Ehemaliges Badhaus
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Das Badhaus von Mellingen
Teil I Reussbote 16. Dezember 2008
Eine baugeschichtliche Studie
Rainer Stöckli
Was von Seiten der Geschichtsschreibung schon seit rund 4 Jahrzehnten als ziemlich sicher galt, wird nun durch die Archäologie bestätigt: Im Haus Grosse Kirchgasse Nr. 8 muss sich die städtische Badstube von Mellingen befunden haben. Dass aber das recht unscheinbar wirkende Haus gut 500 Jahre alt ist, kommt einer grossen Überraschung gleich. Als die Altstadthäuser in den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts durch Peter Hoegger kunsthistorisch untersucht wurden, fand das Gebäude im Kunstdenkmälerband nicht einmal Erwähnung.
Bekanntlich mussten im März dieses Jahres (2008)die Bewohner das genannte Haus aus Sicherheitsgründen vollständig räumen, da schon längere Zeit und nicht zuletzt in den 80-erjahren des letzten Jahrhunderts bei Umbauarbeiten tragende Holzelemente teilweise zersägt wurden und somit die Statik nicht mehr gewährleistet war. Da sich die Balken bis zu 30 cm durchbogen, bestand akute Einsturzgefahr, sodass das Gebäude äusserlich mit dicken Baumstämmen auf der Traufseite gesichert und im Innern mit Balken und Eisenstangen abgestützt werden musste. Glücklicherweise hat sich die Axa Winterthur als Besitzerin dieses Hauses trotzdem entschlossen, das Haus nicht abzureissen, sondern stilgerecht zu renovieren.
Bauholz von 1505
Vor einigen Wochen untersuchte die Kantonsarchäologie unter der Leitung des Mittelalterspezialisten Christoph Reding das Haus und deren Bausubstanz. Dabei war die Dendrochronologie eine grosse Hilfe. Diese wissenschaftliche Methode, mit welcher die Jahresringe von Bäumen anhand ihrer unterschiedlichen Breite einer bestimmten, bekannten Wachstumszeit zugeordnet werden können, erlaubt es, das Alter der verwendeten Bauhölzer auf das Jahr genau festzustellen. Und nun die grosse Überraschung: Die meisten Balken wurden aufgrund dieser Untersuchungen im Jahr 1505 gefällt! Damals, am 1. September 1505, brannte die Stadt Mellingen wegen Brandstiftung zu etwa 75 Prozent ab. Auch die Gegend rund um das Badhaus wurde stark hergenommen, so die südlich davon gelegene
städtische Metzgerei. An deren Stelle stehen seit ca. 1900 die beiden Häuser Grosse Kirchgasse 10 und 12. Die Hitze in der südlichen Altstadt war derart gross, dass zwar die steinerne Kirche mehrheitlich stehen blieb, die Ziegel auf deren Dach aber barsten. Die 1505 gefällten Stämme dürften daher im kommenden oder übernächsten Jahr beim vollständigen Wiederaufbau des Badhauses verwendet worden sein. Der ganze ursprüngliche, später aber durch weitere Balken verstärkte Dachstuhl besteht aus 500-jährigen Hölzern. Somit kann geschlossen werden: Grundriss, Baukubus und Dach haben seit einem halben Jahrtausend ihre Form nicht verändert, während im Innern im Laufe der Jahrhunderte viel „gebastelt“ wurde. Diese ursprüngliche Gestalt ist auch aus dem Holzschnitt in der Chronik von Johannes Stumpf vom Jahre 1548 ersichtlich, wo dieses Gebäude – quer zur übrigen Häuserzeile gestellt -erstaunlich wirklichkeitsgetreu wiedergeben ist.
Dass aber im Artikel vom 2. Oktober 2008 in der „Aargauer Zeitung“ behauptet wird, das Mellinger Badhaus sei bereits in der Stumpfchronik als solches bezeichnet, trifft in keiner Weise zu, noch viel weniger, dass in unserer Gegend die Badhäuser im 15. Jahrhundert in Abgang kamen. Das Haus Grosse Kirchgasse 8 konnte nämlich erst um 1970 durch schriftliche Dokumente als Badhaus identifiziert werden; diese Erkenntnis wird nun voll durch die Untersuchungen der Kantonsarchäologie gestützt. Beim verwendeten Holz handelt es sich um Tannenholz. Dieses kann in den Wäldern im Gemeindegebiet rechts der Reuss geschlagen worden sein; das Holz könnte aber auch aus dem Raum Inwil/Emmen oder aus der Nähe des Klosters St. Urban stammen, schenkte doch die Stadt Luzern dem schwergeprüften Mellingen nach der Brandkatastrophe die Nutzung zweier Tannenwälder in den obgenannten Gebieten.
Interessant ist auch, dass es sich bei den Dachbalken um nicht sehr massive Hölzer handelt, was den Schluss zulässt, das Dach sei nach 1505 bloss mit Schindeln gedeckt worden. Tatsächlich ist in den Bauakten dieser Zeit bezeugt, dass beim Wiederaufbau sehr viele Schindeln verwendet wurden. Als man dann das Dach später mit Ziegeln deckte, verstärkte man, wie noch heute festgestellt werden kann, die Dachkonstruktion durch Balken, die zwischen den ursprünglichen Hölzern eingefügt wurden.
Das Badhaus von Mellingen
Teil II Reussbote 31. Dezember 2008
Eine baugeschichtliche Studie
Rainer Stöckli
In Teil I (s. Reussbote vom 16.Dezember 2008) erfuhren wir von den archäologische Untersuchungen, welche ergeben haben, dass das sich in Restauration befindende Gebäude Grosse Kirchgasse 8, das ehemalige städtische Badhaus, in seinen Grundstrukturen ein halbes Jahrtausend alt ist. Nachstehend noch weitere wissenschaftliche Erkenntnisse, welche die baugeschichtlichen Untersuchungen zu Tage gefördert haben.
Rauchgeschwärzte Balken und eine rauchgeschwärzte Mauer
Allerdings geben die in Teil I dieser Arbeit erwähnten archäologischen Erkenntnisse keinen Hinweis, es handle sich eindeutig um das Mellinger Badhaus. Aber allein schon die Tatsache, dass das Haus mit seiner für ein Bürgerhaus ungewöhnlichen Befensterung für sich allein steht und nicht in die Häuserreihe integriert ist, weist auf ein Gewerbehaus oder ein öffentliches Gebäude hin. Tatsächlich war das Badhaus in Stadtbesitz. Vermutlich bemühten sich die Behörden, die Badstube nach dem Brand von 1505 recht bald wieder in Betrieb zu nehmen und wiesen für dieses Gebäude eine recht grosse Parzelle zu, und zwar dort, wo die städtische Wasserleitung durchs Städtchen floss. Diese erreichte beim Iberg die Stadt, führte durch die Kleine Kirchgasse auf den Kirchplatz, durch die Grosse Kirchgasse bis zum „Hirschen“ und von dort in die Bruggerstrasse. Sie belieferte die vier Brunnen in der Stadt beim Iberg, auf dem Kirchplatz, beim Hirschen und den Johannisbrunnen mit Wasser für Mensch und Vieh und bediente auch verschiedene Gewerbebetriebe, die viel Wasser benötigten, so eine Gerberei gegenüber der Kirche in der Kleinen Kirchgasse, die Metzgerei am Kirchplatz, die Badstube und zwei Gerbereien an der Bruggerstrasse. Die noch heute stark rauschgeschwärzten Balken im Dackstock sowie an Decken und Wänden liefern laut archäologischen Erkenntnissen den eindeutigen Hinweis, dass hier ein Gewerbe betrieben wurde, das eine offene Feuerstelle benötigte. Und dies war bei einem Badhaus eindeutig der Fall. Um das Badewasser zu erwärmen, mussten grosse Mengen Holz unter dem Badekessel verbrannt werden. 1663 war dem Badehaus auch eine Färberei angegliedert, welche ebenfalls viel erhitztes Wasser benötigte. Bemerkenswert ist auch, dass man noch Anfang des 20. Jahrhunderts diesem Gebäude – möglicherweise wegen der schwarzen Balken und Wänd– „Schwarzhus“ sagte.
An der Aussenwand zur grossen Kirchgasse legte man bei den archäologischen Untersuchungen im Erdgeschoss zudem eine Stelle frei, bei welcher die Bruchsteine bis weit ins Mauerwerk hinein stark brandgeschwärzt sind. Wenn auch diese Feuerspuren nicht mit absoluter Sicherheit gedeutet werden können, so liegt doch die Vermutung nahe, dass an dieser Wand eine offene Feuerstelle zum Erwärmen des Badewassers lag. Da es sich bei einem Badhaus um ein Gebäude mit erhöhter Brandgefahr handelte, ist auch verständlich, das Gebäude in Solitärbauweise zu erstellen, denn die Reihenhäuser wiesen in früherer Zeit meist keine Brandmauern auf. Dies war in Mellingen vor allem im Bereich der Estriche noch bis ins letzte Jahrhundert der Fall.
Die Mellinger Bader und Scherer
Eine Badstube ist in Mellingen erstmals 1382 erwähnt. Niklaus Scherer baute sie auf privater Basis. 1432 wurde diese von Andreas Scherer für 30 Gulden an die Stadt verkauft. Seither dürften die Bader und Scherer städtischer Angestellte gewesen sein. Um 1500 schloss Bader Hans Schnyder mit der Stadt einen Vertrag über den Betrieb der Badstube ab. Der Bader war nicht nur für den Betrieb der Badstube zuständig, sondern schnitt auch Haare und rasierte, d.h. er wirkte als Coiffeur. Er war aber auch für medizinische Belange zuständig, wie Aderlass, Schröpfen sowie die Behandlung von Wunden. Manche Bader nannten sich auch „Bruchschneider“, behandelten also Leistenbrüche. Akademische ausgebildete Ärzte lassen sich in Mellingen erst im 19. Jahrhundert feststellen.
Wie lange die Badstube in Betrieb war, ist noch ungeklärt. Sicher existierte sie aber noch 1663 zusammen mit einer Färberei. Möglicherweise hilft uns aber auch hier erneut die Archäologie weiter. Dendrochronologische Untersuchungen haben nämlich ergeben, dass die Balken in der rechten Hausseite im Erd- und im ersten Obergeschoss aus dem Jahr 1749 stammen, während das übrige Gebäude in seiner Grundstruktur ins frühe 16. Jahrhundert zu datieren ist. Diese Umbauarbeiten von 1749 könnten auf eine Nutzungsänderung dieses Gewerbehauses hindeuten, mit andern Worten: Eventuell wurde der Badebetrieb Mitte des 18. Jahrhunderts aufgegeben.
Ein erhaltenswerter Bau
Angesichts der für Mellinger Verhältnisse doch recht alten Bausubstanz erachten sowohl Denkmalpflege wie Kantonsarchäologie dieses Gebäude, wenn dieses auch nicht unter Denkmalschutz steht, als eindeutig erhaltenswert. Um die Statik des Hauses zu gewährleisten, wird im Zentrum ein Treppenhaus aus Beton erstellt. Die Aussenmauern dienen vor allem noch der Abstützung des Dachstuhls. Das alte Balkenwerk bleibt, soweit möglich, erhalten.
Einmal mehr wird dank der Restaurierung dieses Gebäudes ersichtlich, dass für den Wiederaufbau der Stadt nach dem Brand von 1505 viel Holz verwendet wurde. So präsentieren sich auf dem Holzschnitt in der Stumpfchronik von 1548 gut ein Dutzend Häuser in Riegelbauweise. Noch heute ist von mehreren Altstadtgebäuden bekannt, dass unter Verputz Riegelmauern versteckt sind. So wäre es begrüssenswert, wenn das zur Zeit freigelegte Riegelmauerwerk an der Aussenfassade im Obergeschoss des ehemaligen Badhauses weiterhin sichtbar bliebe und die notwenige Isolation inwendig angebracht werden könnte. Auf jeden Fall ist dieses Gebäude ein bemerkenswerter Bau, der Zeugnis über die relativ hochstehenden hygienischen Verhältnisse in einer mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Kleinstadt ablegt.