Trotte
Mellingen-Dorf Süd-Ost > Trottenstrasse
Mellinger Wein vor hundert Jahren (1866)
Alljährlich im November hatte in Mellingen der Trottmeister der Behörde eine Aufstellung über den in der Gemeindetrotte gewonnenen Wein, wie auch über den Most abzuliefern. Aus der Trottliste von 1866 ist ersichtlich, dass für 21 Weinproduzenten 19 695 Mass und für 23 Obstproduzenten 9480 Mass Saft ausgepresst wurden. An der Spitze der ersteren steht der Hirzenwirt Martin Isler mit 2175 Mass, gefolgt von Weinhändler Leodegar Brand mit 2125 Mass, Güggelwirt Gretener mit 1475 Mass; bei den letzteren Theodor Frey zur Waag mit 1942, Leodegar Brand mit 1790, Martin Isler mit 1647 Mass.
(100 Mass zu 1.5 Liter geben einen Saum.)
Es mag dabei auffallen, dass die zwei bestrenommierten Gasthöfe Löwen und Krone nicht unter den Wein- und Mostproduzenten zu finden sind. Die Ursache liegt darin, indem der Löwenwirt eine eigene Trotte für sich und seine Kunden unterhielt und der Gasthof z. Krone einige Jahre vorher in den Geldstag geraten war, wobei an der Konkurssteigerung Gebäulichkeiten, Tavernenrecht und Grundbesitz unter sich verschiedene Käufer gefunden hatten.
Als Trottengebühr mussten der Gemeinde je Saum 3 Mass entrichtet werden, dazu an den Trottmeister etwa halb so viel. Wenn der Trottmeister zur Mithilfe herangezogen wurde, hatte er beim Arbeitgeber Anspruch auf 3 Fr. je 12 stündigem Arbeitstag.
Für die anfallenden 390 Mass Trottwein und 280 Mass Most führte der Gemeinderat eine öffentliche Steigerung durch, wobei je Saum Wein Fr. 58.- bzw.
Most Fr. 17.- bis 18.- gelöst wurden.
Wenn der Gemeinderat einen neuen Trottmeister gewählt hatte, musste er dem Bezirksamt von der Wahl Kenntnis geben. Der Neugewählte wurde dann dorthin zur Beeidigung aufgeboten. Für die Besitzer der zwei privaten Trotten galt die gleiche Vorschrift.
Zieht man die Unterhaltskosten für das große 24 Meter lange und halb so breite Trottengebäude, für Mühle, Presse und Standen in Betracht, kann leicht errechnet werden, dass der Trottenbetrieb für die Gemeinde kein glänzendes Geschäft bedeutete. Es wurden denn auch immer wieder Anträge eingereicht, besonders von Bürgern ohne Rebbesitz, die dahin tendierten, die Behörde hätte eine bessere Rendite anzustreben oder diesen Betrieb eingehen zu lassen. Schon 1846 verwarf die Gemeindeversammlung einen behördlichen Antrag, die Trotte samt Inventar für 4000 Franken zu verkaufen, was gegenüber 1850, als der Franken abgewertet worden war, ca. 6500 neuen Franken entsprochen hätte.
1865 bestellte die Gemeindeversammlung eine Kommission, welche „dem Gemeinderat darüber Vorschläge zu unterbreiten hat, wie bezüglich der Gemeindetrotte größere Ersparnisse erzielt werden können“. Doch schaute dabei wenig oder nichts heraus. Die von ihr beantragte Rebsteuer von 1 Rp. je Quadratfuss (1 Jucharte von 36 Aren macht 40 000 Quadratfuß) wurde von den Rebbesitzern als „ungesetzlich“ erklärt!
In den Jahren nach dem Bau der Nationalbahn ging der Ertrag der Weinreben in Mellingen merkwürdigerweise rapid zurück. Man vermutete, dass die Ursache beim hohen Bahndamm liege, der den freien Durchzug des Nordwindes auf der Talsohle hemme und diesen an die seitlichen Hänge hinaufpresse, wo er den dort befindlichen Reben arg zugesetzt habe. Auf alle Fälle hatte die später in den aargauischen Reben ihr Vernichtungswerk begonnene Reblaus in Mellingen sozusagen nichts mehr zu suchen.
Gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts hat dann die Gemeinde ihren Trottenbetrieb eingestellt. Die beiden übereinander angeordneten und durch eine Stiege verbundenen, recht wohnlich eingerichteten Trottenstübli waren in der Folge für uns Buben an regnerischen Sonntagen ein beliebter Aufenthaltsort, in den wir uns trotz aller Vorkehren des Trottmeisters Kappeler, der letzte dieses Amtes, stets Eingang zu verschaffen wussten. Als sich dann in Mellingen der Turnverein bildete, richtete dieser in der alten Trotte sein Übungslokal ein.
Nachdem sich Befürworter und Gegner mehr als 30 Jahre über den Abbruch dieses sagenumwobenen langen Hauses gestritten hatten, gewannen die ersteren die Oberhand. -
Vor hundert Jahren gab es in Mellingen 3 ehehafte Tavernen (Löwen, Krone, Hirzen), 2 Speisewirtschaften und
7 Pintenschenken ohne Verabfolgung von Speisen. Dazu kamen noch 5 Eigengewächs-Pintenwirtschaften, also solche, in denen der Wirt keinen erkauften Wein, sondern nur sein eigenes Gewächs verwirten durfte. Die letzteren, welche vielem Wechsel unterworfen waren, und von denen einmal bis gegen ein Dutzend zur gleichen Zeit gezählt wurden, vegetierten an zwei Orten an der Bruggerstraße, nämlich dort wo heute (1966) die
Handlungen von Franz Riegger und Frau Maurer betrieben werden, dann im hintersten Haus am Kirchweg, in der obern Widenmühle am Grummetweg und im Haus der Reussbote-Druckerei.
Die zwei letzten Rebstücke befanden sich im Besitze von Bezirkslehrer Frey und Landwirt Widmer, unter- und oberhalb des Zurzacherweges, heute Höhenweg benannt, direkt gegenüberliegend.
In der alten Post, heute Restaurant Rosengarten, hat Ferdinand Zumstein, der Vater unseres weitherum bekannten Blumengärtners, den letzten Mellinger Wein verwirtet.
Albert Nüssli im Reussbote 30.11.1966
FA Text 01191.1