus dem 14. Jahrhundert eventuell weiterhelfen. Darin wird ein Johann Walliser genannt, der eine gewisse Summe von einem ihm gehörenden Gut an eine Jahrzeit stiftete. Zugegeben: Dies ist ein blosser Deutungsversuch, dass das Mellinger Wallis von besagtem Walliser seinen Namen hat. Ähnlich verhält es sich mit dem bereits im 17. Jahrhundert genannten, an der Grenze zu Wohlenschwil gelegenen Franzosenacker. War dieser im Besitz jenes «Franzos(en)», der 1591 dem Mellinger Stadtbaumeister 2 Schilling bezahlte? Ganz in der Nähe des Franzosenackers liegt der Franzosengraben, ein Entwässerungskanal, der anlässlich der Melioration jenes Gebietes in den dreissiger und vierziger Jahren dieses Jahrhunderts angelegt wurde. Dabei wird heute die Vermutung geäussert, dieses Gewässer habe seinen Namen von den kriegsgefangenen Polen aus Frankreich, die im 2. Weltkrieg an diesem Entwässerungswerk mitarbeiteten. Oder wurde der Franzosengraben doch nach dem nordwestlich des Büblikerwegs gelegenen Franzosenacker benannt? Klar zuweisbar ist die Wettingermatte nordwestlich der Lenzburgerstrasse. Sie war ehemals ein Lehen der Abtei Wettingen.

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Gebiete, in deren Namen der Begriff «Zelg» vorkommt, sind als typische Ackerbaugebiete zu betrachten. Hier wurde bis ins 18. Jahrhundert die sogenannte Dreizelgenwirtschaft, also die Folge von Wintergetreide, Sommergetreide und Brache, betrieben. Im Stadtbann waren demnach die Grosse und die Kleine Kreuzzelg dem Ackerbau vorbehalten. Dieser bereits um
1250 erwähnte Name dürfte seine Bezeichnung von einem Kreuz haben, wird doch in einer Urkunde von 1457 ein Acker erwähnt, der «ze Mellingen, hinderem Crütz uff der meren (=Grossen) krützzelg an der landstrass, die gen Bremgarten gat», lag.

Die gegen Tägerig zu gelegene Allmend war das gemeinsame Weidegebiet im Stadtbann, während das Allmendli zwischen Ebereich und Reuss die gleiche Funktion in Mellingen-Dorf innehatte.

Die Ebene im Gheid soll laut mündlichen Aussagen einst durch den Galgenbach versumpft gewesen sein, der in dieser Gegend versickerte. Ursprünglich muss dieses Gebiet aber eher ein relativ trockener Standort gewesen sein. Gheid ist nämlich die Bezeichnung für ein sandiges, mageres Grundstück, im Sinne einer Heide.
Das Grüt hinter dem Altersheim war ein durch Brennen oder Roden, also durch Ausreuten urbar gemachter Boden.
Unter einem Ifang oder Bifang verstehen wir ein «gefangenes», d.h. eingezäuntes Gebiet.
Erwähnenswert ist auch noch das Cheibemättli zwischen Bruggerstrasse und Reuss. Als bezeichnete man früher ein verendetes Tier. Hier lag also der Wasenplatz von Mellingen.

Das nordwestliche Territorium des Stadtbanns gegen Wohlenschwil/ Büblikon hin war bis zur Melioration ein ausgesprochenes Feuchtgebiet, was sich auch in zahlreichen einschlägigen Flurnamen äussert. In der Weihermatt, in der noch in diesem Jahrhundert Iris geblüht haben sollen, dehnte sich der fischreiche Langweiher aus. Das Moos und das jetzige Naturschutzgebiet Ägelmoos, in dem sich einstmals möglicherweise Blutegel getummelt haben, bedürfen
eigentlich keiner näheren Erklärung. Unter einem Werd ist ein zwischen Sümpfen erhöht gelegenes Gebiet gemeint.

Bemerkenswert sind auch die Wag- oder Woogbünten. Unter einem Wag versteht man ein stehendes Gewässer. Früher mündete nämlich der heute Schwarzgraben genannte Bach, bevor er sich in die Reuss ergoss, in einen relativ grossen Weiher, eben den Wag, wo die Stadt Mellingen wie in der Reuss, im Langweiher und im Stadtgraben die Fischereirechte innehatte. Wann dieser Weiher an der Grenze zu Büblikon eingedeckt wurde, ist mir nicht bekannt. Und was macht man heute? Ziemlich genau an der Stelle, wo sich früher der Wag ausbreitete, erstellte die Gemeinde Wohlenschwil kürzlich ein Regenrückhaltebecken. Für uns Historiker
ist es oft tröstlich, mitansehen zu dürfen, wie man heute auf Gegebenheiten, die sich über Jahrhunderte bewährten, wieder zurückgreift...


Bild: Plan der Flurnamen von Mellingen


Bild-Nr.: RuM026
Bild: Plan
Text: Rainer Stöckli
Copyright: Rainer Stöckli / © Druckerei Nüssli

.07.1997

Kraftwerkprojekte scheiterten zweimal

Unter Verwendung der Angaben von Ernst Vögeli

Die Reuss hatte früher vor allem drei Funktionen: Der regen Reuss-Schifffahrt diente sie als
Transportweg, der reiche Fischbestand war ein sehr wichtiger Eiweisslieferant und die starke
Strömung trieb verschiedene Mühlen und Sägereien an. Interessanterweise hatte aber in
Mellingen die Reuss als Energieträger nie eine überragende Bedeutung. Nur im Mittelalter
und im 18/19. Jahrhundert leiteten verschiedene Müller und Säger Reusswasser auf ihre
Anlagen. Projekte, die Reuss für die Stromproduktion zu nutzen, scheiterten hingegen.
Die relativ bescheidene Nutzung der Wasserkraft mag zum Teil mit der sehr unterschiedlichen
Wasserführung des Flusses zusammenhängen. Bekanntlich ist vor allem im Winter der Pegel
oft recht tief. Der Antrieb von Mühle- und Sägereirädern war deshalb insbesondere im Winter
problematisch, und der Betrieb eines Kraftwerkes wäre deshalb sicher auch nicht ausgesprochen
wirtschaftlich gewesen.

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Erste Kraftwerkpläne - die entsprechenden Unterlagen befinden sich im Museum - entstanden
um 1898. Damals wollte man ein Kraftwerk 700 Meter unterhalb der Eisenbahnbrücke erstellen. Auftraggeber war die Elektrizitätsgesellschaft Mellingen, präsidiert vom damaligen
Stadtammann Dr. med. Peter Hümbelin. Treibende Kraft scheint Oswald Biland, der Inhaber der Ziegelei beim Bahnhof, gewesen zu sein. Biland erhoffte sich, vom nahegelegenen Kraftwerk
relativ preiswerten Strom für seinen Betrieb beschaffen zu können. Für die Projektausführung zeichnete die Elektrizitätsgesellschaft Alioth Münchenstein-Basel verantwortlich. Geplant war
ein 7,5 m hohes Stauwehr mit einer Stauhöhe von 4 m. Im 30 m breiten Maschinengebäude
sollten vier Francis-Turbinen installiert werden. Als Staubeginn wurde das Grenzgebiet
Mellingen/ Tägerig errechnet.
Beim heutigen Altersheim wäre der Wasserstand nur noch etwa 1 m unter Terrain gelegen
und bei der Reussbrücke der Pegel um etwa 1 bis 2 m erhöht gewesen, weshalb bei
Hochwasser mit recht prekären Verhältnissen hätte gerechnet werden müssen. Als
Verteilungsgebiet für die erzeugte Elektrizität war die Region Mellingen, Rohrdorf, Fislisbach,
Baden, Othmarsingen und Lenzburg/ Niederlenz vorgesehen. Die Baukosten inklusive
Stromverteilernetz waren mit 1,1 Mio Fr. für damalige Verhältnisse recht hoch. Der Betrieb
einer 56-Watt-Glühbirne wäre auf happige 20 Fr. pro Jahr zu stehen gekommen.
Das Kosten-Nutzen-Verhältnis war also recht ungünstig. Die Unwirtschaftlichkeit der Anlage, Finanzierungsprobleme - die Nationalbahn war erst 20 Jahre vorher in Konkurs geraten - und vermutlich der problematisch hohe Wasserstand im Bereich des Städtchens bewogen wohl die Initianten dieses Projekt fallen zu lassen.

1946 befasste man sich erneut mit Kraftwerkplänen. Deren Promotor war der Kraftwerk-
ingenieur Dr. H. E. Gruner aus Basel, der im 2. Weltkrieg längere Zeit als Offizier sein Logis
bei Verleger Albert Nüssli hatte. Gruner lieferte denn auch die Projektunterlagen (ebenfalls
heute im Besitz des Museums). Auftraggeber war u.a. Stadtammann Marin Frey. Das Kraft-
werk mit einem 35 m breiten Maschinenhaus und einem 36 m breiten und 7,5 m hohen
Stauwehr wäre gerade unterhalb der Risiinsel zu stehen gekommen und hätte das Altstadtbild
nicht beeinträchtigt. Der Rückstau hätte ungefähr bis Niederwil/ Göslikon gereicht.


Da in diesem Gebiet die Reuss relativ tief eingeschnitten ist und die Erhöhung des Wasserspiegels
auf etwa 2 m errechnet wurde, wären im Staubereich relativ bescheidene Kunstbauten
erforderlich gewesen. Die Baukosten bezifferte man auf 12 Mio Fr. Die Produktionskosten wären
mit 2 Rappen pro Kilowattstunde recht niedrig gewesen. Vom wirtschaftlichen Standpunkt her
hätte daher ein Kraftwerk Mellingen nach Ansicht des Projektverfassers nicht schlechte
Zukunftschancen gehabt. Warum es aber trotzdem nicht gebaut wurde, darüber müssten
eingehendere Forschungen betrieben werden.

Finanzierungsprobleme - die Hochkonjunktur war erst im Anlaufen - und möglicherweise auch
bereits Überlegungen des Naturschutzes waren aber wohl gewichtige Beweggründe, diese
grandiose Naturlandschaft unangetastet zu lassen.


Bild-Nr.: RuM027
Bild:
Text: Rainer Stöckli
Copyright: Rainer Stöckli/ © Druckerei Nüssli

.07.1997

Säge und Zeughäuser

Unter Verwendung der Angaben von Ernst Vögeli und Marin Frey

Endpunkt des zweiten Gemeindeumgangs auf der Städtliseite waren sinnigerweise die Sägerei Frey und die Zeughäuser nahe an der Reuss. Beim ersten Gemeindeumgang hatte man bei der Bruggmühle ebenfalls am Ufer der Reuss die Erkundungstour rund um Mellingen begonnen. Die Stadt, die Reuss und ihre Brücke bildeten seit Bestehen Mellingens eine unzertrennbare Einheit. Der schon einmal zitierte Charles Tschopp fing diese Symbiose in folgendes Bild ein: «Der Grundriss der Stadt nähert sich einem gleichschenkligen, stumpf-
winkligen Dreieck, dessen lange Grundlinie sich der Reuss entlang zieht. Mellingen ist gewissermassen die Schraubenmutter, welche die Schraube (nämlich die Brücke) unverrückbar festhält.»

Auch die verschiedenen Sägereien der Stadt waren untrennbar mit der Reuss verbunden. Die erste urkundlich bezeugte Säge ist um 1420 im Trostburger Twing nachzuweisen und lag wahrscheinlich etwas unterhalb der Widenmühle.

Bis 1740 hören wir dann nichts mehr von einer Säge. Damals wurde auf der Städtliseite vis-à-vis der Risi eine städtische Anlage errichtet, die aber nur etwa bis 1800 existiert haben dürfte. Um 1846 bestand für kurze Zeit eine Säge in den Gebäulichkeiten der Widenmühle.

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Um 1850 wurde auf dem Areal der heutigen Sägerei Frey von einem gewissen Gretener eine erste Anlage mit Kanal und Wasserrad erbaut. 1854 kaufte diese Theodor Frey, der sie 1864 an Eduard Frey veräusserte. Die Sägerei Frey ist also seit 143 Jahren im Besitz dieser Familie und somit der älteste Gewerbebetrieb Mellingens. 1873 erwarb Marin Frey, der Urgrossvater der heutigen Betreiber, die Anlagen. 1904 ging diese Traditionsfirma an Albin Frey, den langjährigen Stadtammann von Mellingen, über und 1942 an seinen Sohn Marin,
welcher auch Stadt und Kanton als Ammann und Grossrat seine Kräfte zur Verfügung stellte. Nach dessen Tod 1974 wandelte man die Firma in eine Familien-AG um. Sie wird seither von den Gebrüdern Marin und Anton Frey geleitet.

Bereits 1911 hielt die elektrische Energie in der Säge Einzug. Wasserrad und Kanal
verschwanden aber erst nach dem 2. Weltkrieg. 1928 installierte man einen sogenannten Vollgatter, d.h. ein Baumstamm konnte jetzt in einem Arbeitsgang zu Brettern zersägt werden.1956 liess Marin Frey sen. durch den 1996 verstorbenen Zimmerrneister Fritz Fischli die mächtige, heute noch bestehende Betriebshalle erstellen und diese mit einem modernen Maschinenpark, der bis auf den heutigen Tag immer wieder den neuen Bearbeitungstechniken angepasst wurde,
bestücken. In den fünfziger Jahren zählte daher die Sägerei Frey zu den modernsten Anlagen der Schweiz.

In der Hochkonjunktur beschäftigte die Sagi bis zu 12 Mitarbeiter, heute sind es noch deren sieben. Die Stämme werden aus dem Raum Bremgarten-Lenzburg-Brugg-Baden bezogen. Nach dem 2. Weltkrieg kaufte die Firma Frey aber auch in Frankreich und im Schwarzwald Holz auf. Den Hertransport der Stämme besorgt seit Jahrzehnten das Transportgeschäft Zeier. In den besten Zeiten, als auf dem Bausektor Hochkonjunktur herrschte, betrug der Umsatz 4000 bis 5000 m3, zur Zeit sind es etwa 3000 m3. Liefergebiet ist insbesondere der Aargau.
Spezialhölzer wie Lärche und Föhre werden aber bis in die Innerschweiz und nach Graubünden vermarktet.

Nun noch einige Angaben zur letzten Station des 2. Gemeindeumgangs, den Zeughäusern von Mellingen, die ja ebenfalls zum Teil mit dem Wasser zusammenhängen, werden doch hier auch die Bestandteile zum Bau mächtiger Brücken gelagert. Das Areal, das durch spätere Erweiterungen heute eine Fläche von rund 2 ha umfasst, wurde 1938 gekauft, worauf man vier Zeughäuser erbaute. Seit 1955 kamen zwei weitere Gebäude und eine Tankanlage hinzu.
Zeughausadjunkt war von 1938 bis 1941 Hans Fischer, bis 1976 Adolf Ackermann und bis 1991 Hans Gruber. Der Betrieb beschäftigte früher bis zu zehn Angestellte. Heute ist die Anlage Mellingen im Rahmen der Armeereform 95 nurmehr ein Aussenzeughaus ohne Personal und wird von Brugg aus bewirtschaftet. In den Zeughäusern lagert Material im Wert von rund 50 Mio Franken für etwa 4000 Armeeangehörige aus verschiedenen Truppengattungen.

Nicht ganz zufälIig beendigen wir unsere Ausführungen mit einem militärischen Thema. Die beiden Gemeindeumgänge wurden ja im Rahmen der Feierlichkeiten «700 Jahre Stadtrecht Mellingen» durchgeführt. Und, wie ich des öftern betonte, war der strategische Aspekt einstmals eines der wichtigsten Momente bei der Gründung der Stadt. Doch hoffen wir, dass die älteste Mellingerin, unsere Reuss, in Zukunft immer mehr friedliche und zufriedene Menschen über ihre Brücke wandern sieht . . .

Bild:
Der Ladner Franz, ein Mellinger Original, beim Schälen von Stämmen in der Sägerei Frey.



Bild-Nr.: RuM028
Bild: Fotoarchiv Mellingen
Text: Rainer Stöckli
Copyright: Rainer Stöckli / © Druckerei Nüssli

.07.1997